Hamburg. Alan Gilbert dirigiert das NDR Elbphilharmonie Orchester, Yefim Bronfman zaubert am Klavier. Wann und wo die Werke noch erklingen.

Sprechen die sich eigentlich nicht ab? Oder soll das so? Jedenfalls leisten sich das NDR Elbphilharmonie Orchester und das Philharmonische Staatsorchester in diesen Wochen Programmdoubletten. Beethovens 3. Klavierkonzert, mit dem Alan Gilbert und der NDR-Klangkörper am Donnerstag (und Freitag) in der Elbphilharmonie zu hören sind und danach auf Tour gehen, war am selben Ort schon Anfang September erklungen, nämlich bei Naganos Akademiekonzerten.

Elbphilharmonie: Beethovens 3. Klavierkonzert erklingt nicht zum ersten Mal in dieser Saison

Das fordert zum Vergleich natürlich heraus. Wenn Nagano Beethoven dirigiert, ist es immer einen Hauch spannend, was die Verlässlichkeit der Stabführung betrifft. Es war aber eben auch spannend, persönlich, lebendig, was da musikalisch entstand, wie feinnervig und durchhörbar das Philharmonische Staatsorchester die ausführliche Einleitung gestaltete. Die ist sozusagen Beethovens sinfonisches Schaffen in einer Nussschale, sie wechselt scharf zwischen lyrisch und dramatisch und steht obendrein in seiner Leib- und Magentonart c-Moll.

Gilbert nun verpasst es anfangs, das Raubtier von der Kette zu lassen. Das Tempo lahmt, die dynamischen Kontraste bleiben schwach, der Streicherklang beliebig. Da drängt nichts, da droht nichts. Gestalt bekommt die Musik, als der Solist Yefim Bronfman dazustößt. Wenn er für die Übergänge andeutungsweise das Tempo staut, hört man erstmals an diesem Abend mit dem Herzen hin. Bronfman hält sich nicht mit Zeremoniellem auf. Sein Spiel ist organisch und uneitel, die Kadenz ein Ereignis. Und als dann hauchzarte Paukentupfer zum Satzschluss überleiten, hat auch das NDR-Orchester Beethoven-Betriebstemperatur erreicht.

Silbrig schimmernde Terzen, aquarellzarte Klangfarben: Bronfman gibt ein echtes Nachtstück zu

Wie spezifisch Bronfman an seine Interpretationen herangeht, zeigt er mit seiner Zugabe. Für die Chopin-Nocturne in Des-Dur greift er zu aquarellfein abgestuften Klangfarben. Silbrig schimmern die Terzen, und hier nimmt er sich deutlich mehr Freiheit im Tempo als bei Beethoven.

Bei Tschaikowskys Vierter breiten Gilbert und die Seinen dann großflächig aus, was der Komponist alles an Herzschmerz, Erinnerungen und Fantasien in dieses Bekenntniswerk gepackt hat. Orchester-Schaulaufen vom feinsten und anspruchsvollsten ist das, beginnend mit der Horngruppe, die – klanglich nicht ganz kohärent – das berühmte Schicksalsmotiv in den Saal schmettert.

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Elbphilharmonie: Soloklarinettist Julius Ockert findet ein weltentrücktes pianissimo

Im langsamen Satz „Andantino in modo di canzone“ findet der frischgebackene Soloklarinettist Julius Ockert für seine Gesangslinie ein weltentrücktes pianissimo. Gerade noch hörbar, aber hörbar, Zauber der Akustik. Das Scherzo ist für die Streicher ein reines Pizzicato-Stück, sie zupfen es in rasantem Tempo, mit Witz und Groove. Man meint die Kobolde huschen und feixen zu hören. Und der letzte Satz kehrt mit Piccolo-Alarm, Beckenschlägen und großer Trommel wieder zur Schicksalsthematik des Anfangs zurück. Das Leben mag voller Härten sein – aber was Tschaikowsky daraus gemacht hat, ist exquisite Unterhaltung.

Bei der Vierten hat übrigens der NDR die Nase vorn, was die Doubletten betrifft; das Philharmonische Staatsorchester spielt die Sinfonie in einer guten Woche. Wir bleiben dran.

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