Hamburg. Die Kremerata Baltica präsentierte das Concertino op. 42. Die Musiker mussten ohne Gidon Kremer auskommen.

Wo Gidon Kremer draufsteht, ist nicht immer viel Gidon Kremer drin. Der zweite Teil vom ersten seiner beiden „Schwerpunkt Weinberg“ Konzerte mit der Kremerata Baltica in der Elbphilharmonie fand ohne Beteiligung des Geigers statt, weil sein Arbeitspensum zeitgleich durch eine zehntägige Hommage im Berliner Konzerthaus offenbar gerade stark ausgereizt wird. Doch wir haben Weinberg-Jahr, und wenn ein Musiker sich lange vor vielen anderen für dessen entschiedene Neubewertung eingesetzt hat, dann Kremer.

Für die Vielfalt in Weinbergs Werkkatalog waren die beiden kammerorchestralen Werke des Abends klug gesetzte Musterexemplare. Das Concertino op. 42, mit Kremer als solistischen Ideenpräsentator vorneweg und mittendrin, zeigte Weinberg als freundlich versonnener Melodiker. Und schon hier hebelte Weinberg immer wieder die Konventionen aus: der zweite Satz als Kadenz mit zartbitter gehaltenen Tutti-Einschüben, das Allegro als weltverloren tänzelnder Schnee-Walzer auf zerbrechlich dünnem Eis. Hin und wieder kam Kremers Intonation dabei allerdings leicht ins Schlittern.

Wahl des Pianisten war sinnig und stimmig

Die folgende Zehnte Sinfonie, 1968 komponiert: ein zweieiiger Zwilling von Schostakowitschs Kammersinfonien. Leise, fahl, morsch und mürbe geradezu, durchdringend eigenwillige Musik. Formal mit den Baumustern des barocken Concerto grosso spielend, aber dennoch sehr gegenwärtig. Neben Kremers Soli kamen auch andere Streicher-Stimmführer kurz und prägnant zu Wort, bis hinab zum Kontrabass.

Kombiniert mit so vielen Aha-Momenten wirkte das 1. Klavierkonzert von Schostakowitsch fast berechenbar brav. Als Solist war der junge lettische Pianist Georgijs Osokins gerade deswegen eine sinnige und stimmige Wahl, denn nachdem der sich auf einen arg niedrigen Klavierhocker gefaltet hatte, fand er eine gut funktionierende Balance zwischen den virtuosen Abschnitten und den Anspielungen auf spätromantische Brillanz und berühmte Vorbilder.

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Von der Hochtourigkeit einer Yuja Wang, die dieses Opus 35 kürzlich zum Glühen gebracht hatte, war das einiges entfernt, für die kleinen, feinen Trompeten-Soli hatte Osokins mit Sergei Nakariakov einen verlässlichen Partner. Putzig und harmlos wurde es im Abbinder des Abends. Leonid Desjatnikovs Filmmusik zum Science-Fiction-Film „Target“ (2011) jonglierte verspielt mit Anleihen bei chinesischer Musik und Kurorchester-Nippes. Amüsante Gebrauchsmusik, bei der Osokins neben dem Flügel auch ein feuerrotes kleines Toy Piano zu bedienen hatte.

Nächstes Konzert: 29.10., 19.30 Uhr, Elbphilharmonie, Kl. Saal. Werke von Weinberg und Schostakowitsch und „The Chronicle of Current Events“, eine Musik-Visualisierung, die der Regisseur Kirill Serebrennikov gestaltet hat. Evtl. Restkarten. Doku-DVD: „Gidon Kremer - Finding Your Own Voice“ (Accentus, 24 Euro)