Hamburg. Blixa Bargeld und Co. im Großen Saal: Die Zeiten des ungezügelten Berserkertums sind längst vorbei, heute geht es familiär zu.

„Alles schon geschrieben, alles schon gesagt.“ Wenn Blixa Bargeld diese Zeilen aus „Wie lange noch?“ am Sonntagabend im Großen Saal der Elbphilharmonie singt (eher: rezitiert), dann ist da natürlich was dran. Immerhin gibt es die Einstürzenden Neubauten jetzt seit 44 Jahren, drei der Mitglieder aus Anfangstagen sind immer noch dabei: neben Bargeld Bassist Alexander Hacke und Perkussionist N. U. Unruh. Und doch: Ein Neubauten-Konzert hat bis heute eine ganz besondere Magie; viele, die an diesem Abend gekommen sind, haben auf der laufenden Tour schon mehr als eine Show gesehen, das wird bei Gesprächen im Foyer deutlich.

Mancher wird auch 2017 dabei gewesen sein, als die Neubauten zehn Tage nach der Eröffnung des Konzerthauses gleich zweimal im Großen Saal spielten und schon wegen ihres Namens so perfekt an diesen Ort mit seiner langen und schmerzhaften Entstehungsgeschichte passten. Lacher mit Ansage, gewiss, trotzdem lustig. Und Blixa Bargeld genoss die Auftritte sichtlich, rauchte auf offener Bühne (natürlich streng verboten) und machte mit seiner Band gleich mal klar: ein Haus nur für klassische Hochkultur? Nö.

Elbphilharmonie: Einstürzende Neubauten in Hamburg – kein Platz für Nostalgie

Sieben Jahre später ist all das natürlich eine Selbstverständlichkeit, gab es hier doch inzwischen auch schon Free-Jazz-Gemetzel und Death-Metal-Attacken. Und überhaupt sind die Neubauten seit Jahrzehnten Teil der (Avantgarde-)Hochkultur. Aber es braucht auch gar keine Provokation, um diesen Auftritt zu feiern, bei dem Blixa Bargeld als Grandseigneur des ewigen Undergrounds im dunklen Anzug in der Bühnenmitte steht und sich wie „Pestalozzi“ fühlt, über die „Befindlichkeit des Landes“ sinniert und mit „Besser isses“ das ultimative Hart-und-wenig-herzlich-Trennungslied vorträgt. „Ich ohne dich. Du ohne mich. Besser isses.“ Tja, der Worte sind wohl genug gewechselt...

Einstürzende Neubauten
Harter Arbeiter: Bassist Alexander Hacke beim Konzert der Einstürzenden Neubauten in der Elbphilharmonie. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Für die typischen Beats sorgen Bassist Alexander Hacke (ebenso barfuss wie Blixa), die Perkussionisten N. U. Unruh und Rudolph Moser, Gitarrist Jochen Arbeit und Keyboarder Felix Gebhardt – eine Rhythm Section irgendwo zwischen Technotrance und Industrial-Stahlgewitter, natürlich um Längen zahmer als in Anfangstagen, als auf offener Bühne noch die Funken flogen. Wer in den Achtzigern in der Markthalle dabei war, erinnert sich noch an die ohrenbetäubenden Spektakel. Heute werden zwar immer noch ein Einkaufswagen und eine Metalplatte bearbeitet, aber die Lautstärke ist eher dezent und das ungezügelte Berserkertum früherer Tage hat sich auch erledigt.

Die Atmosphäre ist geradezu familiär, man kennt sich lange, man mag sich sehr

Ist eben alles (schöne) Geschichte, und so stehen auf der Elbphilharmonie-Setlist keine Nummern aus Klassikern wie „Zeichnungen des Patienten O.T.“ (1983) oder „Halber Mensch“ (1985). Herzstück des Sets ist vielmehr das aktuelle Album „Rampen: apm (alien pop music)“, von dem gleich sieben Stücke zu hören sind, darunter „Gesundbrunnen“, ein Song, den Blixa Bargeld in seiner kurzen Ansage auf seinen als Mädchen geborenen Trans-Sohn bezieht. Dazu kommen sechs Nummern vom 2020er-Album „Alles in Allem“, da bleibt dann wenig Platz für Rückwärtsgewandtheit und Nostalgie.

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Die meisten, die gekommen sind, scheinen damit aber eh nicht gerechnet zu haben, viele sind langjährige „Supporter“, die die Band vor allem für Albumproduktionen im Vorfeld finanziell unterstützen und als Dankeschön zahlreiche Extras, darunter Konzert-Webcasts oder streng limitierte Sonder-Veröffentlichungen erhalten. Die Atmosphäre ist geradezu familiär, man kennt sich lange, man mag sich sehr. Und als Blixa bei „Susej“, der letzten Zugabe, singt: „Lass uns nach Hause gehen, let us go home“, da stellt sich tatsächlich eine Nähe ein, die sich bei Konzerten eher selten findet. Großer Jubel, und dann wird zum Merchandise-Stand geströmt, um eine Erinnerung an diesen Abend mit nach Hause zu nehmen.

Natürlich: Alles schon geschrieben, alles schon gesagt. Und trotzdem besonders.