Hamburg. Alexis Kara sorgt in der Komödie Winterhude in „Der Fall Moriarty“ für die Brüller. Ex-Winnetou Jan Sosniok gibt seinen Gegenspieler.
- Gefeierte deutsche Erstaufführung der jüngsten Komödie des US-Autots Ken Ludwig
- Alexis Kara (ZDF-„heute-show“), Katy Karrenbauer und Anna Julia Antonucci spielen fast 30 Rollen
- Das gab es noch nie: Ein Showdown mitten im Winterhuder Theatersaal
Zu hören ist tumultartiges Gemurmel, zu sehen nur ein Kopf, offensichtlich der eines Ganoven. Links im Theatersaal taucht ein Polizist mit Pickelhaube auf, entert die Bühne und fragt den Kleinkriminellen, für wen er arbeite. „Er heißt … äh… Heidi Kabel, also Hermann, mein ich, Hermann Kabel“, stammelt er. „Nein, nein… Albers, … Hans, …Olaf Scholz?!“
Wir sind in Hamburg, in der Komödie Winterhuder Fährhaus. Dass die ersten Lacher und Beifall einsetzen, bevor sich der Vorhang öffnet, ist auch hier nicht alltäglich, jedoch einer der originellen Einfälle des Duos Daniel Krauss und Jan Müller. Die von ihnen inszenierte deutsche Erstaufführung von Ken Ludwigs Komödie „Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty“ (Übersetzung: Michael Raab) wird gut zweieinhalb Stunden später mit lang anhaltendem Beifall gefeiert werden. Zu Recht.
Komiker aus „heute-show“ glänzt in neuem „Sherlock Holmes“-Stück
Mit dem erst im Vorjahr uraufgeführten Stück des renommierten US-Dramatikers ging am späten Freitagabend die hanseatische Ken-Ludwig-Woche zu Ende. Und das im London des viktorianischen Zeitalters spielende Stück rund um den Meisterdetektiv setzt noch mal andere Akzente als vor Wochenfrist die gelungene plattdeutsche Erstaufführung von „Alarm in‘t Theaterhuus – Carmen darf nicht platzen“. Im Ohnsorg-Theater spielt Ludwigs Neufassung seines Welterfolgs „Otello darf nicht platzen“ als musikalische Klipp-Klapp-Komödie in einem Hotel mit sechs Türen und viel Slapstick.
Situationskomik und prächtige Kostüme (von Co-Regisseur Jan Müller und Lelja Seibicke) finden sich in Holmes‘ neuem Abenteuer ebenso. Jedoch entwickelt der Meisterdetektiv in „Der Fall Moriarty“ zum ersten Mal Gefühle. Fängt schon damit an, dass er als Gast im Royal Opera House in einer gegenüberliegenden Loge eine reizvolle Dame erspäht: Irene Adler, extrem selbstsichere Hollywood-Schönheit mit feinen ironischen Zügen. Auch diese Opern-Szene (wie einige folgende) hat das kreative Regie-Duo in den Theatersaal verlegt.
Ex-Winnetou Jan Sosniok überzeugt vor allem in nachdenklichen Szenen
In der durchaus komplexen Geschichte hat Jan Sosniok den Titelpart. Der Schauspieler, der seinen Durchbruch in den 90ern in der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ hatte (weitere Serien-Erfolge: „Danni Lowinski“/Sat.1, „Berlin, Berlin“/ARD) und bis 2018 als Winnetou bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg ritt, steht weniger für knalligen Humor. Wiewohl er an der Pfeife ziehend im froschgrün karierten Anzug, mit Umhang und mit Jagdhut durchaus komisch wirkt. Am Überzeugendsten ist er in nachdenklichen Szenen mit Anna Julia Antonucci. Die Fernseh- und Filmdarstellerin („Unter uns“, „Kokowääh“) changiert gekonnt zwischen ironischer Diva, lasziver Lady in Red und taffer Verbrecherjägerin.
Denn auch Mrs. Adler ist wie Holmes hinter Professor Moriarty her. Der war einst Mentor des Meisterdetektivs. Beauftragt, ihn zu finden, hat Holmes der König von Böhmen, Otto von Ormsten. Gut nur, dass Holmes bei dieser heiklen und lebensgefährlichen Mission durch düstere und geheimnisvolle Welten sein treuer Freund Dr. Watson zur Seite steht.
Manuel Mairhofer spielt ihn nicht nur als coolen Langhaarigen mit Bowler, er führt auch als Erzähler durch diesen irrwitzigen Zweiakter mit 20 Szenen, sorgt wie nebenbei für den Wechsel der einfallsreichen Kulisse (ebenfalls von Jan Müller): Eben noch spielt das Stück im Bahnhof Kings‘ Cross, schon sitzen die beiden Ermittler mit der Lady im Zug, um dann in der böhmischen Botschaft zu landen.
Katy Karrenbauer und Alexis Kara spielen in Komödie Winterhude mehr als 20 Rollen
Spätestens hier hat Katy Karrenbauer als Haushälterin Hilda ihren großen Auftritt. Die Schauspielerin, wie Sosniok in den 90ern in einer RTL-Kultserie („Hinter Gittern – Der Frauenknast“) populär geworden und später bei den Karl-May-Spielen im Einsatz, hat in „Der Fall Moriarty“ gleich neun Rollen. Mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme nimmt man(n) ihr spielend auch den eingangs erwähnten Polizisten oder einen coolen Barkeeper in der Londoner Unterwelt ab.
Übertroffen, nicht nur zahlenmäßig, wird sie noch von Alexis Kara. Was er aus seinem Dutzend Nebenrollen schöpft, erweist sich als ganz große Kunst. Ob als Ganove, ungeduldiger böhmischer König, unwirscher Gepäckträger, lallender Schaffner, kleinwüchsiger Inspektor oder Sherlock Holmes‘ dominanter Bruder Mycroft (!) – fast jeder (Kurz-)Auftritt Karas ist ein Brüller. Die komödiantische Krone setzt sich der vielen nur als Kunstfigur Dennis Knossalla (ZDF-„heute-show“) bekannte Schauspieler als Professor Moriarty auf: Mit Bärtchen, in weißem Anzug und in Glitzerschuhen provoziert er in sächselndem Dialekt den Showdown mit Sherlock und Co. Wann hat es mal eine derart komische Schießerei mitten im Winterhuder Saal gegeben?
Da sind dann auch Dialoglängen im ersten Akt von Ludwigs Stück vergessen. Ebenso der Umstand, dass es in Hamburger Ohren durchaus nerven kann, wenn die Regisseure Cockney-Jungen (verkörpert von Antonucci und Karrenbauer) permanent berlinern lassen. Wie schon in seiner Krimi-Komödie „Baskerville“ (nach Sir Arthur Conan Doyles Vorlage „Der Hund von Baskerville“) 2018 im Altonaer Theater hat Ken Ludwig auch für „Der Fall Moriarty“ rund 30 Nebenrollen geschrieben.
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Aber wohl noch nie war der literarisch fast 140 Jahre alte Sherlock Holmes so komisch, vielmehr das, was sich um ihn herum abspielt. Und das Fazit, das der US-Autor aus dem Swing State Pennsylvania Holmes in den Mund gelegt hat, klingt erstaunlich ernst und aktuell: „Trotzdem sind wir der Wahrheit verpflichtet und dürfen denen, die uns mit einfachen Antworten auf schwierige Fragen für ihre Zwecke missbrauchen wollen, keinen Glauben schenken. Sonst wird diese Welt ein böses Ende nehmen“, sagt der Meisterdetektiv. Persönliches Happy End dennoch nicht ausgeschlossen..
„Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty“ bis 8.12., und wieder 27.12.2024–12.1.2025, täglich (außer Mo) 19.30, So 18.00, Komödie Winterhuder Fährhaus (U Hudtwalckerstraße), Hudtwalckerstr. 13, Karten zu 25,- bis 43,- unter T. 040/48 06 80 80; www.komoedie-hamburg.de
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