Hamburg. Das Überraschungs-Comeback der auferstandenen US-Größe: Gefeiert wurde die neue Sängerin – mit „Emily, Emily“-Rufen zu hartem Gedöns.
Comebacks sind die sichere Ticket-Bank derzeit. Das Konzert von Linkin Park in der Barclays Arena? Binnen Minuten ausverkauft. Eine Band, die nach dem Tod ihres Sängers Chester Bennington im Jahr 2017 praktisch nicht mehr existierte, war vor nicht einmal zwei Wochen plötzlich wieder da – mit der ungewöhnlich spontanen Ankündigung einer Konzertreise durch sechs Städte und der baldigen Veröffentlichung eines neuen Albums.
Mit der Oasis-Reprise ein paar Wochen vorher (17 ausverkaufte Stadionkonzerte 2025) können Linkin Park dabei nicht ganz mithalten. Aber die unvermittelte Rückkehr, in vollem Tempo, dieser Ami-Mainstream-Institution? Hat was für sich. Linkin Park ist immer schon Musik für Menschen gewesen, die sich (noch) bessere Musik nicht zutrauen, aber bei Konzerten nur völlige Hingabe kennen.
Linkin Park: Emily Armstrong singt künftig das, was Bennington früher sang
So war es in der Barclays Arena ab circa viertel vor neun und vor 15.000 vom überraschenden Comeback glücksüberrumpelten Fans, die noch gar keine Zeit hatten, sich Gedanken darüber zu machen, wie gut sie die personell jüngst vollzogene Volte eigentlich finden. Bei Linkin Park macht jetzt nämlich eine Frau mit. Emily Armstrong singt künftig das, was Bennington früher sang. Ein großer Schritt, den nicht alle gut finden (zum Beispiel der Bennington-Clan nicht), den die Band aber nun im Hauruckverfahren beim Publikum durchzusetzen versucht.
Vielleicht sind Linkin Park in diesen gitarrengottlosen Zeiten ja die Retter des Rock; in Hamburg war allein die in der Mitte der an diesem Sonntagabend supervoll besetzten Schwitzbude Barclays Arena postierte längliche Bühne ein Statement. Musiker, die wie Gladiatoren ihre kolossale Show zur Darbietung brachten, mit brutal lautem Aplomb: Erlebnischarakter hatte dieses Konzert unbedingt.
Das Publikum kam aus dem Skandieren gar nicht heraus
Die neue Inkarnation des frontgebenden Linkin-Park-Powerduos betrat beim Einmarsch als letztes die Bühne. Mike Shinoda und Armstrong also, das Zentrum dieser sich noch einmal erfindenden Band. „Somewhere I Belong“ schwappte anschließend heftig und laut, vollgepumpt mit Emotion und NuMetal-Direktheit, in die wogende Arena: Die Linkin-Park-Kundschaft schluckte begierig den Sound, der die Band wohl tatsächlich unverkennbar macht. Danach gleich „Crawling“, mit Inbrunst mitgesungen von dem vom ersten Akkord an wie angezündeten Publikum. Als hätten Tausende seit Jahren heimlich auf diesen unwahrscheinlichen Moment gewartet.
Wie war es für die Hardcore-Fans, die bis zu 400 Euro für die Tickets gezahlt haben, statt Bennington nun Armstrong zu hören? Man hatte stark den Eindruck: Okay war’s. Sehr okay, man hörte nämlich immer wieder „Emily, Emily“-Rufe, wie überhaupt das Hamburger Publikum (Shinoda: „Deutschland war immer ein spezieller Ort für uns“) aus dem Skandieren („Linkin Park, Linkin Park“) gar nicht herauskam.
Es gab die großen Hits mit beeindruckendem Publikumsgesang
Die waren halt alle froh, überhaupt mal wieder so unvermutet Linkin Park live auf der Bühne zu sehen, Linkin-Park-Songs leibhaftig zu erleben. Die Band, wie sie einst groß wurde, ist noch mit Shinoda, Bassist David Farrell und DJ Joseph Hahn vertreten; der Drummer Colin Brittain ist nun seit der Re-Union dabei, Tourgitarrist Alex Feder macht das Line-up derzeit komplett.
In der Barclays Arena war die Band exakt so schnell mit ihrem atemlosen Set unterwegs, wie sie vorher dieses Comeback betrieben hatte. Es gab kaum Verschnaufpausen. „Hybrid Theory“, eines der erfolgreichsten Popalben dieses Jahrhunderts, war mit vielen Stücken vertreten. Es gab die großen Hits („Numb“, „In the End“ mit beeindruckendem Publikumsgesang, „What I‘ve Done“) zu hören, vor denen man in den Nullerjahren besonders die Ohren nicht verschließen konnte, es gab ja kein Entrinnen. Und „The Emptiness Machine“, die neue Nummer-eins-Single vom im November erscheinenden Album „From Zero“, kam recht früh.
- Reeperbahn Festival: Hypnose im Knust, Lichtkunst im Grünen Bunker
- Reeperbahn Festival: Olli Schulz im Michel, Katzenvideos im Club
- Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel: Konzert unter Polizeischutz
Linkin Park: Emily Armstrong hat die Aura fürs große Bühnenspektakel
Da musste dann gar keiner fremdeln, weil Chester Bennington den Song nie sang. Die Band hat ihren Stil im Laufe ihrer erstaunlichen Karriere etliche Male verändert, da gesellt sich der bislang letzte neue Impuls gewissermaßen lediglich in eine Reihe anderer. Wobei die tragische Geschichte, wie die Band Linkin Park ihren Frontmann verlor, andererseits einer banalen Sache – die Veränderung eines Line-ups – eine existenzielle Schwere gibt.
Während des zweistündigen Konzerts gab es so gut wie keine Ansagen auf der Bühne. Es war die pure Feier der Musik, und man war dabei, als eine neu formierte Band sich nachjustierte. Emily Armstrong könnte den Test der Zeit künftig bestehen; die meisten in der Barclays Arena hielten das Experiment sicher für sehr geglückt. Die Frau (bei den Zugaben, eine von ihnen ein Stück vom neuen Album, im Deutschlandtrikot) hat die Aura fürs große Bühnenspektakel, und mit Shinoda harmonierte sie prächtig, am besten vielleicht sogar bei „Lost“, einem der wenigen zarten Momente eines harten Konzerts.