Hamburg. Der Hamburger Filmemacher Matthias Glasner hat eine Miniserie über Terrorhysterie gedreht. Beim Dreh im Großen Saal wurde getrickst.

Matthias Glasner (59) befindet sich in einer ziemlich guten Phase seiner Karriere. Für das Drehbuch von „Sterben“ erhielt er zuletzt den Silbernen Bären der Berlinale. Fürs Erste hat der Hamburger nun den Sechsteiler „Informant – Angst über der Stadt“ inszeniert. Hier spricht er über die Dreharbeiten im großen Konzerthaus. Und über eine unbegründete Sorge.

Die britische Serie „Informer” ist Vorbild der Serie. Wie sehr ist „Informant” die deutsche Version davon? 

Matthias Glasner: Mir wurde das Projekt angeboten von der Firma, die die Rechte von „Informer“ hatte. Das ist ja im internationalen Markt sehr üblich, dass erfolgreiche Serien noch mal gemacht werden. Ganz viele deutsche Serien sind Remakes, „Stromberg“ ist eigentlich „The Office“ und so weiter.

Nur beim „Tatortreiniger“ …

… war es umgekehrt, genau, eine deutsche Serie, die es geschafft hat, ein Original zu sein, das dann von anderen nachgemacht wurde. Das ist natürlich toll. Bei „Informer“ habe ich die Bücher gelesen, und die waren sehr, sehr gut geschrieben. Aber es war eine ganz klassische Ermittler-Serie in den klassischen Fahrspuren, mit falschen Verdächtigen und dem Üblichen, ich wollte mich mehr auf die afghanische Familie und ihr Drama konzentrieren.

Neue Serie „Informant“ im Ersten: Angst vor dem Terror führt zu neuen Ängsten

Welche Geschichte wollen Sie erzählen? Die Geschichte von einem hysterischen Staat oder die Geschichte von der Schwierigkeit, der Terrorgefahr von Staats wegen zu begegnen?

Ich wollte etwas darüber erzählen, wie diese Angst vor dem Terror und dem Fremden vor allem zu neuen Ängsten führt und wie das ein System aushebelt, das damit nicht umgehen kann. In meinem Film geht es auch um ein gesellschaftliches Scheitern. Für mich ist „Informant“ tatsächlich ein Film, der viereinhalb Stunden lang ist und jetzt in sechs Teilen ausgestrahlt wird. Es ist ein Film mit einem Anfang und mit dem Ende, ohne Serien-Dramaturgie.

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Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner (links) mit seinem Hauptdarsteller Jürgen Vogel. © picture alliance / ABBfoto | Pa

Wie reizvoll fanden sie das Setting Elbphilharmonie?

So reizvoll, dass für mich klar war, entweder wir dürfen da drehen oder wir machen das ganze Projekt nicht. Für mich ist die Elbphilharmonie ein Symbol, das man ungeheuer aufladen kann. Großes Konzerthaus, jüdischer Dirigent, muslimische Geigerin. Das als Anschlagsziel macht total Sinn. Die Elbphilharmonie war am Anfang sehr zögerlich, ob sie uns hier drehen lassen. Und dann wurde ich immer gefragt, ja, wo macht man es dann, Laeiszhalle, Volksparkstadion? Hätte nicht gepasst. Filmisch, ästhetisch ist die Elbphilharmonie einfach reizvoll. Wir haben drei Nächte dort gedreht.

Mit vielen Komparsen.

Mit ganz vielen Statisten, aber nicht 2000: Der Raum wirkte durch die Kameraführung auch mit weniger Menschen voll. Aufwendig war es dennoch, der Große Saal ist architektonisch sehr komplex. Wir haben unsere Statisten immer hin- und hergeschoben, sie mussten dann immer etwas anderes anziehen, das war durchaus auch lustig.

Wie gut kennen Sie das Sicherheitskonzept der Elbphilharmonie?

Als wir mit der Produktion begannen, war das Konzerthaus gerade dabei, sein Sicherheitskonzept zu überarbeiten. Es war also wichtig, dass die Serie deutlich später erscheint, wir haben vor einem Jahr gedreht, damit es nicht so aussieht, als hätten wir sie mit unserer fiktiven Geschichte nervös gemacht. Das war nicht der Fall. Ansonsten ist so ein Sicherheitskonzept natürlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Haben Sie auch mal kurz darüber nachgedacht: Okay, ich mache hier ein Szenario mit einer Bombe in diesem Konzerthaus. Nicht, dass ich da Leute auf dumme Ideen bringe!

Bei Terroristen ist es bedauerlicherweise so, dass das Erwartbare das Letzte ist, was sie tun würden. Sie wiederholen sich auch nie in dem, was sie tun. Das ist das Denken der Terroristen, dass sie natürlich versuchen, da anzugreifen, wo sie nicht erwartet werden. Wahrscheinlich ist die Elbphilharmonie jetzt eher ein sichererer Ort als andere.

Neue Serie „Informant“ im Ersten: Die Lebenswirklichkeit von Deutschafghanen

„Informant“ taucht in deutsch-afghanische Lebenswelten ein. Wissen wir genug über die?

Das ist ein Hauptgrund, warum ich das machen wollte. Durch diese Thrillerserie konnte ich eine afghanische Familie in deutsche Haushalte bringen. Mit einem fast dokumentarischen Realismus, mir war Genauigkeit da sehr wichtig. Ich habe das auch nicht alleine gemacht beim Drehbuchschreiben. Bei meinen Recherchen hatte ich auch Berater; die habe ich bis zum Letzten ausgefragt, über jedes Detail in der Wohnung, in der Psychologie, im Verhalten der Figuren. Ich habe die Familie dennoch erst mal als eine Familie geschrieben, ohne Ansicht der Herkunft, mit allen Konflikten, die es in jeder Familie gibt. Zwischen Vater und Sohn, also den jungen Leuten, die versuchen, sich etwas aufzubauen, die Angst haben, dass sie scheitern und die nicht genau wissen, wer sie sind. Ich wollte nicht, dass im deutschen Fernsehen eine afghanische Familie typisiert wird. Das ist ja das eigentlich Interessante, die Ebene, auf der wir uns doch alle so ähnlich sind, mit ganz ähnlichen Konflikten und Sehnsüchten und Ängsten. Dann wiederum habe ich das alles präzisiert, sie in ein ganz konkretes Lebensumfeld situiert, mit dem Rassismus, dem sie begegnen.

Die Polizisten in der Serie reden nicht unbedingt politisch korrekt.

Ich hab auch mit Ex-Polizisten gesprochen, weil die ein bisschen offener sind. Das habe ich schon gemacht für meine Serie „Blochin“. Ich weiß, welche Animositäten es zwischen LKA und BKA gibt. Der BKA-Chef in „Informant“ ist eine Figur, bei der ich mir zum ersten Mal im Leben vorgenommen habe, ein richtiges, Pardon, Arschloch zu schreiben (lacht), weil ich dachte, es gibt sie halt, diese Männer, es sind die, die es weit nach oben in der Hierarchie schaffen. Es sind Netzwerker, die immer nach oben fallen und dieses System in das Gegenteil dessen verkehren, wofür es eigentlich gedacht ist, nämlich um das Individuum zu schützen. Stattdessen zerstören sie es.

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Ihr Ermittlerduo ist speziell.

Gabriel Bach und Holly Valentin haben nicht das normale Frotzelverhältnis wie die Ermittler im „Tatort“. Meine beiden Polizisten reden nur minimal miteinander. Aber sie brauchen sich, um diesen Fall zu lösen, und gerade Holly ist nie ganz klar in ihren Intentionen, bis sie sich am Ende doch entscheidet, wie sie ihrem Kollegen gegenüber steht. Aber da ist es zu spät.

Hätten sie Lust gehabt, den Stoff auch in zehn Teilen vielleicht zu erzählen, mit mehr Raum für Backstorys etwa?

Na ja, man kann das Glas halb voll oder halb leer sehen. Ich habe viereinhalb Stunden für die Geschichte, das sehe ich erst mal als ungeheuren Gewinn. Die Form der sechsteiligen Miniserie ist eine, die schon Sinn ergibt und auch international gang und gäbe ist. Was „Informant“ angeht, ist mein allergrößter Wunsch, dass man diesen „Film“ am Stück schaut. Nicht als einzelne Teile wie eine Serie.

Es gibt im Streaming eine irre Konkurrenz. „Informant“ muss auch in der Mediathek performen. Spüren Sie da Druck? 

Nicht wirklich. Man kann angesichts der Vielzahl an Produktionen sowieso nicht wirklich beeinflussen, wie erfolgreich die eigene Serie wird. „Blochin“ war bei der Ausstrahlung im Fernsehprogramm gar nicht so erfolgreich. Aber in den Mediatheken sind die Aufrufzahlen von „Blochin“ seit 10 Jahren gut. Da gibt es also eine Hoffnung, dass auf der langen Strecke, wenn etwas gut ist, sich das auch durchsetzt, mit den neuen Möglichkeiten der Verbreitung.

„Informant – Angst über der Stadt“ ist ab 11. Oktober in der ARD-Mediathek abrufbar. In der ARD wird der Thriller am 16. (Teile eins bis drei) und 17.10. (Teile vier bis sechs) jeweils ab 20.15 Uhr ausgestrahlt.

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