Hamburg. Die italienische Mezzosopranistin zeigt bei der Aufführung von Glucks Oper alle Qualitäten ihrer Stimme. Nur eins darf sie nicht tun.

  • Zur dramatischen Wirkung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ trägt die effektvolle Lichtregie bei.
  • Cecilia Bartoli als Orfeo bringt ihren Mezzosopran mal zum Glühen, mal dämpft sie ihn zum fast unhörbaren Pianissimo ab.
  • Die Sopranistin Mélissa Petit singt die Euridice erschütternd zart.

Eigentlich braucht es nicht viel, um aus einer konzertanten Opernaufführung eine halb szenische zu machen. Bei Glucks „Orfeo ed Euridice“, mit Cecilia Bartoli als Hauptact, ist es vor allem eine effektvolle Lichtregie.

Als der Chor auf die Bühne kommt, ist der Große Saal der Elbphilharmonie dunkel gedimmt. Die Sängerinnen und Sänger von „Il Canto di Orfeo“ tragen Kerzen in den Händen, sie schreiten als Trauerzug um das Orchester herum – und um Eurydike (Mélissa Petit), die scheinbar leblos vorne am Bühnenrand liegt. Ein starkes Bild, diese Prozession.

Elbphilharmonie: Cecilia Bartoli zeigt in Glucks „Orfeo ed Euridice“ alle Qualitäten ihrer Stimme

Damit ist der tragische Grundton des Stücks gesetzt, das vom zweimaligen Tod der Eurydike erzählt. Und vom Leiden des Orpheus, der die geliebte Gattin erst mit seinem Gesang ins Leben zurückholt – und sie dann doch wieder verliert, weil er das Gebot Amors bricht, sie auf keinen Fall anzuschauen. Wenn Orpheus den Furien begegnet, stehen die Mitglieder des Chores im Orchester, diesmal mit Taschenlampen bewaffnet. Im Rhythmus der Akzente zucken die Lichter ins Gesicht, lassen Fratzen aufblitzen. Glucks Musik fährt Geisterbahn.

So packend wie das Bühnengeschehen ist die Interpretation. Dirigent Gianluca Capuano führt den Chor und das Orchester „Les Musiciens du Prince – Monaco“ mit präzisen Gesten durch die straffen Tempi. Er reizt die Sounds der historischen Instrumente aus und spitzt Kontraste zu. Beim Gang in die Unterwelt schmettern Trompeten und Hörner, das Donnerblech rauscht. Aber es gibt auch weiche Farben. Wie das Solo der Traversflöte, hinreißend gespielt von Pablo Sosa.

Mélissa Petit singt als Amor kokett und als Euridice erschütternd verletzlich

Manchmal scheinen Orchester und Chor den Solistinnen fast die Show zu stehlen. Aber eben nur fast. Denn da stehen ja zwei großartige Hauptdarstellerinnen auf der Bühne. Die Sopranistin Mélissa Petit, vor über zehn Jahren noch im Opernstudio der Hamburger Staatsoper, hat seither an stimmlicher Wärme und Fülle dazugewonnen, ohne ihre Wandlungsfähigkeit einzubüßen. Als Amor singt sie keck und kokett.

Und als Eurydike erschütternd. Ihr Klang wirkt zart und verletzlich, als sie, aus dem Tod erwacht, mit Orpheus vereint ist und ihn anfleht, sie anzuschauen. Herzzerreißend. Man leidet mit ihr. Aber auch mit Orpheus, belebt von Cecilia Bartoli. Ihr Mezzo-Timbre ist betörend und nuancenreich. Manchmal glüht die Stimme vor Verzweiflung, und dann singt sie so zart, als läge ein Dämpfer auf der Stimme. Ihr Orpheus ringt mit den Händen, hält sich die Augen zu, um die Geliebte nicht anzusehen – und bricht zusammen, als Eurydike ein zweites Mal stirbt, nachdem er sie doch angeschaut hat.

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Die ergreifende Aufführung folgt der zweiten Fassung von Glucks Oper und verzichtet auf ein Happy End. Sie schließt mit dem Bild der toten Eurydike, umringt vom Chor der Trauernden, in einem der wohl leisesten und anrührendsten Pianissimo-Momente, die dieser Saal je gehört hat.

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