Hamburg. Saxofonistin Asya Fateyeva ging mit dem ersten ihrer 17 Konzerte beim Schleswig-Holstein Musikfestival auf Zeitreise in die Renaissance.

Seit Jan Garbarek und dem Hilliard Ensemble 1993 mit ihrem ECM-Album „Officium“ das Kunststück gelang, sakrale Mittelalter- und Renaissance-Musik an die Spitze der weltweiten Verkaufscharts zu grübeln, droht der Kombination „Alte Musik, Saxofon, Vokalensemble“ schnell das penetrant süßliche Aroma einer Klangschalen-Selbsthilfegruppe, die sich mit dieser Gegenwartsflucht in räucherstäbchenvernebelte Besinnungszustände wegmeditiert. Mit dem ersten ihrer 17 Konzerte als diesjährige Porträtkünstlerin des Schleswig-Holstein Musik Festivals blieb Asya Fateyeva klug und einfühlsam auf Distanz zu diesem Cross-over-Klischee.

Für 90 pausenlose Minuten einer „Venezianischen Chornacht“ sollte die eher gediegen gestaltete Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern als SHMF-Spielort an die deutlich prunkvolleren Kirchenräume der Lagunenstadt erinnern. Mit beispielhafter Musik der damaligen Großmeister – die beiden Gabrielis, der zugereiste Flame Willaert und natürlich der damals bedeutendste Hit-Lieferant Monteverdi als krönender Abschluss. Als Horizonterweiterungs-Bonus gab es einen kleinen Abstecher zum Spätrenaissance-Sonderling Gesualdo und dessen abenteuerlich verschrobenen Dissonanzen, obwohl dieser komponierende Adlige seine herzschmerzdurchtränkten Madrigale nicht in Venedig, sondern tief im Süden Italiens, in Venosa, zu Papier gebracht hatte.

SHMF 2024 in Hamburg: Venezianische Chornacht in St. Nikolai am Klosterstern

Das NDR Vokalensemble unter seinem Leiter Klaas Stok am Begleit-Cembalo erwies sich in dieser heiklen Repertoire-Region als kundig und stilistisch trittsicher, in den solistisch gesungenen Stücken glänzte man mit ausgewogener Klangschönheit. Gesualdos harmonische Höchstschwierigkeiten? Kein Problem. Thomas Cornelius war als Organist für das Fundament der Chorsätze eine ebenso gute Wahl.

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Fateyeva fügte den Klang ihres ja erst Jahrhunderte später erfundenen Instruments dezent und stimmig, mit höchstens einem Hauch von Vibrato, in das Mobile der Stimmlinien ein, indem sie beim Verdoppeln eines Parts gar nicht erst darauf abzielte, klanglich aus diesen miteinander verschmelzenden Gesangslinien herauszuragen. Eine unter einigen, mit Sopran- oder Altsaxofon, warum auch nicht, bei der Instrumentalbegleitung hatten schon die textverliebten Madrigalisten der damaligen Zeit freie Auswahl.

SMHF: Das erste von 17 Konzerten von Asya Fateyeva fand in Hamburg statt

Interessanter Kontrast und als Gegenstück zu den für heutige Ohren mitunter befremdlichen Akkordkonstruktionen des 16. Jahrhunderts war eine Auftragsarbeit des 1975 geborenen Ungarn Márton Illés für die Solistin. „sopra l’aque“ für Altsaxofon und 20 Stimmen, basierend auf dem Textfragment einer venezianischen Renaissance-Dichterin, einem weiteren Lobgedicht auf die ewige Schönheit der Stadt, das allerdings und wohl durchaus gewollt bis zur totalen Unverständlichkeit atomisiert wurde.
Fateyevas Part war dabei der einer Kommentatorin dieser unausweichlichen Vergänglichkeit, mit Spalttönen und anderen Klang-Spezialeffekten, über das Raunen und die brüchigen, mürben Einsätze des Chors hinweg, bis an den hauchleisen Rand der Unhörbarkeit.

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Anstrengende, zerbrechliche, anschaulich abstrakte Musik war das, die damit auch zurückverwies in die musikalische Blütezeit Venedigs – zu einem Meisterwerk der Renaissance, Monteverdis „Lamento d’Arianna“. Das einzig erhaltene Fragment aus dessen zweiter Opern-Tragödie, in dem die antike Titelheldin ihr Liebesleid und ihre Einsamkeit so erschütternd unmittelbar und aktuell beklagt, als wäre ihr erst gestern das Herz in kleinste Stücke gebrochen worden. Die Umsetzung der Abschnitte variierte Stok interessant, indem er sein Ensemble auf jeweils fünfstimmige Gruppen verteilte, bevor er für das Finale dieser Szene den Chor als Ganzes zum Einsatz brachte, mit Fateyeva als leidenschaftlich Mitfühlende in den instrumentalen Zwischenspielen.

Weitere Fateyeva-Konzerte beim SHMF: www.shmf.de