Hamburg. Eine vermisste Frau, die dem Entertainment-Adel entstammt. Und Colin Farrell als Privatermittler John Sugar. Ergibt zusammen: Wow!
Es ist von der ersten Minute an ein glasklarer, völlig ungefährdeter Sieg. Colin Farrell trägt einen bestens geschnittenen Anzug, klassisches Schwarz zu weißem Hemd. Sitzt. Dazu kommt ein völlig interessantes Gesicht zwischen undurchdringlich und zugewandt, dazu: eine Portion Traurigkeit. John Sugar, Privatermittler in L.A., ist ein Mann, der Gewalt verabscheut und Menschen grundsätzlich erst mal mag. Das mag auch für den Anwalt Mickey Haller gelten, die Hauptfigur in der Netflixserie „Lincoln Lawyer“. Nur sind dessen Karre und Anzug halt zweite Liga im Vergleich zu John Sugar.
Der cruist nun ebenfalls durch die kalifornische Metropole. In „Sugar“, das ab 5. April auf Apple TV+ zu sehen ist, erwartet die Zuschauer ein klassisches California-Noir-Setting. Auf die Hollywood-Helligkeit fällt nicht nur deswegen ein Schatten, weil auch unter der Sonne Kaliforniens irgendwann die Nacht heranbricht. Zwischenmenschlich ist es oft zappenduster. In der Familie von Filmmogul Jonathan Ziegel (James Cromwell) herrschen raue Sitten, Eifersucht und ein gnadenloser Konkurrenzkampf. In deren Dunstkreis John Sugar gezogen wird, als Ziegels Enkelin Olivia (Sidney Chandler) spurlos verschwunden ist. Olivias Vater Bernie (Dennis Boutsikaris), im Vergleich zu seinem Vater als Produzent ein Loser, und ihr Bruder David (Nate Corddry, „For All Mankind“), legen bemerkenswert wenig Willen an den Tag, Olivia wiederzufinden.
„Sugar“ auf Apple TV mit Colin Farrell: Es wird immer mysteriöser
Sugar wiederum ist eine Art Spezialist, wenn es um das Wiederfinden von Vermissten geht. Er meistert gefahrvolle Situationen, gerät unter anderem an einen Mädchenhändlerring. Er gehört einer merkwürdigen Vereinigung von ehemaligen Agenten an, die für Ermittlungen gebucht werden können. Die Verbindungsfrau Ruby (Kirby Howell-Baptiste) fängt bald an, Sugars Arbeit zu sabotieren. Es wird immer mysteriöser, und darauf legt es diese sagenhaft stylishe Serie (Drehbuch Mark Protosevich, Regie Fernando Meirelles) am Ende ziemlich radikal an. Es gibt einen übernatürlichen Twist, der sich gewaschen hat und von dem man erst im Nachhinein vermutet, dass durchaus Fährten zu seinem späteren Erscheinen gelegt wurden. Man sah sie nur nicht. Weil man auf das nun nie gekommen wäre.
Braucht es die Pointe, die an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden soll? Keineswegs. Sie ist nämlich nur die zweite Idee, die „Sugar“ vom Einerlei der Krimi-Serien unterscheidet. Musik, Ermittlerfigur, Schauplätze, szenische Referenzen – das erinnert nicht nur dezent an die schwarz-weißen Film-Klassiker von Hitchcock, Fritz Lang, Robert Siodmak etc.; nein, Filmszenen werden explizit in die acht Serienfolgen von „Sugar“ hineinmontiert, als Kommentar zur und Verdoppelung der eigentlichen Handlung. Außerdem ist Sugar, der übrigens praktisch jede Sprache der Welt spricht, ein Cineast und Connaisseur, der das alte Hollywood perfekt kennt. „Sugar“ ist also vor allem eines: eine Hommage an die Vorbilder, die einst Maßstäbe setzten.
„Sugar“ mit Colin Farrell: Kinofans werden diese Serie lieben
Weshalb die Apple-Produktion bei Kino-Nerds Gefallen finden wird. Colin Farrell („The Banshees of Inisherin“) ist in seiner Rolle des moralisch guten Mannes, der körperlich enorm wehrhaft ist und auch sonst die Schritte seiner Gegner voraussehen kann, ziemlich überzeugend. Auch der übrige Cast ist stark, insbesondere Amy Ryan („The Wire“) als Quasi-Stiefmutter der vermissten Olivia.
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Der Rhythmus der Serie (die Folgen sind relativ kurz), die Schnitte, der Look: „Sugar“ bringt einige Dinge mit, die sie aus dem weiterhin nicht versiegenden, aber zuletzt vor allem auch vorbeirauschenden Strom von Neuveröffentlichungen hervorhebt. Man könnte manches penetrant finden, gar tautologisch, etwa die Erzählerstimme Colin Farrells, die sich oft über das Geschehen legt. Aber eigentlich passt das doch, die Stimme haucht dem Ganzen den epischen Atem gleich noch mal ein. Über der Szenerie liegt Fatalismus und Melancholie, nicht zuletzt durch John Sugars eigenen Hintergrund. Es gibt da eine Schwester, die er verloren hat. Und sicher eine nächste, willkommene Staffel, die von ihr noch ein wenig mehr erzählt.
„Sugar“ ist ab dem 5. April auf Apple TV+ abrufbar.