Hamburg. Beim SHMF-Konzert des ensemble reflektor wurde ein Stück von David Orlowsky uraufgeführt. Was Meer und Strand damit zu tun haben.

Dass man Musik mit allen Sinnen erfassen und erleben sollte, ist ja leichter gesagt als getan, denn riechen zum Beispiel kann man sie auch bei allergrößter Anstrengung nicht. „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, würde der Klarinettist und Komponist David Orlowsky darauf antworten, denn er ist ein Meister in der Kunst, sich von Düften und Gerüchen zu Klängen und ganzen musikalischen Werken inspirieren zu lassen. Das mag der Duft einer Pflanze, eines bestimmten Ortes, eines Lebewesens oder eines Gegenstandes sein, der eine Empfindung bei ihm geweckt und kreative Prozesse in Gang gesetzt hat. So viele jedenfalls, dass aus dieser Idee gleich ein ganz neues CD-Album dieses Klarinettisten mit dem Titel „Petrichor“ entstanden ist.

Auch wenn sein neues Klarinettenkonzert „Shadow Dancer“, das Orlowsky am Dienstag bei einem SHMF-Konzert in der Elbphilharmonie mit dem ensemble reflektor zur Uraufführung brachte, eigentlich einen philosophischen Hintergrund hat, trägt es auch Spuren vom Duft des Meeres und des Strandes. „Ich habe das Stück während verschiedener Surf-Reisen über ein paar Jahre hinweg geschrieben“, erzählt Orlowsky, „und je nach Wellenbedingungen die Tage in Schreibtischarbeit und Surfen aufgeteilt.“

Elbphilharmonie: Wie Orlowsky ein Zitat eines berühmten Psychoanalytikers verarbeitet

Ein aus vier Tönen sich aufbauendes, voon Orlowsky allein vorgetragenes Motiv eröffnete das Werk, dessen Titel „Shadow Dancer“ sich auf ein Zitat des Psychoanalytikers C.G. Jung bezieht. „Wer zugleich seinen Schatten und sein Licht wahrnimmt“, so Jung, „sieht sich von zwei Seiten, und damit kommt er in die Mitte.“ Diesen Gedanken hat Orlowsky in etlichen Variationen in seinem Klarinettenkonzert verarbeitet. Nach dem Auftakt verharrte er zunächst auf einem lang ausgehaltenen Ton, während der Konzertmeister des ensemble reflektor das Motiv übernahm und Orlowsky es zeitversetzt zu ihm wieder aufgriff, als würden Licht und Schatten um Dominanz ringen.

Solche motivischen Echos durchzogen das ganze Werk, mal untermalt von bedrohlichen Ausbrüchen des Kammerorchesters unter der fantastischen Leitung der österreichischen Dirigentin Katharina Wincor, mal von Glissandi und Trillern gestört oder in statischen Klangflächen verharrend. In einem Dialog mit dem Solo-Bratschisten mischten sich bei Orlowsky bewusst überblasene Missklänge und bei der Bratsche harte Striche ins Geschehen. Am Ende wird in einem schnellen Satz, so beschreibt es der Komponist, der Schatten zum Tanz aufgefordert. „Wenn wir tanzen, können wir uns selbst vergessen“, erklärt er. „Das passiert auch in den Berliner Technoclubs, die ich sehr liebe. Der letzte Satz spielt mit Elementen aus dieser Musik, aber auch Balkan-Rhythmen kommen vor.“

Elbphilharmonie: Klangfarben des Orchesters schillern wie in einem Kaleidoskop

Auf welch hohem Niveau dieses aus ganz jungen Musikerinnen und Musiker bestehende und erst 2019 gegründete Ensemble mit Sitz in Lüneburg und Hamburg zu spielen in der Lage ist, zeigte es auch bei der Ouvertüre C-Dur von Fanny Mendelssohn. Der explosive Übergang vom ruhigen Auftakt zum schnellen Abschnitt gelang dem Orchester perfekt. Katharina Wincor ließ die Klangfarben des Orchesters schillern wie in einem Kaleidoskop, denn Felix Mendelssohn Bartholdys Schwester Fanny liebte die Vielfalt kurzer kontrastierender Abschnitte.

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An Brillanz jedenfalls steht ihr Stück der Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 „Italienische“ von Felix Mendelssohn Bartholdy um nichts nach, bei der mit der schlanken Streicherbesetzung die tackernden Staccati der Holzbläser im feurigen Eingangssatz umso wirkungsvoller hervortraten und Wincor bei dieser Transparenz etliche Feinheiten der Partitur freilegen konnte.