Hamburg. Der Sänger und Schauspieler hat mit neuem Programm Hamburg-Premiere im St. Pauli Theater. Von einem Fan wird er am Ende überrascht.
In Hamburg zu Hause ist Tim Fischer schon seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr, seit er die Hansestadt verließ, um in Berlin sein Glück zu finden. Auf dem Hamburger Kiez hat der gebürtige Niedersachse im St. Pauli Theater jedoch seine neue zweite künstlerische Heimat gefunden. Hier taucht der Chanson-Star regelmäßig auf.
Nachdem sein Stück „Ich bin die Leander – Zarah auf Probe“ 2021 auf St. Pauli Uraufführung erlebt hatte, folgt hier jetzt die Hamburg-Premiere seines neuen Abends. Er soll sich in den Liedern um das Thema Glück drehen, erläutert Tim Fischer nach dem Instrumental-Intro von Thomas Dörschel und dem ersten Lied „Mein Kompliment“.
Theater Hamburg: Was Chanson-Star Tim Fischer wirklich „Glücklich“ macht
Mit dem Berliner Pianisten, stilsicher in Frack und Fliege am Flügel, hat Fischer schon 1994 zusammengearbeitet. Dass der erfahrene Dörschel alle Songs arrangiert hat, macht Fischer spür- und hörbar „Glücklich“. Der im ersten Teil folgende Song hat dem neuen Programm auch den Titel gegeben. Es umfasst mal eben ein Jahrhundert. Und Fischer gibt im schwarzen Pailletten-Anzug, mit funkelnden Silberohrringen, Augen-Make-up und rot geschminktem Mund die Diva.
Beim „Hobellied“ und dem von Michael Jary komponierten „Liebster“ zieht Fischer zwischen den Takten genussvoll an der Zigarette – bei ihm gereicht auch das zur Kunstform. Und huldigt danach dem ulkigen „Schweinelied“ seiner Kollegen Georgette Dee und Terry Truck. Für die größte Begeisterung im ersten Teil sorgt Fischer aber mit einem Klassiker des modernen Wiener Lieds: Ludwig Hirschs Todessehnsuchtsballade „Komm, großer schwarzer Vogel“ interpretiert er im schwarzen Zottelmantel mit flügelgleichen ausgebreiteten Armen in einer Art Flüstergesang.
Tim Fischer: Schon zu Beginn der zweiten Hälfte tobt der Saal
Es spricht für Fischers Qualitäten und seine Vorliebe für Kontraste, dass er diese Melancholie noch vor der Pause und gleich danach mit zwei Liedern Friedrich Hollaenders vertreibt. In „Ich muss immer lachen dabei“ mit Zeilen wie „Auch im Bett bin ich ein Erlebnis, doch leider ohne Ergebnis“ werden Frivolitäten dezent angedeutet. Und mit „Stroganoff“ aus der 1950er-Jahre-Kabarettrevue „Es ist angerichtet“ macht einem Fischer mit russischem Akzent fast noch den Kalten Krieg schmackhaft. Der Saal tobt schon zu Beginn der zweiten Hälfte.
Mit Tucholskys „Lied von der Gleichgültigkeit“ bremst Fischer seine Fans erst mal. „Das Glück macht jetzt mal Pause“, kündigt der Entertainer an. Und das nicht nur für zwei, drei Lieder. Keine Spur mehr vom liederlichen Glück. Alles Etikettenschwindel?
Stattdessen verzückt Fischer das hanseatische Publikum mit Georg Kreislers „Der Weihnachtsmann von der Reeperbahn“ und Lale Andersens „Die Dame von der Elbchaussee“ aus Blankenese. Genüsslich lässt Fischer sie über den „ssspitzen Ssstein ssstolpern“ und die Dame im Sommer ganz ohne Gatten zum Badeurlaub nach Norderney entfleuchen. Erstaunlich ist, wie fix Fischer dann zu zwei der renommiertesten zeitgenössischen deutschen Chansonniers kommt: Sebastian Krämer und Thomas Pigor.
Tim Fischer im St. Pauli Theater: Bei „Hitler“ läuft er zur Hochform auf
Bei Pigor & Eichhorns satirischen Songs „Der fette Elvis“ und „Hitler“ läuft Tim Fischer gesanglich und darstellerisch zur Hochform auf. So schnell wie er das rollende „R“ in seine Diktion eingebaut und das Hitler-Bärtchen angeklebt hat, hat er es wieder entfernt. Ebenso ungewöhnlich ist, den Gertenschlanken als fetten Elvis singend und posend zu erleben.
Tim Fischer singt die Lieder nicht nur, er spielt sie, erfüllt sie stets mit neuem Leben. Er ist und bleibt ein Schauspieler-Sänger. Er dankt alten und neuen Fans im nicht ganz voll besetzten Theater für ihre Energie und „dass Sie sich auf den Irrgarten der vielen Chansons eingelassen haben.“ Mehr als 25 sind es am Ende.
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Und vor der zweiten Zugabe, Kreislers Chanson „Kreuzworträtsel“, kann sich Fischer noch richtig geschmeichelt fühlen. Eine Besucherin aus der ersten Reihe hat den Künstler mit einem Schmusekissen beschenkt. Aufschrift: „Glücklich“. Es soll fortan immer auf Tournee mit dabei sein, sagt Tim Fischer, beinahe beseelt.
„Glücklich“ noch Mo 28.10. und Fr 1.11., 19.30, So 3.11., 18.00, St. Pauli Theater, Karten zu 17,90 bis 37,90 zzgl. Geb. in der Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle, Gr. Burstah 18-32; www.st-pauli-theater.de
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