Hamburg. „Ich allein bin nicht wichtig“: Dominik Deuber koordiniert seit Beginn dieser Saison die Aktivitäten der vier NDR-Klangkörper.

Dominik Deuber ist unüberhörbar Schweizer und noch ziemlich frisch in Hamburg. Als neuer Leiter vom „Bereich Orchester, Chor und Konzerte“ – ein öffentlich-rechtlicher Spaßvogel hat aus den ersten Buchstaben der Aufgabenbereiche die Abkürzung BOCK zurechtgebastelt – beim NDR muss er sehr geduldig sein. Weil es halt noch dauert, bis man, so etwa in der Saison 2026/27 oder auch 2027/28, tatsächlich seine Handschrift bei den Programmen der vier NDR-Klangkörper in Hamburg und Hannover erkennen wird. Blöd, oder? „Das ist Teil des Jobs.“

Auf vielen anderen Führungsposten würde man sich von Herzen bedanken, wenn man so richtig Bock auf Weichenumstellung und große ausgeschwungene Linien hat, aber Jahre vergehen müssen, bis man die erste eigene große Idee tatsächlich umgesetzt sehen kann – weil die Planungen des Vorgängers noch alles belegen. Der Schweizer an sich jedoch scheint nicht nur geduldig zu sein, sondern, sozusagen genetisch zur Neutralität veranlagt, auch diplomatisch talentiert. „Es gibt viele kleinere Formate, die man schneller entwickeln kann“, meint Deuber zu seiner Abwarteschleife. Bislang habe er einen Fünfjahresvertrag, habe aber auch betont, dass er schon zehn Jahre brauchen würde, „und diese Zeit möchte ich mir geben“.

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Was denn wohl den Ausschlag für die Entscheidung, für seinen Wechsel aus dem kleinen Winterthur ins deutlich größer dimensionierte Hamburg gegeben habe, der Reihenfolge nach sortiert: die Elbphilharmonie, das dort residierende NDR-Orchester, dessen Chefdirigent Alan Gilbert oder wenigstens Hamburg selbst? Deubers Antwort parkt genau zwischen allem: „Keines von denen. Eigentlich war es die Entscheidung, noch mal ein neues System kennenzulernen. Teil eines Medienunternehmens zu sein, die Themen mitzureflektieren, ein bisschen aus der Klassik-Blase herausschauen.“ Der Mix macht’s für ihn: die Ensembles, die Repertoire-Möglichkeiten, „das ist schon eine tolle Ausgangslage. Ich allein bin nicht wichtig, das Gesamte ist wichtig.“

Dazu muss man Deubers eidgenössische Vorgeschichten kennen: musikbegeistert, spielte Cello, studierte später Schlagzeug, Mitglied in Indie-Pop-Bands, Kulturmanagement-Studium. Zwölf Jahre lang leitete Deuber die Lucerne Festival Academy, dazu kam ein Jazz-Festival in einem Städtchen namens Frauenfeld und zuletzt, seit 2020, war er Direktor beim Musikkollegium Winterthur. Eine Adresse abseits der Musikmetropolen, bei der Deuber die Abonnentenzahlen verdreifacht hat.

Neuer Chef der NDR-Ensembles: „Bin jemand, der auf Menschen zugeht“

Nun möchte er also zunächst die Gesamtvision weiterentwickeln und miteinander nach vorn schauen. Vorn ist beim NDR vor allem das Hamburger Orchester, der größte Renommierposten, erst recht nach der sparzwangbedingten Zurechtstutzung des Chors, der nun nur noch ein Vokalensemble ist und seitdem auch so heißt. Die Radiophilharmonie Hannover hat seit Beginn dieser Saison Stanislav Kochanovsky als neuen, jungen Chefdirigenten. Doch die Musik des NDR spielt unter der Stabführung von Alan Gilbert.

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Aber die chronische Konkurrenzsituation mit den Philharmonikern, die zwar das angestammtere Orchester der Hansestadt sind, aber eben nicht auch und deswegen Residenzorchester im Prestige-Konzerthaus? „Ich bin jemand, der gern auf Menschen zugeht“, kommentiert Deuber diese Konstellation. Und die von allen in ihre Marketing-Mantras eingeschweißte Anstrengung, anderes, jüngeres Publikum für die Konzerte finden und sie möglichst lang an sich binden zu wollen? „Mir ist wichtig, dass das Publikum, das zu unserem Orchester kommt, auch Fan davon wird.“

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Alle wollen neue Konzertformate entwickeln. Nicht alle tun es dann aber auch. In Winterthur, berichtet Deuber, habe man montags ein Lunch-Programm zum Wochenbeginn serviert: 45 Minuten „Start with Art“, das sei schon bei der Premiere rappelvoll gewesen. Käme jetzt hier die Konzept-Wunschfee bei ihm vorbei, Deuber würde sie um ein oder zwei Wochen bitten wollen, in denen „alle Klangkörper sich unabhängig von ihrer Dienststruktur die Zeit nehmen könnten, mit Künstlerinnen und Künstlern zu arbeiten – ohne festen, konkreten Output. Schauen, was da entsteht.“

Kurz bevor Deubers nächster Termin sich nähert, ein NDR-Abo-Konzert mit Gilbert im Großen Saal der Elbphilharmonie, wartet er noch mit einer zumindest überraschenden Idee auf: „Ich würde gern Menschen ohne klassische Konzerterfahrung auf der Straße ansprechen und sie ins Konzerthaus einladen. Jedem würde ich 50 Euro persönlich in die Hand drücken, sie sollen sich Beethovens Fünfte anhören. Und jeder, dem das nicht gefällt, soll die 50 Euro behalten. Ich bin mir sicher, dass ich einen Großteil des Geldes zurückbekommen würde.“