Hamburg. Mike Wappler war erst Zuhälter, dann Betrüger. Ein Film widmet sich nun dem Hochstapler, der aus einer anderen Zeit zu stammen scheint.

Der untersetzte Mann, der mit unentwegt leicht spöttischem, immer musterndem Blick in die Kamera blickt, aber auch sonst immer unterwegs ist, erzählt stolz. Kann man nicht anders sagen. Kein Unrechtsbewusstsein. Keine Reue. Arme Leute hat er ja nie ausgenommen, nur die Reichen. Die oben, nicht die unten. Das gehört zum Markenkern von Peter „Mike“ Wappler. Eine Marke ist der Mann geworden, der in dieser Doku auf Amazon Prime porträtiert wird, als insbesondere „Bild“ begann, über seine Betrügereien und die dazugehörigen Prozesse zu berichten.

„Milliarden Mike“ war geboren, so heißt auch dieser Film, der von Christian Beetz and Georg Tschurtschenthaler produziert wurde. Sie arbeiteten zuletzt bei „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ zusammen. Dass der Kiez mit seinen Gewächsen ein ertragreiches Feld ist, dürfte die Produktionsfirma Beetz Brothers spätestens da realisiert haben. Neben „Milliarden Mike“ ist auf Amazon Prime derzeit auch der neue dokumentarische Vierteiler „German Cocaine Cowboy“ abrufbar.

„Milliarden Mike“ auf Amazon Prime: „Man blendet wie ein Scheinwerfer“

Also, Milliarden-Mike Peter Wappler. Der Mann, der in diesem True-Crime-Highlight in jeder Szene zu sehen ist, dabei aber nicht immer genau er selbst ist. Oft wird er von einem Schauspieler dargestellt. Die Spielszenen machen den Film, der auf Amazon Prime zu sehen ist, zur Komödie. Und eine Komödie, mit deutlich kriminellem Einschlag, ist das Leben von Wappler, der fast 20 Jahre im Gefängnis war, von Lübecker Sinti abstammt, kaum schreiben und lesen kann, am Ende dann vielleicht doch tatsächlich gewesen.

„Milliarden Mike“ auf Amazon Prime Video: Zu Originalaufnahmen etwa vom Kiez aus früheren Jahren und Szenen mit dem Original-Peter-Wappler gesellen sich Spielszenen mit Schauspielern. © Brothers Film Production GmbH | Brothers Film Production GmbH

In einer älteren Filmaufnahme zeigt er einen Kontoauszug mit einem Guthaben von 14 Millionen Euro. Wie er, zumindest vorübergehend, ab dem Jahr 2000 mit diversen größeren Betrügereien an diese enorme Summe kam, ist nicht en detail Gegenstand dieses Amazon Prime-Filmporträts. Aber ein bisschen was erfährt man schon, und es stellt sich der Effekt beim Betrachter ein, den Wappler zuallererst schon bestens kennt: totaler Unglaube.

Wie dieser Mann („Wie überzeugt man? Man blendet wie ein Scheinwerfer“, „Da kauft man sich auch mal nen Adelstitel, wer kommt schon auf die Idee, von einem Baron beschissen zu werden“) auf Leichtgläubige stieß, denen er Sachen verkaufte, die er gar nicht besaß. Alles reine Luftnummern. Menschen sind manchmal dumm, auch und gerade die gierigen.

„Milliarden Mike“ im Film auf Amazon Prime: Die originelle Entourage eines Selbstdarstellers

Man sieht in dieser gut ausgeleuchteten Doku diesen sich stets aufputzenden Selbstdarsteller aus Prinzip in dicken Autos, im Pool auf Mallorca, beim Kontakteknüpfen in Dubai. Er will einen großen Boxkampf auf die Beine stellen. Seine Entourage ist, sagen wir: originell, in jedem Fall servil. Ein ehemaliger Ruderweltmeister, der ihm hilft, auf Social Media aktiv zu sein. Ein Rapper, der ein Lied über Milliarden-Mike schreibt. Eine Expartnerin, die jetzt als seine Managerin auftritt. „Er glaubt manchmal tatsächlich, er sei Milliarden-Mike, und das ist sein Erfolgsgeheimnis“, sagt sein mit ihm befreundeter Anwalt einmal und lacht.

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Warum sollte Wappler, den junge Menschen am Ballermann erkennen, weil sie seine TikTok-Videos gesehen haben, das auch nicht glauben? Gerade in dem Moment, in dem sogar noch eine Doku über ihn gedreht wird? Mit fast 70 ist er nur scheinbar ein Mann aus einer anderen Zeit, der seine Gaunereien heute so sicher nicht mehr durchziehen könnte. Als Wappler – im Nebenberuf übrigens auch noch eine Art Straßenphilosoph: „Jeder Mensch ist auf eine Art Betrüger“ – vom Milieu ins Hochstaplerfach wechselte, war er seiner Zeit voraus. Lude zu sein, das lohnte nicht mehr.

Doku über Hamburger Hochstapler auf Amazon Prime: „Weil ich Milliarden-Mike bin“

Und in die Gegenwart mit ihren vielfältigen digitalen Möglichkeiten der Selbstinszenierung passt diese eitle Figur natürlich doch. Unanständig ist Milliarden-Mike in jedem Fall als jemand, dem Lügen gar nichts ausmacht, der durchaus einen narzisstischen Touch hat; da ist er einer wie Trump. Aber Milliarden-Mike ist amüsanter. Sein Sohn erzählt übrigens, wie wichtig dem Vater sein Studium sei. So viel Glaube an die Vernunft muss schon sein. „Sicher hab‘ ich vorgehabt, wie ein Spießer zu leben, aber es war nicht mein Ding, weil ich Milliarden-Mike bin, ein Verbrecher, ganz einfach“, sagt Wappler einmal.

Für einen unterhaltsamen Porträtfilm gibt sein Leben genug her. Einmal wurde er angeschossen, einmal entkam er beim Freigang aus der Haft. Und einmal bedrohte er einen kritischen Journalisten, was die Doku nicht aussparen will. Ein Vorbild für die Jugend ist Milliarden-Mike in vielerlei Hinsicht nie gewesen. Mit dem Amazon-Film könnte Peter „Mike“ Wappler noch mal neue Popularität erlangen. Geld kann er gut gebrauchen. Er soll ja Schulden haben, wie in dem Film angedeutet wird. Logisch, dass dieser Meister des Scheins darüber nicht redet.

„Milliarden Mike“ ist ab dem 17. November auf Amazon Prime abrufbar.

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