Hamburg. Kann der große Schriftsteller Komödie? Story im Theater Harburg erinnert an Chaplins „Der große Diktator“. Bunte Kostüme, aufgefrischte Dialoge.
- Der Hamburger Dichter ist vor allem als Romancier und Novellist bekannt.
- Im Harburger Theeater ist die realistische Multifunktionsbühne mal Friseursalon, dann Arbeitszimmer eines fiktiven Präsidenten.
- Regisseur Georg Münzel hat in der Persiflage die etwas altertümlichen Dialoge sanft modernisiert.
Doppelgänger sind bei Diktatoren beliebt. Etliche Putins wurden schon gesichtet, die sich nur in Nuancen vom Original zu unterscheiden schienen. So lässt sich möglicherweise ein drohendes Attentat umgehen. Aus diesem Stoff ist auch „Das Gesicht“ geschnitzt, eine Komödie von Siegfried Lenz. Der Hamburger Dichter ist weniger als launiger Pointen-Autor bekannt, vor allem als Romancier und Novellist – und das nicht ganz zu Unrecht.
Nach dem geglückten „Heimatmuseum“ am Altonaer Theater hat Georg Münzel anlässlich der von Multiintendant Axel Schneider initiierten Werkschau „Lenz auf die Bühne“ die Despoten-Parabel „Das Gesicht“ des 2014 gestorbenen Hamburger Schriftstellers am Harburger Theater als Eigenproduktion heraus. Birgit Voß hat eine realistische Multifunktionsbühne gebaut, die sich in Minutenschnelle vom Friseursalon in das Arbeitszimmer eines fiktiven Präsidenten verwandelt.
Theater Hamburg: Siegfried Lenz‘ „Das Gesicht“ ist in Harburg in neuem Gewand zu sehen
Im Friseursalon verteilt sich das Konterfei des Herrschers in Uniform auf gleich drei Porträts an den Wänden, wie man es von totalitären Systemen kennt. Die Ähnlichkeit des Salon-Betreibers mit dem Porträt ist allerdings frappierend. Das gleiche lilafarben zur Tolle aufgetürmte Haupthaar und ein ebensolcher Zwirbelbart.
Der artige, etwas unscheinbare Bruno Deutz (ehemaliger Widerstandskämpfer und inzwischen Biedermann), dem Kai Hufnagel die Würde eines unglücklichen Kleinbürgers gibt, hadert mit seiner Existenz und der unglücklichen Ehe mit der von Sina-Maria Gerhardt schnippisch gegebenen Hanna. Er ist außerdem nervös, weil ihr früherer Liebhaber dank einer Amnestie aus dem Gefängnis entlassen wird. Doch dann kommt es zu einer Wende in Bruno Deutz‘ Leben. Ein Offizier rekrutiert ihn als Double des Präsidenten für eine Parade, bei der seine Feinde ihn ausschalten wollen.
Anlässlich der Begegnung mit Herbert Schöberls jovialem Diktator in dessen Amtszimmer nimmt das zunächst recht hölzern startende Geschehen langsam Fahrt auf. Vor allem, als der Despot tot am Boden liegt und Bruno Deutz nun ganz in seiner Rolle aufgeht.
Barbier und Diktator in spe: Das erinnert an Chaplins Hitler-Satire „Der große Diktator“
Es fügt sich, dass der Barbier bald auf den Geschmack der Vorzüge der Macht kommt – und noch tyrannischer regiert als das Original. Dieses gesellschaftliche Lehrstück in Korrumpierbarkeit von Moral durch Macht ist von Lenz klug hergeleitet. 1964 am Deutschen Schauspielhaus uraufgeführt – und gefloppt –, ist es auch ein Versuch der Aufarbeitung der Nazizeit. Anspielungen an den Slapstick in Charlie Chaplins Hitler-Satire „Der große Diktator“ sind unübersehbar.
Nur, wirklich komisch ist es leider nicht. Es finden sich kaum Pointen in Lenz‘ Text aus dem Jahr 1962. Angesichts dessen tritt Regisseur Münzel die Flucht nach vorne in einer schrill überzeichneten Persiflage an. Die etwas altertümlichen Dialoge hat er sanft modernisiert, 15 Rollen auf acht Spielende verteilt und ein paar Männerfiguren, wie den Sohn und den Sekretär, zu Frauenfiguren umgewidmet.
Volker Deutschmann hat wundervolle Diktatoren-Kostüme erstellt. Auch das Ensemble gibt wirklich alles. Dennoch wirkt der Abend mit der Mischung aus Diktatoren-Parabel und boulevardesker Verwechslungskomödie stellenweise überfrachtet.
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Ein paar geglückte Einfälle zeigen Kontinuitäten zur Gegenwart, wenn etwa Bruno Deutz sich nach einem Schuss ans Ohr fasst oder mit einem Golfschläger völlig erratisch Papierbälle von seinem Schreibtisch auf die Sekretärin feuert. In diesen Momenten entsteht eine Relevanz dieses Abends – auch wenn sie kaum zum Lachen ist.
„Das Gesicht“ wieder Mi 13.-Fr 15.1.1., jew. 19.30, Sa 16.11., 15.00 ,Harburger Theater (S Harburg-Rathaus), Museumsplatz 2. Karten unter T. 040/33 39 50 60; www.harburger-theater.de