Hamburg. Beim Benefizabend der Deutschen Stiftung Musikleben präsentiert sich der Klassik-Nachwuchs. Ein rundum beglückendes Erlebnis.

Sei du selbst. Das Sätzchen aus der esoterischen Hausapotheke ist so allgegenwärtig, dass schon keiner mehr hinhört. Wenn es aber die georgische Pianistin Mariam Batsashvili auf der Bühne der Elbphilharmonie sagt, dann wird plötzlich greifbar, dass die drei dürren Worte eine Lebensaufgabe bezeichnen.

Batsashvili ist die Prima inter pares der Musikerinnen und Musiker, die beim diesjährigen Benefizkonzert der Deutschen Stiftung Musikleben auftreten. Sie war lange Jahre Stipendiatin und macht mittlerweile die internationale Karriere, auf die so manche der anderen Beteiligten hinarbeiten dürften, erst vor wenigen Tagen verzückte sie im Kleinen Saal der Elbphilharmonie.

Elbphilharmonie: Dieses Konzert fegt das Publikum vom Teller

Der Abend diesmal ist quasi klingende Elitenförderung – und fegt einen umstandslos vom Teller. Durch das bunte Programm führt Friederike Westerhaus mit guter Laune und Sachkenntnis. Los geht es mit dem Arrangement eines Auszugs aus Wagners „Lohengrin“ fürs Celloquartett, angemessen süffig zelebriert vom Ensemble 2Cities. Die Melodielinien sind hübsch demokratisch unter den Mitgliedern aufgeteilt, die wahre Qualität aber zeigt sich darin, wie fein die vier gestalten, bis ins Blattwerk der Nebenstimmen hinein.

Pressefoto Leon Lorenz, Percussionist
Was man so braucht als Percussionist: Leon Lorenz bei der Arbeit (Promobild). © Claudia Höhne | Claudia Höhne

Es folgt eine Ballade für Posaune und Klavier. Nicht gerade Alltagsrepertoire. Die Posaunistin Polina Tarasenko und die Pianistin Tabea Streicher loten das Stück von Frank Martin kammermusikalisch aus, mit Witz und Tiefe und mit aller Wärme des Posaunentons, den man in diesem Facettenreichtum nicht oft erlebt. Da steht eine junge Künstlerin und zeigt sich durch ihre Kunst als Mensch.

Das ist es, was das Publikum berührt. Auch bei Mariam Batsashvilis Parforceritt durch die „Ungarische Rhapsodie“ von Franz Liszt. So vollgriffig und virtuos der Notentext daherkommt, die Pianistin arbeitet die Hauptgedanken heraus und musiziert überaus szenisch. Technische Beherrschung ist eben nichts weiter als eine Voraussetzung.

Elbphilharmonie: „Lasst euch nicht entmutigen, wenn ihr mal einen Wettbewerb nicht gewinnt“

Und das ist es auch, was Batsashvili ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen im Interview mitgibt: „Lasst euch nicht entmutigen, wenn ihr mal einen Wettbewerb nicht gewinnt. Zeigt euch als Persönlichkeit.“

Der Cellist Philipp Schupelius und der Marimbafonist Leon Lorenz haben das offenkundig längst verinnerlicht. Sie haben Tangos von Piazzolla bearbeitet und widerstehen konsequent der Versuchung, Klischees zu bedienen. Statt sattem Klang und akkordeongetränktem Weltschmerz feiern die beiden ein Fest des geisterhaften Pianissimo in immer neuen Varianten. Dass Schupelius auch ein fettes Fortissimo produzieren kann, muss er ein andermal unter Beweis stellen. Einstweilen glauben wir es ihm. Und wie er das Publikum zum Mitsingen anleitet, das hat Entertainerqualitäten.

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Im zweiten Teil führt das Programm dann vor, was das Kerngeschäft der Stiftung ist: dem hochbegabten Nachwuchs edle Streichinstrumente zur Verfügung zu stellen. Nicolò Umberto Foron, ebenfalls Stipendiat, dirigiert ein Streichensemble mit Ottorino Respighis „Antiche Danze ed Arie“ und dem Streicherdivertimento von Bartók, jedes Stück auf seine Weise horrend anspruchsvoll und erbarmungslos offen. Das junge Ensemble und seine beeindruckend souveränen Solistinnen und Solisten gehen voll ins Risiko und entfalten dabei einen klaren, lebendigen, kohärenten Klang, von dem man träumen könnte.

Dieser Klang geht uns alle an. Genau dafür brauchen wir diese Institution.

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