Hamburg. Ein Sechsteiler im Ersten erzählt von islamistischer Gefahr, von schwierigen Cops und Hysterie. Die beste Rolle spielt Hamburg selbst.

Es scheint etwas in der Luft zu liegen, eine Gefahr, eine Bedrohung. Es ist das ungute Gefühl, dass niemand so sicher ist, wie er sich gerade fühlt. Hat jemand vor, hier und heute unschuldige Menschen zu töten?

Der Sechsteiler hebt an mit einer Kamerafahrt zur nächtlichen Elbphilharmonie. Eine Konzertszene, Aufregung im Großen Saal, ein Knall. Die Parallelmontage: Im Schanzenviertel geht eine Frau (Claudia Michaelsen), die sich erst später als Gattin eines Polizisten entpuppt, in eine Bar. Ein Schuss fällt, Chaos. Das ist der Prolog und gleichzeitig die Vorausblende, die die Erwartungshaltung der Zuschauerinnen und Zuschauer lenkt – geht es hier um einen Anschlag auf Hamburgs großes Konzerthaus?

Danach schildert die Miniserie „Informant – Angst über der Stadt“ die Tage vor diesem nur angedeuteten Finale. Es ist ein Thriller, dessen Handlung sich darum dreht, wie die Ermittler den potenziellen Attentätern zuvorkommen wollen. In Oslo starben Menschen bei einem Terroranschlag, es gibt Hinweise, dass auch Hamburg im Visier von Killern sein könnte.

„Informant – Angst über der Stadt“ im Ersten: Die Gefahr des gewaltbereiten Islamismus

Der Alarmzustand ist der permanente Stresser in dieser TV-Erzählung, mit der die ARD auch das Streamingpublikum abgreifen will. Showrunner Matthias Glasner (Drehbuch und Regie), der zuletzt für seinen Film „Sterben“ den Deutschen Filmpreis erhielt, bleibt in seinem Sechsteiler zwar etwas mehr bei den Ermittlern. „Informant“ ist ein Cop-Drama, aber auch eine Serie darüber, wie ein unbeteiligter Mann aus Wilhelmsburg plötzlich zur wichtigsten Waffe im Kampf gegen den Terrorismus wird.

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Holly Valentin (Elisa Schlott) und Gabriel Bach (Jürgen Vogel) suchen nach dem Elbphilharmonie-Terroristen. Szene aus „Informant – Angst über der Stadt“. © NDR | NDR

Ivar Wafaei (großartig!) ist als fahriger, zufällig in ein Terrorkomplott geratener Deutschafghane Raziq ‚Raza‘ Shaheen das eine Zentrum des ARD-Krimis. Jürgen Vogel als derangierter Undercover-Polizist Gabriel Bach, der auf der Abschussliste steht, das andere. Hauptsächlich mit diesen beiden Figuren wird in „Informant“ von der Gefahr des gewaltbereiten Islamismus, von scheiternder Integration, von Polizeiarbeit und Terrorhysterie erzählt.

Neue Serie in der ARD: „Informant“ erzählt von einem Undercovercop

Glasner dickt seinen Stoff, der die Gereiztheit zwischen dem Hamburger LKA und dem BKA aus Berlin zu einem Hauptmotiv macht, mit den langen Schatten von Gabriel Bachs Vergangenheit ordentlich an. Vogel spielt Bach als ehemals in der mecklenburgischen Neonaziszene eingeschleusten, seelisch vom ständigen Doppelleben beschädigten Ermittler, der wenig zimperlich ist, wenn es um die Rekrutierung von Informanten geht. Die junge BKA-Beamtin Holly Valentin (Elisa Schlott) sieht sein Tun kritisch, dennoch setzt auch sie den Volkshochschullehrer Raza unter Druck. Im Laufe der Ermittlungen, bei denen allen die fortschreitende Zeit bis zum Konzert im Nacken sitzt, das im Visier der Terroristen sein könnte, überschreitet auch sie Grenzen.

Dabei gehört ein Komplott „von oben“ mit zum Spiel der Behörden. Es geht um die geheime deutsche Außenpolitik in Afghanistan und die Folgen, die dies unter Umständen auf den staatlichen Umgang mit kriminellen Einwanderern hat. „Informant“ versucht, Klischees zu umgehen, und ermöglicht einen ungeschönten Blick hinter die Kulissen. Was die Staatsgewalt hinter verschlossenen Türen, zumindest in dieser ARD-Serie, zum Beispiel von sich gibt: „Es gibt 60.000 Afghanen in Hamburg, von denen wahrscheinlich die Hälfte mit Drogen dealt.“

Serie „Informant – Angst über der Stadt“: Smartphone-Fotos aus der Elbphilharmonie

Dass Polizisten nicht unbedingt politisch korrekt sprechen, wenn sie unter sich sind, denkt man sich wohl. Sind die Dialoge, man schaut da bei deutschen Produktionen aus Gründen besonders drauf, in Glasners Serie glaubwürdig? Sicher. Vielleicht hier und da auch mal ausbaufähig, aber gerade, wenn Cops (und da ein richtig unsympathischer BKA-Chef) im Spiel sind, wird es doch ganz amüsant.

Zumal, wenn man die erfundenen Figuren mit den realen abgleicht, die eher nicht als Vorbild dienten. Im Elbphilharmonie-Topbüro des Chefs vom Ganzen, der sich als Hausherr zur Lagebesprechung mit der Polizei trifft, nutzt der insgesamt ziemlich arrogante BKAler aus Berlin (Nico Holonics) die schöne Aussicht auf den Hamburger Hafen, um ein paar Smartphone-Fotos zu schießen. Den Intendanten spricht er dann gleich mal mit falschem Namen an, der revanchiert sich in expliziter Ausdrucksweise („Im Allgemeinen gelingt es uns zu pinkeln, ohne dass uns jemand den Schwengel hält“) und verweist auf das Sicherheitskonzept des Konzerthauses. Das Konzert mit dem jüdischen Stardirigenten und der muslimischen Konzertmeisterin möchte er trotz der Terrorgefahr keineswegs absagen.

„Informant – Angst über der Stadt“: Deutschafghanen im Fadenkreuz der Ermittlungen

Der Thriller lebt von seinen Figuren. Von Holly Valentin, die streberhaft ist, aber ihrem moralischen Kompass bei dieser Jagd nach der Bedrohung (wer ist der Drahtzieher, wer baut die Bombe?) irgendwann nicht mehr traut. Vom Borderline-Cop Gabriel Bach, der völlig verloren ist in seinen Undercover-Aktivitäten, und von seiner Frau Emilia Bach (Michaelsen) verlassen wird, weil sie mit dem Rollenspieler nicht mehr klarkommt. Und vom nervösen Raza, der gar kein Informant sein will, aber am Ende auch seine Familie ins Fadenkreuz der Ermittler zerrt.

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Sadia Breshna (Bayan Layla, l.) und Raza Shaheen (Ivar Wafaei, r.) gehören zur deutsch-afghanischen Community in Hamburg. © NDR | NDR

Es wird, was die Milieubetrachtung der deutschen Afghanen angeht, durchaus einiges aufgefahren in dieser Serie. Vorverurteilungen, Machismus, Deklassierungen, Backstorys: Die Einwanderer bringen ihre Geschichten (der Vater von Rezas Freundin Sadia war ein Warlord) mit nach Deutschland und bekommen hier nicht die Chancen, die andere haben. „Ich halte dieses scheinheilige Drecksland nicht mehr aus“, sagt ebenjene Freundin einmal. An anderer Stelle echauffiert sich („Wenn ich das Wort Bartträger noch einmal höre, schlage ich was kaputt“) auch die LKA-Chefin über das Denken in Klischees, man weiß dann: „Informant“ ist, zumindest was migrantische Lebenswelten angeht, ein Werk des Realismus.

Und doch könnte auch bei dieser Produktion ein Eindruck bleiben, dass hier Figuren nicht tief genug erzählt werden können, obwohl Glasner viel aus den Möglichkeiten herausholt und „Informant“ erklärtermaßen als langen Film sieht, nicht als Serie. Da die Produktion aber auf ein Serien-Publikum trifft, gibt es andere Erwartungshaltungen. Und da wird es eben doch so wirken, dass alles im Hauruck geschieht und dadurch manches auch Behauptung bleibt. Woran das liegt? Am Üblichen. Ein Sechsteiler folgt einer anderen Dramaturgie als ein Zehnteiler, und deutsche Serien haben – übrigens nicht nur in der ARD, sondern auch auf Netflix – zumeist aus Budgetgründen immer nur genau diese sechs Teile. Zehn satte Teile sind meist nur bei den Amerikanern drin, nicht zuletzt deswegen erzählen die auch am besten.

„Informant“ in der ARD: Hamburg sieht aus wie die vielschichtige Stadt, die sie ist

Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ war 2010 mit zehn Teilen im Programm der ARD ein Flop mit miesen Einschaltquoten. Damals war man mit dem Sendeplatz, als sich die Serie dem Ende näherte, nicht mehr spendabel. Dabei gilt die Serie heute noch als Meisterwerk, die Kritik am Einknicken vor der Quote bekam die ARD damals völlig zu Recht ab. Was „Informant“ angeht: Ein gigantischer Streaming-Hit würde das wohl auch in einer Zweitverwertung bei Netflix nicht werden. Qualitätsserien müssen mit mehr Budget ausgestattet werden und sich mehr Zeit zum Erzählen nehmen.

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Was seine notgedrungen heruntergeschraubten Ansprüche angeht, ist Matthias Glasners Serie keineswegs schlecht, im Gegenteil. Sie könnte aber weitaus mehr sein. Worauf man sich einigen kann, was ihre Qualitäten angeht, ist das Setting: Hamburg sieht wie die vielschichtige Stadt aus, die sie ist, und oben thront die gefährdete Elbphilharmonie.

„Informant – Angst über der Stadt“ ist ab 11. Oktober in der ARD-Mediathek abrufbar. In der ARD wird der Thriller am 16. (Teile eins bis drei) und 17.10. (Teile vier bis sechs) jeweils ab 20.15 Uhr ausgestrahlt.

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