Hamburg. Das Stück von Greta Granderath zeigt: Das Verschwinden und die Abwesenheit haben viele Gesichter beziehungsweise Klänge.
Es beginnt mit einem Knistern, das sich zu einem Rauschen verdichtet, bevor es in eine Stille abebbt. Die Performerin Lois Bartel, glamourös aufgemacht in schwarz-silbrigem Glitzer-Outfit mit pinkfarbenen Socken, versucht anschließend, Klänge einzufangen, wo eigentlich nur Stille ist – mit einem großen, mit Windschutz versehenen Außenmikrofon.
Der „+1“ überschriebene Abend der Hamburger Theatermacherin Greta Granderath im Lichthof Theater beginnt fast andächtig, auch wenn er eigentlich als Konzertperformance angekündigt ist und man sich darunter zunächst mehr als tastende Texte und hingetupfte Geräusche vorstellt. Aber sein Anliegen und auch seine Faszination enthüllen sich erst nach und nach.
Greta Granderaths Perfomance „+1“ im Lichthof Theater – Wie klingt eigentlich die Stille?
Denn eigentlich ist „+1“ eher ein Nachdenken über das Dazwischen. Den Moment der Stille, wenn der Raum dunkel wird und das, was kommen soll, noch nicht angefangen hat. Der Spot auf dem Boden bleibt leer. Der verheißungsvolle Vorhang im Hintergrund geschlossen.
Während Lois Bartel bald über eine abwesende Stimme sinniert, begegnet sie der Perkussionistin Ying-Hsueh Chen, die von einem Essen für verstorbene Verwandte berichtet und lautmalerisch ein unsichtbares Instrument bespielt. Als Dritte im Bunde hält die Audiokünstlerin Katharina Pelosi die Fäden der Sounds zusammen. Lois Bartel und Ying-Hsueh Chen pflegen einen Austausch, der immer wieder abbricht, offenbleibt. Bald treten sie in einen Dialog darüber, wer die tiefere Stimme hat. Irgendwann werden die trommelnden Schlagstöcke von Ying-Hsueh Chen zu einem niederprasselnden Regen, während Lois Bartel sanft mit dem Bogen über eine Violine streicht.
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Schließlich wird die antike griechische Lyrikerin Sappho, von deren Werken ganze sieben Prozent erhalten sind, zur Symbolfigur des Abends. Das Verschwinden, die Abwesenheit und die Stille haben viele Gesichter beziehungsweise Klänge. Und das Verblüffende an dieser Performance ist, dass da trotzdem eine Präsenz auch des nicht (mehr) Hörbaren spürbar ist. Sie führt zu der Erkenntnis, dass zu diesem Konzert alles im Raum zählt: Gegenstände, Instrumente, abwesende und anwesende Personen – und auch das Publikum.
„+1“ weitere Vorstellungen 20.10., 18 Uhr, 24.10., 20.15 Uhr, 25.10., 20.15 Uhr, Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15B, Karten unter www.lichthof-theater.de
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