Hamburg. Sara Klatt, Mia Raben und Julia Jost waren bei der Herbstlese Blankenese nominiert. Nur eine konnte siegen – und eine las am Airport.

Sören C. Sörensen vom Blankeneser Segelclub erklärte die Schieflage des Raums, in dem sich am Sonnabendabend etwa 80 Leute eingefunden hatten. Niedrigwasser, der Ponton unter dem Club- und Restaurantgebäude neigte sich also zur Seite. „Gleich kommt Hochwasser, dann sind wir wieder gerade“, erklärte Hausherr Sörensen. So war es dann auch: Die literarischen Wasser stiegen in jedem Fall, als Mia Raben, Sara Klatt und Julia Jost die Debütwelle über die Herbstlese Blankenese schwappen ließen. Um geschmeidig im Bild zu bleiben.

Der Lange-Rode-Debütpreis sollte auf dem erstmals stattfindenden Literaturfest im bekanntesten Elbvorort vergeben werden. Klare Sache: Eine Preis-Zuerkennung ist fürs Publikum eigentlich nur dann richtig spannend, wenn es den Sieger (in diesem Fall eindeutig: die Siegerin) noch nicht kennt und konkurrierenden Schriftstellerinnen beim Wettlesen zuschauen kann. Klagenfurt-Feeling in Blankenese, aber halt mit Containerriesen und untergehender Sonne überm Elbstrom. Schon ganz gut das Setting.

Wettlesen in Blankenese: Julia Jost, Mia Raben und Sara Klatt waren nominiert

Und für alle drei Nominierten nicht unbekannt, mit den Hamburger Autorinnen Mia Raben, die mit ihrem sozialkritischen und unterhaltsamen Roman „Unter Dojzcen“ ins Rennen ging, und Sara Klatt auf der einen Seite nämlich, die mit dem Israel-Roman „Das Land, das ich dir zeigen will“ nominiert war. Und auf der anderen war da Julia Jost, aus Kärnten gebürtig, die mal Regieassistentin am Thalia Theater war. Die Veranstalter des Festivals wurden von Letzterer freilich in einen kleinen Stresszustand versetzt. Die Österreicherin verpasste ihren Flieger.

Hamburger Autorin Sara Klatt, Gewinnerin des Lange-Rode-Debütpreis
Buchhändler und Festivalveranstalter Pascal Mathéus im Gespräch mit der Autorin Sara Klatt. © Buchhandlung Wassermann | Buchhandlung Wassermann

Also nahm sie am Wiener Airport ihre Lesung halt mit dem Smartphone auf. Das Video, in dem Jost, Jahrgang 1982, zwei sprachlustig pulsierende Kapitel ihres Provinz-Romans „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“ mit österreichischer Inbrunst vorlas, wurde dann im Segelclub gezeigt. Ob wiederum in Wien ein paar andere Fluggäste verwundert waren, dass da eine einfach laut vor sich her las? Das konnte man nicht in Blankenese sehen, alle Kameraaugen waren allein auf Jost gerichtet – und die überzeugte beim Vortrag durchaus.

Literatur in Blankenese: Sara Klatt und ihr Israel-Roman

Wie überhaupt die von Buchhändler Pascal Mathéus moderierte Veranstaltung kurzweilig herunterschnurrte. Das lag auch an der Themenvielfalt. Jost erzählt vom Aufwachsen einer queeren, ziemlich bissigen Elfjährigen in einem rückständigen Dorf. Mia Raben von osteuropäischen Arbeitsnomaden in den reichen Elbvororten (die Lesung war in Blankenese!), sie las, na klar, das Kapitel mit dem Waitzstraßen-Rentner-Schaufenster-Crash. Wissendes Lachen im Publikum, was sonst. Und die dritte Nominierte, Sara Klatt war der letzte Auftritt vorbehalten, erzählt von noch einmal etwas ganz anderem: von Israel nämlich.

Und das tut Klatt in „Das Land, das ich dir zeigen will“ so toll und fesselnd, dass sie es war, der die Jury den mit 5000 Euro dotierten Lange-Rode-Debütpreis zuerkannte. Klatt, eine gelernte Fotografin, porträtiert das Israel der Gegenwart in all seinen Facetten. Nachtleben und Palästinenserkonflikt, Liebe, Hass, Vergangenheit und Gegenwart, Traum und Trauma: Klatt schickt ihre Hamburger Ich-Erzählerin in ein fremd-vertrautes Land, das sie auch aus den Erzählungen ihres Vaters und ihres Großvaters kennt.

Sara Klatt in Blankenese: Ihr Roman war vor dem 7. Oktober fertig

Der Roman ist episodisch angelegt und taucht mit einem großen Figurenpersonal in das Alltagsleben des historisch tief geprägten und multikulturellen Landes ein. Erschienen ist „Das Land, das ich dir zeigen will“ erst vor wenigen Wochen, beendet war der Schreibprozess aber kurz vor dem 7. Oktober.

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Das Buch zeigt das schwierige und faszinierende Land also am Vorabend des Krieges, wo es erst an der Schwelle zu seinem bislang letzten Kapitel steht. Insofern ist die Ruhe vor dem Sturm in Klatts Werk auch ein Zustand, den man sich sehnsüchtig zurückwünscht. Der Roman verdient viele Leserinnen und Leser, die dank seiner Autorin ein lebendiges Zeugnis vor allem, aber längst nicht nur der jüdischen Geschichte Israels bekommen, ein Wimmelbild der Freude und des Lebenshungers.

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Ein erstaunlicher Roman über eine katastrophale Frau, die ihren Vater begehrt

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