Hamburg. Der Erfolgsautor trat im Deutschen Schauspielhaus auf. Er traf dort einen Fan, der auch Bestseller schreibt. Und gut ranging.

Überrascht kann er kaum gewesen sein, der Robert Seethaler. Er dürfte wissen, dass seine Kollegin Dörte Hansen nicht nur genau wie er mit die beliebtesten und meistgelesenen Bücher des Landes schreibt, sondern auch lange Zeit als Journalistin gearbeitet hat. Wie lange Seethaler wiederum weiß, dass Dörte Hansen überdies ein großer Fan von ihm ist, klärte sich am Dienstagabend im Schauspielhaus nicht. Im Zweifel ist Seethaler sich dessen bewusst, seit das Harbour Front Festival ihn mit der Idee konfrontierte, als Moderatorin zu seiner Lesung niemand Geringeren als Hansen zu engagieren.

Also, die journalistische Expertise dieser Dörte Hansen. Da hat Seethaler, der in 40 Sprachen übersetzte Bücher geschrieben hat, millionenfach verkaufte wie „Ein ganzes Leben“, „Das Feld“ und gerade erst „Das Café ohne Namen“, eben noch gemeinsam mit Hansen hinter der Bühne gesessen, „zitternd wie ein Bündel“, wie der 57-Jährige den knapp 1200 Leuten im Theatersaal gestand. Selbst auftrittserprobte Erfolgsautoren gewöhnen sich nie ganz an groß dimensionierte Veranstaltungen. Und dann fragte Dörte Hansen tatsächlich seine biografischen Stationen ab, das halbe Jahr im Kibbuz auf der Truthahnfarm. Das Intermezzo als Physiotherapeut. Das abgebrochene Psychologiestudium.

Robert Seethaler in Hamburg: Es moderierte niemand Geringeres als Dörte Hansen

Letzteres kein Schaden, übrigens. „Nirgendwo“, sagte Robert Seethaler, „habe ich so wenig über den Menschen gelernt wie an der Uni.“ Erklärtermaßen hasst er auch Psychologisierungen in Romanen. Weshalb er es dann halt unterlässt. Wobei, der Einschub sei erlaubt: Natürlich verfügen seine Figuren, so auch im neuen Roman, über Psychologie. Sie setzt sich allerdings, weil Seethaler so kunstvoll Menschen, Situationen und Vorgänge arrangiert, unaufdringlich im Kopf des Lesenden zusammen.

Mehr zum Thema

Die 1960er-Jahre-Arbeiter-Welt am Wiener Karmelitermarkt in Wien, das Tun und Lassen des stoisch und ohne viele Wahlmöglichkeiten vor sich hinarbeitenden Café-Betreibers Robert Simon schlugen die Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren Bann. Man hört dem mit unvergleichlicher Wien-Färbung auch Lesenden einfach gerne zu. Seethaler gestikuliert dabei, er erzählt körperlich und greift nach seinen Worten, nach seinem Plot. (Ein Wort, das er hasst.) Hansen, deren dritter Roman „Zur See“ wieder ein monströs erfolgreiches Buch ist, ließ ihren Kollegen selten aus den Augen. Das war, dachte man zwischendurch, wiederum selbst schön anzuschauen. Wie die eine dem anderen gerne bei seinem Tun zuschaut, sie haben gleichermaßen die Literatur-Hit-Formel geknackt.

Robert Seethaler und Dörte Hansen: Publikumserfolg oder Kritikererfolg?

Wobei das auch schon die Erklärung sein könnte. In diesem Metier trifft man nicht selten auf Leute, die ihre Kollegen ignorieren und aus Prinzip nichts Zeitgenössisches lesen. Hat man jedoch erst mal Erfolg, begegnet man der Konkurrenz lässiger. Seethaler kam gerne lobend auf „Mittagsstunde“ zu sprechen – wobei er als Wiener den Namen „Ingwer“ fragwürdig findet – und war immer wieder an den Ansichten Hansens interessiert. Ja, er drehte den Spieß, wie man so sagt, mit großer Geste gerne um. Retournierte die Fragen der Kollegin, die das mit der Gesprächsführung grundsätzlich fraglos kann, dann einfach.

Fragte sie also einfach zurück, als es um die Alternativen „Publikumserfolg“ oder „Kritikererfolg“ ging. Es ist so, dass sowohl Hansen als auch Seethaler bisher beides haben. Aber warum nicht mal das abgründige Gedankenspiel zulassen, man müsse sich für eins entscheiden? Dörte Hansen äußerte da die Befürchtung, sie müsste nach einer harten Kritik für lange, lange Zeit schweigen, könne insofern nie auf das Wohlwollen der Kritiker verzichten. Man hätte sie am liebsten sofort beruhigt, weil man sich das nicht vorstellen kann; dass sie je ein wirklich mieses Buch schreiben, dass ein Rezensent sie tatsächlich hassen könnte.

Dörte Hansen als kluge Erkunderin von Seethalers Werk

Der gut aufgelegte Seethaler – wie wunderbar er sich zum Pläsier des Publikums jedes Mal über seine eigenen Anekdoten ausschüttete – sprang nicht in die Bresche, als die Kollegin mal kurz derlei dunkle Gedanken artikulierte. Es wäre Blödsinn, hinter dieser Unterlassung eine bestimmte Absicht zu vermuten – dass er Hansen jetzt vielleicht mal schmoren lassen wollte in ihrer Angst vor dem Flop. Wo sie, die kluge und engagierte Live-Erkunderin des Seethaler-Werks, doch eben tatsächlich behauptet hatte, in Seethalers Büchern könnte man mitunter auch eine Art Familienaufstellung vermuten! Das soll man ihn bloß nicht fragen, sagte Seethaler gespielt empört.

Robert Seethaler sprach offenherzig darüber, wie „schrecklich“ das Schreiben manchmal sei. Foto: Thorsten Ahlf / Funke Foto Services
Robert Seethaler sprach offenherzig darüber, wie „schrecklich“ das Schreiben manchmal sei. Foto: Thorsten Ahlf / Funke Foto Services © Funke Foto Services | Thorsten Ahlf

Das Gespräch drehte sich um den Unterschied zwischen Herkunft und Heimat (Seethaler: „Heimat ist der Ort der ersten Male, unwiederbringlich verloren“). Um Seethalers „Gefühlserinnerungen“ an nicht bewusste frühe Phasen seines Lebens und die Vergangenheit als Schauspieler („Ich wollte mich ausgerechnet im Rampenlicht verstecken, blöder geht es wirklich nicht“), einer Phase, in der er die Prägungen abschütteln wollte, die mit seiner starken Kurzsichtigkeit zu tun hatten. Künftiges Angeberwissen fürs Literaturquiz: Seethalers Sehschwäche beläuft sich auf 19 Dioptrien. Hansens nur auf 13. Was das angeht, kann sie nicht mithalten.

Am Büchertisch staute es sich nach der Lesung

Auf manche Weise mag dieses Bestseller-Doppel die perfekte Literatur-Veranstaltung gewesen sein. Es konnte wohl tatsächlich nur ein Werk im Mittelpunkt stehen, weshalb die Rollen klar verteilt waren. Seethalers gelegentliche Koketterie („Ich wirke in Interviews oft mürrisch, dabei will ich nur schnell über die Fragen hinweggehen, weil ich Angst habe, nichts Gescheites zu sagen“) ist die eines reflektierten Mannes, der genau weiß, wann er kokett ist. Manches („Scham ist der Teufel, sie betraf nicht mein Tun, sondern mein Sein“) wurde nicht vertieft. Das musste auch so sein, denn die Leute wollen ja so viel: ihn lesen hören. Mit Dörte Hansen etwas über sein Schaffen und seinen Werdegang erfahren. Und dann auch noch ein signiertes Buch. Beim Verlassen des Schauspielhauses sah man noch, wie es sich schon staute im Gang am Büchertisch von Heymann, mit Dörte Hansen war ja ein zweiter Literaturstar da, der auf Geheiß den Stift zu zücken versprochen hatte.

podcast-image

Kein Wunder, dass Seethaler auf der Bühne ein bisschen auf die Tube drückte. Er erzählte, wie notgedrungen sprachlos ihn das Signieren und die dabei anfallenden Gespräche („Eine Frau erzählte mir, ihr Vater habe auf dem Sterbebett ‚Ein ganzes Leben‘ gelesen, wo soll man diese Information hintun?“) oft machen. Und er wusste, auch in Hamburg wird sein Abend gleich in eine gehörige Verlängerung gehen.