Hamburg. Eine TV-Produktion mit Superstarfaktor: Das atmosphärische Familiendrama erzählt von Schuld, Sühne und einem dramatischen Sommer.

Eine Frau, Mutter eines Vierjährigen, am Strand in Italien. Ein junger Mann – aus England wie sie – fotografiert sie, die Unbekannte. Später kommt es ein paarmal zu Sex, und dann ist der junge Mann tot. Ertrunken. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Das sind die meist in hellen Farben gedrehten Szenen der Vergangenheit, die Oscar-Gewinner und Regie-Star Alfonso Cuarón („Roma“, „Gravity“) in seiner neuen Miniserie „Disclaimer“ zeigt, die jetzt auf Apple TV+ zu sehen ist.

In der Erzählgegenwart ist dieser siebenteilige Thriller ein Psychospiel um die erfolgreiche Londoner Journalistin Catherine Ravenscroft, die nach einer Preisverleihung ein Buch in der Post findet. „The Perfect Stranger“ erzählt die Geschichte einer unmöglichen Frau, einer flüchtigen, tragischen Sommerbekanntschaft. Catherine erkennt sich wieder und gerät sofort in Panik: Wer ist hier im Rachemodus unterwegs, wer will ihr wegnehmen, was sie sich hart erarbeitet hat?

„Disclaimer“ mit Cate Blanchett: vor den Trümmern der Existenz

Cate Blanchett spielt die Frau, die von jetzt auf gleich vor den Trümmern ihrer Existenz steht und von dem eingeholt wird, das sich in einer längst vergessenen Vergangenheit abspielte. „Bin ich eigentlich ein guter Mensch?“, fragt sie ihren Mann Richard (Sacha Baron Cohen) einmal und weiß: Sie war es vielleicht einmal nicht. Sie hat schreckliche Dinge getan, die sie ihm nie mitgeteilt hat. Was hat Stephen Brigstocke (Kevin Kline) im Sinn, der sich bald als Mann hinter den Buchsendungen herausstellt? Es gibt mehrere dieser Sendungen, alle Leute in Catherines engstem privaten und beruflichen Umfeld erhalten dieses Buch, das Catherine vollends zu kompromittieren droht.

Disclaimer Apple Tv
Cate Blanchett als Catherine Ravenscroft, Sacha Baron Cohen als ihr Mann Robert Ravenscroft: Szene aus „Disclaimer“. © Apple TV+. | Apple TV+.

„Disclaimer“ hat selbst eine gleichnamige literarische Vorlage: In der deutschen Übersetzung heißt das 2015 erschienene Romandebüt der Engländerin  Renée Knight irritierenderweise „Deadline“, gelobt wurde es hie wie da. Weil der Stoff zwingend ist. Eine alte Geschichte, deren literarische Veröffentlichung ein gutsituiertes Leben zerstören könnte, lässt sich in der Zuspitzung der dramatischen Geschehnisse spannend inszenieren.

„Disclaimer“ auf Apple TV: Hollywoodbesetzung mit Cate Blanchett und Kevin Kline

Hier geschieht es auf sozusagen klassische Apple-Art. Die Hollywoodbesetzung mit Oscarpreisträgerin Blanchett („Blue Jasmin“, „Aviator“) und Oscarpreisträger Kevin Kline („Ein Fisch namens Wanda“) ist dank der Darstellungskunst beider schon Grund genug, „Disclaimer“ zu schauen. Kline gibt den familiär verwaisten Rächer, der verlassen von allen kaputt machen will, was ihn kaputt gemacht hat. Das Drehbuch (Alfonso Cuarón) hat für ihn einige überzeugende Szenen vorgesehen: Wie er in der Vergangenheit am schlimmsten Tag seines Lebens gemeinsam mit seiner Frau (Lesley Manville) die Todesnachricht seines Sohns Jonathan Brigstocke (Louis Partridge) entgegennimmt. Wie er Jahre später, nach dem Krebstod seiner Frau, deren Kleidung weggibt, aber ihre rosafarbene Strickjacke behält und fortan beharrlich trägt.

Blanchett ist angemessen aufgewühlt und fertig, als ihre Familie sich von ihr abwendet. Cohens rechtschaffener Richard wird schnell zum absoluten Hasser, und Kodi Smit-McPhee gibt Blanchetts drogenverseuchten Loser-Sohn Nicholas als vollkommen verlorene Gestalt, deren Seele immer schon ein Loch hatte. Wie zuletzt in „Aus Mangel an Beweisen“ untersucht auch „Disclaimer“ die Erosion einer Familie, wenn eine ultimative, nicht wiedergutzumachende Verletzung auftritt.

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Die Bild- und Motivsprache des Siebenteilers, der bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere feierte, ist gelungen, die Dramaturgie ausgefeilt. Aus dem Off ist mitunter ein allwissender Erzähler zu hören, der der Story die literarische Ebene der Vorlage zurückgibt. Ja, einerseits ist „Disclaimer“ die vielleicht beste Thrillerserie des Jahres. Andererseits müssten die Programmplaner beim Streaminganbieter Apple mittlerweile von sich selbst genervt sein. Überraschend an Themen und Stoffen, an den Umsetzungen von Buchvorlagen mit großen Stars wie Vince Vaughn, Jake Gyllenhall oder Colin Farrell ist tatsächlich gar nichts. „Disclaimer“ ist künstlerisch wertvolle Serienproduktion von der Stange.

„Disclaimer“ ist ab dem 11. Oktober auf Apple TV+ abrufbar.

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