Hamburg. Erst Mahler in der Elbphilharmonie, dann Singen auf der MS „Commodore“: Beim Liedstadt-Festival ist Tenor Julian Prégardien im Dauereinsatz.
Alles hatte man bestens vorbereitet und geplant. Das erste Liedstadt-Festival war an seinem Eröffnungstag mit über 50 Kurzkonzerten und einer Bonusrunde im Rolf-Liebermann-Studio gut und ohne Last-minute-Probleme gestartet. An den ersten drei Tagen hörten bereits mehr als 3000 Menschen zu, berichtete Julian Prégardien, hauptberuflich Tenor, nebenberuflich neuerdings auch Konzertentwerfer. Der Andrang beim Termin im Elbtunnel sei so groß gewesen, dass man zum Weitermachen nach draußen musste.
Am Sonnabend nun sollte es für nur rund 80 Gäste ein Geheim-Gig in der Schanze sein. Zwei Tage vorher ploppte die erste Nachricht aufs Smartphone. Noch ohne genaue Ortsangabe, aber mit dem Versprechen, lohnenden Besuch aus Wien und Paris servieren zu können, und danach: Getränke und Party. Make Liederabend cool again. Am Morgen des 5. Oktobers trudelten konkrete Infos über den ersten Treffpunkt (am Eingang zum „Viva la Bernie“-Gelände) und das Zeitfenster ein, aber auch die unschöne Nachricht, dass beide prominente Gäste, in wenigen Stunden Abstand, wegen Krankheit abgesagt hätten. Künstlerpech, und das gleich doppelt. Das erste Ersatz-Programm, das man schnell auf die Beine gestellt hatte, hatte sich damit schon wieder erledigt.
Liedstadt-Festival: Prégardien wird zum Gesicht und zur Stimme der Veranstaltungen
Also kam es in dieser aus dem Genre-Rahmen fallenden Location nicht zum gemeinsamen Auftritt von Omer Meir Wellber, der ab nächstem Sommer Generalmusikdirektor an der Staatsoper sein wird, mit der aufregend unkonventionellen Sopranistin Axelle Fanyo. Stattdessen kombinierte man eben eine anders bunte Mischung aus dem Mitwirkenden-Bestand und Repertoire-Pool dieses Festivals, unter anderem mit Musik von Mendelssohn, einer Oud-Improvisation, einer persischen Sängerin – und auch etwas Mahler, gesungen von Prégardien, der im Festival bis zum 13. Oktober offenbar im Dauereinsatz ist, egal, wie sehr die Tenor-Stimmbänder ohne Erholungspause auch glühen würden.
Nur wenige Stunden später war es schon wieder Prégardien mit Mahler, der ins Rampenlicht sollte. Und dann gleich mit dessen „Lied von der Erde“, mit Meir Wellbers Vorgänger Kent Nagano, dessen Philharmonikern und in der Elbphilharmonie. Das erste Mal auch noch, dass Prégardien dieses nun wirklich nicht unheikle Stück anging, von dem der Kollege Jonas Kaufmann – im Lebenslauf des Konzerthauses legendär geworden – ein Lied singen könnte. Ein Entwarnungs-Faktor: Es war nicht im Großen, sondern im Kleinen Saal. Und auch nicht das opulent besetzte Original, sondern Schönbergs auf knapp anderthalb Dutzend Instrumente eingedampfte Orchesterchen-Besetzung, in der die Klangfarben und Akzente noch schärfer zutage treten als in der Vorlage.
Ein besonderes Sonder-Kammerkonzert sollte es bei dieser Zusammenarbeit sein, noch spezieller wurde es durch besondere Gäste: Der Chor der Liatoshynski Capella in Kyiv ergänzte das Programm, er ist in diesen Tagen Teil von Calixto Bietos Inszenierung von Orffs „Trionfi“ an der Staatsoper.
Liedstadt-Festival: Diese Lieder kamen von Herzen
Mit Brahms‘ zartbitterem Chorsatz „Im Herbst“ fremdelten die Gäste aus der Ukraine noch etwas. Die zwei Volkslied-Bearbeitungen aus ihrer Heimat allerdings waren unbekannt, an sich schon toll und wurden noch toller gesungen; diese Lieder kamen von Herzen und waren auch vom Stolz auf die eigenen Traditionen beflügelt. Ost und West trafen sich in einer Beethoven-Rarität, dessen Bearbeitung von „Schöne Minka“, ein Kleinod, das in dessen „29 Liedern verschiedener Völker“ als Petitesse abgeheftet ist.
Der Mahler danach: zweigesichtig, buchstäblich. Denn Prégardien war bei aller Hingabe an diese Aufgabe in der Höhe anzuhören, dass man nicht alles ungestraft pausenlos singen kann. Es blieb also eher beim Gutgemeinten, anstatt zu überzeugen. Diesen Teil des Ergebnisses übernahm Fleur Barron mit einem strahlend warmen Mezzosopran, der für diese Wohnzimmer-Version von Mahler fast schon zu groß war. Nagano und die Philharmoniker-Portion begleiteten beide aufmerksam nuanciert.
Vier Stunden später, Prégardiens nächste Runde. Diesmal dann nicht über, sondern auf der Elbe, auf der MS „Commodore“, Hafenrundfahrt mit Livemusik, aber mal anders, und nun waren es die Kammermusikfreunde als „Liedstadt“-Kompagnon. Drei Runden, drei unterschiedliche Programme. Für die erste hatte Prégardien ein Streichquartett aus dem „Orchester im Treppenhaus“ eingeladen. Bei sonnigem Bilderbuchwetter ging es mit der MS „Commodore“ einmal die Elbe hinab, bis Övelgönne und zurück. Schippern mit Schubert, dessen „Auf dem Wasser zu singen“ die Gebrauchsanweisung für dieses Konzertchen gab.
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Die Motorengeräusche störten schnell nicht mehr, der heimelige Ausflugs-Charakter hatte was. Weil der Passagierraum so klein und niedrigdeckig war, musste Prégardien seine Stimmkondition nicht übermäßig belasten. Der eine oder andere Fluss – der Rhein mitsamt Lorelei, der Main, der Shenandoah River, ausdrücklich nicht die Elbe – wurde dezent besungen. Später sah ein Knab noch ein Röslein stehen und die Bootstour wurde immer beschaulicher. Zurück an der Überseebrücke ging die erste Publikumsrunde beseelt von Bord. Und Prégardien konnte immerhin eine Runde aussetzen, bis er bei dem letzten der drei Törns wieder zu singen hatte.
Infos: www.liedstadt.de