Hamburg. Die Eröffnung mit Lesungen von Claire Douglas und Constantin Schreiber war lustig und gruselig. In Joja Wendts Händen wurde das Publikum zu Wachs.
Am Dienstag herrschte immerhin halbwegs gutes Gruselwetter in Hamburg: Es war schneidend kalt, draußen war es düster. Donnergrollen oder sonstige Unwetter herrschten auf Kampnagel zwar nicht, aber das ersetzte die Eröffnung des Hamburger Krimifestivals spielend mit einer Lesung der britischen Autorin Claire Douglas: „Der Regen sammelte sich in Bächen zu beiden Seiten ihrer Windschutzscheibe und raubte ihr fast vollkommen die Sicht, obwohl die Scheibenwischer auf Hochtouren liefen“, heißt es in ihrem Roman „Girls Night“ schon auf der ersten Seite.
Perfekte herbstliche Voraussetzungen, um sich – eingemummelt unter der Kuscheldecke – einen Thriller zu genehmigen. Stattdessen fanden sich Hamburgs Spannungs-Connaisseure reihenweise auf Kampnagel ein, in der Halle k6 nahm nach der Begrüßung durch die Veranstalter (Hamburger Abendblatt, Buchhandlung Heymann, Kampnagel) zunächst Pianist Joja Wendt Platz.
Hamburger Krimifestival: Joja Wendt rahmt die Eröffnung musikalisch und komödiantisch
Gerahmt wurde die Eröffnungslesung (eine von zweien übrigens: parallel las „Tagesschau“-Sprecher Constantin Schreiber in der fast ausverkauften Halle k2 aus seinem Krimidebüt „Kleopatras Grab“) durch ein musikalisches Programm. „The Sheik of Araby“ klang in Joja Wendts Interpretation mal dunkel, mal unstet und mal drollig – zwischendurch warf der Pianist ein schelmisches Lächeln in das recht schnipssichere Publikum, mit gekonnter Lässigkeit wirbelten seine Finger beim „Boogie-Woogie“ über die 88 Tasten („Wichtig, falls ihr mal bei Günther Jauch seid“). Edvard Grieg wurde zuletzt als durchaus Wacken-würdige Metal-Version gehämmert (das szenetypische „Stank Face“ beherrscht Wendt einwandfrei), bevor es dann unter Gelächter zur ernsteren Portion des Abends überging.
In Claire Douglas‘ „Girls Night“ folgt der eingangs beschriebenen Szene (selbstverständlich) ein Autounfall. Der Twist: Als Fahrerin Olivia zu sich kommt, sind ihre drei Freundinnen spurlos verschwunden. 20 Jahre später ist der Fall immer noch ungelöst, Olivia lebt bei ihrer Mutter, hat noch immer denselben Freund und leidet unter psychischen Problemen – sie lebt im Stillstand. Neuer Wind kommt in den Fall, als die Journalistin Jenna zur Aufnahme eines True-Crime-Podcasts in das britische Hinterland fährt und beginnt, den Hintergründe des Unfalls mithilfe eines örtlichen Polizisten neu aufzudröseln.
Claire Douglas’ Krimi „Girls Night“ ist in Teilen autobiografisch inspiriert
Die NDR-Moderatorin Anouk Schollähn führte durch den Abend. Nach einem kurzen englischsprachigen Abschnitt, gelesen von Claire Douglas, übernahm die Schauspielerin Anne Schäfer das Vorlesen. Schäfers‘ persönliche Erfahrung als Detektivin im ARD-„Barcelona-Krimi“ setzte sie dabei gekonnt ein, las mit rauer Stimme, klarer Artikulation und überzeugendem Gestus.
„What if I was driving and something happened?“ Diese Frage habe sich Douglas gestellt, denn in ihrer Jugend sei sie mit ihren Freundinnen abwechselnd in benachbarte Dörfer zu Pub- und Clubbesuchen gefahren, erzählte die Autorin. Für das Setting habe sie einige reale Orte zu einem fiktiven vermischt. Das Ergebnis: ein „Devil‘s Corridor“ (die unsägliche Unfallstraße), mystische Steinerhebungen und ein verschlafenes, esoterisches Dorf „Stafferbury“, in dem jeder jeden kennt.
Toxische Beziehungen: Die Stärke des Krimis liegt in den zwischenmenschlichen Beziehungen
Douglas selbst arbeitete jahrelang als Journalistin, habe anders als ihre Figur Jenna aber nie einen Podcast produziert. „I researched it by googling it“, gab die Britin ganz offen zu. In ihre Protagonistinnen Jenna und Olivia floss allerdings einiges von ihr selbst ein, vielleicht sind sie deshalb charakterlich so überzeugend geschrieben.
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Die Handlung, so ehrlich muss man sein, ist nicht immer zu hundert Prozent schlüssig. Das Erzähltempo variiert stark, Personen agieren nicht immer nachvollziehbar, und beschreibende Szenen sind oft ausufernd. Die wahre Stärke des Romans liegt in der Zwischenmenschlichkeit. Einerseits sind das die Entwicklungen zwischen Jenna und ihren Interviewpartnerinnen, aber vor allem die toxischen Beziehungen der Protagonistinnen zu ihren Partnern polarisieren beim Lesen.
Zugabe von Joja Wendt: Das Publikum ist Wachs in seinen Händen
So bleibt das Krimi-Potenzial in „Girls Night“ hinter den spannenderen zwischenmenschlichen Entwicklungen zurück, bildet jedoch insgesamt eine unterhaltsame Lektüre, die am Dienstag durchweg unterhaltsam präsentiert wurde. Joja Wendt sorgte nach der Lesung für einen wunderbaren Abschluss der Veranstaltung. Er witzelte, spielte, erhielt (leicht forcierte) Standing Ovations und gab sogar noch eine Zugabe. Das Publikum war Wachs in seinen Händen.
Sowohl lustig als auch spannend ging es derweil in der Nebenhalle bei „Tagesschau“-Sprecher und Bestsellerautor Constantin Schreiber zu: Um Punkt 20 Uhr hieß es „Guten Abend, meine Damen und Herren“, bevor Schreiber mit Moderatorin Maike Schiller (Hamburger Abendblatt) über seine persönlichen Erfahrungen in Syrien und Ägypten, die Faszination für Geheimgesellschaften, das alte und das neue Ägypten, über die Nase von Kleopatra und Mumienpulverpartys plauderte.
Für „Kleopatras Grab“ ist schon eine Fortsetzung geplant, verriet der Autor: Schreibers nächster Ägypten-Krimi, „Echnatons Fluch“, erscheint im Mai 2025. Und das Hamburger Krimifestival gibt bis zum Sonnabend noch reichlich weitere Lektüretipps für den Rest der dunklen Jahreszeit.
Hamburger Krimifestival, bis 9.11., Kampnagel, Jarrestraße 20–30, div. Uhrzeiten, Karten ab 15 Euro bei Heymann, in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Gr. Burstah 18–32, T. 040/27 09 49 49 und unter www.krimifestival-hamburg.de
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