Hamburg. Das Ensemble Reflektor verzichtete bei Beethovens 9. Sinfonie auf das Chor-Finale und sang stattdessen mit dem „Chor zur Welt“.
„Alle Menschen werden Brüder“ und „Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein“… Schiller, klar, die „Ode an die Freude“, dieser Traum von einer deutlich besseren Welt direkt hinter der allzu anstrengenden und unbefriedigenden Gegenwart. Muss man träumen wollen, muss man glauben können. Aber muss oder kniffliger noch: kann man das heute auch genau und nur so singen und übernehmen, wie Beethoven es vor genau 200 Jahren ans Ende seiner 9. Sinfonie schrieb? Vielleicht ja auch mal nicht, lautete die interessante Antwort des Ensemble Reflektor bei dessen „Alle Töne!“-Konzert in der Halle 424.
Das berühmte, beliebte, überlebensgroße Chor-Finale mit dem Solistenquartett wurde also: weggelassen. Ersetzt durch eine zeitgenössische, verfremdende, anspielende Ergänzung namens „Frequenz Ludwig“, für diesen Anlass geschrieben von der jungen Komponistin Ying Wang. Darin wabern Spurenelemente des Beethoven-Originals noch herum, hier und da wird angedeutet oder bruchstückhaft aus Motiven zitiert, dann aber zerläuft dieser Vorsatz der Auseinandersetzung mit dem Über-Komponisten und seinem hehren Moral-Appell wie Streichkäse in der prallen Sommersonne.
Ensemble Reflektor mit Beethovens Neunter als Ode an die Freunde
Was das Ganze ganz anders als normal ins Jetzt holte und ganz nebenbei auch noch eine gute Gelegenheit für das Ensemble ist, seine Vielseitigkeit zu beweisen. Trotz der gewohnt rustikalen Hallen-Akustik im Oberhafenquartier, in der sich wenig sachdienlich mischt und vieles nun mal eher schwierig klingt, egal, wie hochwertig es aus dem jeweiligen Instrument kommen mag. Holly Hyun Choe formte diesen Beethoven dann auch, so gut es hier ging. Bei aller erkennbaren Mühe um das Schärfen von Details und des Anlegens längerer Linien – es ging so. Vor allem das cantabile im langsamen dritten Satz, dem „Adagio molto e cantabile“, blieb unausgesungen und zu unlyrisch. Doch für feinst ausbalancierten Bilderbuch-Beethoven war wohl kaum jemand dort. Die Geste zählte und die Neugierde auf das andere im Bekannten.
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Konsequent also, dass das ein Nachspiel hatte, mit Gästen aus einer nahegelegenen Kultur-Location, dem in der Elbphilharmonie verankerten „Chor zur Welt“, einem bunt besetzten Nicht-Profi-Ensemble, das genau daraus seine Rechtfertigung und seine, großes Wort: Herzenswärme zieht. Mit einigen Volksliedern aus mehreren Himmelsrichtungen, von Südafrika bis Bolivien, und einer Mitsing-Einladung ans Publikum bekam der Abend einen Drall ins Gemütliche und Gesellige. Letzlich wurde er also genau das, was Beethoven und Schiller mit ihren Tönen und Worten beabsichtigt hatten: eine kleine, frohe Gemeinschaft aus gemeinsam gestalteter Musik. Eine kleine Ode an die Freunde.
Infos: www.ensemble-reflektor.de