„Chloe And the Next 20th Century“ vereint Big Band und delikaten Folk mit lyrischer Tiefe.
Josh Tilman hat einiges getan, um zu einem der besten Songwriter seiner Generation zu werden. Dass er mal das Schlagzeug für die Fleet Foxes bediente, muss man wohl nicht unbedingt dazuzählen. Aber man berichtet immer gern davon. Weil es so absurd erscheint: Da saß einer an den Drums, der doch eigentlich nach ganz vorne gehört. Tilman hatte dann auch schnell Erfolg als Songwriter, es gab da diesen Indiehit „Hollywood Forever Cemetery“. Aber vor fünf Jahren war er fertig mit der Unterhaltungsbranche, das dazugehörige Album hieß „Pure Comedy“ und war das klangschöne, kluge und schmerzlich und schmerzhaft Ich-zentrierte Zeugnis eines Mannes, der wusste, dass die Krise oft die dringlichsten Songs hervorbringt.
Ironie, Zynismus, Pessimismus klangen selten so bezwingend. Der Bühnenname des in einem Vorort von Washington D.C. aufgewachsenen Tilman lautet Father John Misty. Als Kind wollte er einst Priester werden. Und Predigten sind seine Stücke unbedingt. Die Gegenwart kommt dabei nicht gut weg, er selbst aber auch nicht: „That‘s just all we need, another white guy in 2017 who takes himself so goddamn seriously“ singt er einmal.
Der Größenwahn und der Witz
Ein Jahr später, auf dem nicht weniger überzeugenden Album „God’s Favourite Customer“, zerquälte er sich dann so richtig: Es ist schwer, Mann und Künstler im 21. Jahrhundert zu sein. Jetzt erscheint das neue Album von Father John Misty, dem Vater, der das Satirische stets lediglich streift. Er nimmt sich wirklich wichtig, sonst würde die große Pose nicht funktionieren. „Chloë And the Next 20th Century“ (Bella Union, CD ca. 15 Euro) ist wieder gewaltig geworden. Was eigentlich logisch ist bei einem Künstler, dessen Ruhm auf Größenwahn gebaut ist. Auf Größenwahn und Witz: Denn wie wäre die negative Weltsicht sonst auszuhalten?
„Chloë and The Next 20th Century“ ist nicht mehr Indierock, sondern Big Band, Bossa Nova, Jazz, delikater Folk. Ein Sound, der einer klassischen Ära entspringt und von Tilman perfekt in die Gegenwart transportiert wird, als zeitlos gültige Formel der breitwandig angelegten Unterhaltungsmusik. Lust auf diese üppige Orchestrierung könnte der Musiker zuletzt wieder bei einem Konzert im August 2019 bekommen habe, als er in der Elbphilharmonie mit einem Philharmonieorchester auftrat. Als Charity-Album erschien dieses Konzert später unter dem Titel „Off-Key in Hamburg“.
Niemand wird je das gelobte Land sehen
Das neue Werk ist mit Liebe zum Detail gefertigt, ein dichtes, mal schwebendes, mal gravitätisches Erzähltheater, in dem ein Mann mit kräftigem, perfektem Bariton seine Geschichten erzählt. Die von der Liebe, die scheitert („Goodbye Mr Blue“) und der Liebe, die nicht scheitert, weil sie alt nicht alt wird („We Could Be Strangers“). Tilman bleibt ein begnadeter Lyriker, dessen Texte Parolen für alles und nichts liefern. Im auch musikalisch herausragendsten neuen Song „The Next 20th Century“ heißt es: “Everything’s in transition/Everything must change/But none of us here/Will ever see the promised land/None of us here will be there for Childhood’s end”. Das trifft es gut in diesen Tagen, in der Gnade und Glück weit weg zu sein scheinen.