Hamburg. Ein Orchester, ein sensationelles Saxophon-Solo und gefühlvolle Texte: Wer weint nicht bei einem Konzert von Philipp Poisel?

Heulen in der Öffentlichkeit? Tja, das ist ja so eine Sache. Es gibt Menschen (ein Großteil von ihnen möglicherweise Männer), die würden sich wohl lieber eine rohe Zwiebel in die Augen reiben, bevor sie zugeben müssten, dass die Tränen emotionaler Herkunft sind. Und dann gibt es Menschen, die sich gekonnt wegdrehen oder mal kurz verschwinden, damit niemand ihre Rührung sieht. Und dann gibt es die Menschen, die sich auf ein Konzert von Philipp Poisel trauen.

Der Meister der Tränen kam am Mittwochabend in die Sporthalle in Hamburg – inklusive Orchester und der Sängerin Alin Coen. Die Hansestadt ist die vorletzte Station seiner „Neon Acoustic Orchestra“-Tour. Das gleichnamige Album erschien dieses Jahr im März und ist die Live-Version der Platte „Neon“, die Poisel im Jahr 2021 veröffentlicht hat.

Philipp Poisel in Hamburg in Jeans und weißem Hemd – und ohne viel Tamtam

Um 20.15 Uhr kommt der 41-Jährige in Jeans und weißem Hemd auf die Bühne, ohne Vorband, ohne viel Tamtam. Mit dem Song „Wunder“ eröffnet er das Konzert – und die sanften Klänge des Orchesters erfüllen die Halle. „Das Wunder seid ihr!“, begrüßt der etwas aufgeregt wirkende Poisel sein Hamburger Publikum, und bedankt sich für das zahlreiche Erscheinen.

3000 Menschen, überwiegend Pärchen oder befreundete Frauengruppen, haben sich in der bestuhlten Sporthalle eingefunden. Es ist die größte Show der Tour. „Ganz egal, wo du hingehst, ganz egal, was du machst, ganz egal, wie weit, wie weit du warst, ich hab‘ ich an dich gedacht“: Wenn der gebürtige Ludwigsburger solche Zeilen aus dem Song „Wie viele Sommer“ mit seiner zerbrechlichen Stimme singt, bleibt kaum ein Herz kalt.

So richtig gefühlvolle Stimmung kommt in der großen Halle nicht auf

Doch trotz der unverkennbaren Stimme, in der so viel Verletzlichkeit liegt, kommt nur begrenzt gefühlvolle Stimmung auf. Denn auch wenn die schlichten und warmen Lichter versuchen, für eine Wohnzimmer-Atmosphäre zu sorgen: Die Sporthalle scheint zu groß für große Gefühle.

In den ersten 30 Minuten spielt Poisel mit seinem Orchester ausschließlich Songs des neuen Albums. „Aiaiai, ich will die alten Lieder hören!“, hört man jemanden aus den hinteren Reihen murmeln. Der Wunsch sei Befehl: Beim Song „Halt mich“ aus seinem Debütalbum 2008 können seine Fans (endlich!) mitsingen. Und auch bei seinen wohl bekanntesten Liedern „Wie soll ein Mensch das ertragen“ mit über 60 Millionen Aufrufen auf Spotify und „Erkläre mir die Liebe“ beweisen die Konzertgängerinnen Textsicherheit.

Das Saxophon-Solo von Gabriele Maurer ist das musikalische Highlight

Nach circa eine Stunde sorgt die Ankündigung einer Pause für verwirrte Blicke unter den Gästen: Eine Pause? Bei einem Pop-Konzert? Nun gut. Nach etwa 20 Minuten geht es weiter und die zweite Hälfte ist sowohl musikalisch als auch atmosphärisch deutlich besser. Ein großes Highlight ist das Saxophon-Solo von Gabriele Maurer beim Song „Zu Weit“.

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„Ich will nur, dass du weißt, ich hab dich immer noch lieb“ – wer bis zu diesem Moment noch keine Träne verdrückt hat, holt es spätestens zu diesen Zeilen des Songs „Ich will nur“ nach. Die Fans sind sichtlich gerührt, singen lautstark mit, stehen auf, schwenken die Handytaschenlampen und liegen in den Armen ihrer Liebsten.

Philipp Poisel in Hamburg: Zum Abschluss tanzt der 41-Jährige Breakdance

Zum Schluss wird es nochmal wild: Poisel tanzt und springt zu seinem Song „Als gäbs kein Morgen mehr“, das Publikum tut es ihm gleich. Der Singer-Songwriter liefert sogar eine solide Breakdance-Performance auf der Bühne ab. Gegen 22.30 Uhr entlässt er seine Fans in die Hamburger Herbstnacht. Kann auch was Befreiendes haben, in der Öffentlichkeit zu weinen.