Hamburg. Es kratzt, klackt und schleift, manchmal ist die Musik sogar tonlos. Wie Organistin Iveta Apkalna später für einen Kontrapunkt sorgt.
Dass Nationalhymnen immer wieder in den Fokus von Kritikern aller Couleur geraten, liegt nun einmal in der Natur der Sache. Bei unserer deutschen Hymne kann der gute alte Joseph Haydn noch nicht mal was dafür, dass das Thema seines Streichquartetts op. 76,2 dafür ausgewählt und mit Hoffmann von Fallerslebens nicht mehr zeitgemäßem Text ausgestattet wurde. Während andere Komponisten wie etwa Stefan Heucke Haydns Variationssatz gleich eigenen Variationen unterzogen, verwandelte der im kommenden Jahr 90 Jahre alt werdende Helmut Lachenmann nur fragmentarische Elemente davon in seinem als „Tanzsuite“ bezeichneten „Deutschlandlied“ für Orchester und Streichquartett.
Das vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter Kent Nagano und dem phänomenalen Quatour Diotima am Sonntagvormittag in riesiger Besetzung aufgeführte Stück verweigert sich seiner Vorlage, indem es voller Brüche, Dissonanzen und Verzerrungen nur kleinste Elemente davon verarbeitet. Die Melodie selbst ist für den willigen, aber hilflosen Zuhörer ebenso wenig klar herauszuhören, wie die 17 Sätze ohne Pausen voneinander zu trennen sind.
Meisterhaft in der Elbphilharmonie: Nagano und die Philharmoniker spielen Lachenmann
Kratzende oder klackende Geräusche, mit denen das überzeugend spielende Quatour Diotima das Werk eröffnete, gingen in einen Chor von schleifenden Glissandi der Orchesterstreicher über, die später sogar tonlos ihre Bögen über die Schnecken ihrer Instrumente gleiten lassen mussten. Schrille Piccoloflöten, dumpfe Akzente eines Pianisten auf einem präparierten Flügel oder sphärische Klänge durch angestrichene Schlagwerk-Becken verbargen auch die von Lachenmann persiflierten Satzbezeichnungen Siciliano, Tarantella oder Walzer hinter Verfremdungen. Es war meisterhaft, wie Nagano und die Philharmoniker das filigrane Geflecht dieses Werkes in allen Abstufungen und Klangperspektiven präsentierten und das Publikum nach der Pause dann mit der romantischen „Orgelsymphonie“ op. 78 von Camille Saint-Saëns ein wenig versöhnten.
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Die Rolle der Titularorganistin Iveta Apkalna war hier etwa mit Akkordfolgen im Adagio-Abschnitt, über das sich ein elegisches Streicherthema legte, oft auf die Veränderung der orchestralen Klangfarbe beschränkt, bevor sie mit markigen Orgelakzenten später ein hymnisches, fast pathetisches Finale in Gang setzte, das mit strahlenden Blechbläsern und Beckenschlägen einen krassen Gegensatz zu Lachenmanns Hymnen-Verständnis bildete.
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