Hamburg. Wüste Werkauswahl des Orchesters im Treppenhaus: Bei diesem Konzert der anderen Art sind Mitsingen, Tanzen und Lachen ausdrücklich erwünscht.
Es könnte auch schiefgehen. Albern wirken. Eine Tafel mit Piktogrammen, was hat die in einem klassischen Konzert verloren? Seit wann studieren Musikerinnen im Foyer mit dem Publikum grüppchenweise eine Gesangsmelodie ein? Am Abend „Kult“ mit dem Orchester im Treppenhaus ist nur eins normal: Er findet, auch wenn der Name des Hannoveraner Ensembles etwas anderes nahelegt, im Kleinen Saal der Elbphilharmonie statt.
Elbphilharmonie: Das Orchester im Treppenhaus veranstaltet ein Mitmach-Spektakel
Die Gruppe riskiert alles, um an Gewohntem zu rütteln. Es beginnt mit der besagten Tafel. Die bekommen die Besucher in die Hand gedrückt, als Gebrauchsanweisung sozusagen. Die Icons werden auf die Bühnenrückwand projiziert. Eins fürs Einnehmen der Plätze, eins fürs Applaudieren, eins für Pause, okay. Aber Singen, Tanzen, Handylichter an? Sind wir vielleicht doch im Popkonzert gelandet?
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Im Programm ist als erstes Werk Nikolai Rimski-Korsakows Sinfonische Suite „Scheherazade“ angekündigt. Zunächst allerdings wird gesungen, und das Orchester spielt dazu. „Ihr hört uns zu. Ihr sitzt in Reihen. Ihr sitzt in Ordnung. Eure Gedanken sind frei“, spricht der Dirigent Thomas Posth durch ein Megafon. Es sind Sätze wie ein Manifest. Und dann bricht die „Scheherazade“ über Ohren und Herzen förmlich herein und lässt einen nicht mehr los. Die Hände zum „Like“ erheben? Viel zu banal.
Elbphilharmonie: Bei diesem Konzert ist Lachen ausdrücklich erlaubt
Ein paar Streicher nur umfasst das Ensemble, einfache Bläserbesetzung, dazu Percussion, Akkordeon und Flügel – und klingt doch wie ein ausgewachsenes Sinfonieorchester. Sie spielen traumwandlerisch zusammen, wagen gemeinsam ganz viel Freiheit und intonieren so blitzsauber, dass die Obertöne dem Klang ein ungeahntes Volumen verleihen. Der Konzertmeister Moritz Ter-Nedden spielt das gefürchtete Geigensolo unbekümmert um die technischen Hürden wie aus dem Moment heraus.
Die Werkauswahl ist schlicht wüst. Bei den „Schattenklängen“ von Mauricio Kagel für Bassklarinette solo ist Lachen laut Icon ausdrücklich erlaubt, erst recht bei dem Feuerwerk, das der Akkordeonist Goran Stevanovic mit John Zorns „Road Runner“ veranstaltet. Alexander Vorontsov spielt dazwischen die höchst anspruchsvolle Klaviersonate Nr. 3 von Prokofjew, die Streicher finden sich zu einem Quartettsatz von Mendelssohn, das Tutti wirft mit den Motivfetzen aus Anna Clynes „Fractured Time“ um sich. Nicht zu vergessen die Mitmach-Aktionen mit Singen, Klatschen, Tanzen. Am Ende kocht der Saal vor Begeisterung.
Ein Spektakel im allerbesten Sinne ist das. Gewagt, gewonnen. Wer will je nach so einem Abend wieder Routine erleben?