Hamburg. Neues Buch über eine Arbeitsmigrantin in Hamburg: Mia Raben gelingt mit „Unter Dojczen“ ein zuckriges Sittenbild der Elbvororte.
Im Finale dieses Romandebüts wird es beinah rührselig. Das macht jedoch nichts, weil man manchmal unbedingt an das Gute glauben möchte. Und nicht an die womöglich klischeehaft negative Haltung der Gutbetuchten dem Dienstleistungsprekariat gegenüber. Die Bonzen an der Elbchaussee, alle Menschenschinder? Im Falle von Jola, der polnischen Arbeitsmigrantin, die nach Othmarschen in eine Arztfamilie kommt, ist das ganz und gar nicht so. Das sind alles nette Leute.
Jola, die Hauptfigur in Mia Rabens am Ende, Tatsache, sympathisch zuckrigem Roman „Unter Dojczen“ ist eine von vielen Pflegefachkräften, die über polnische und deutsche Vermittlungsagenturen in Hannover, Bayern oder Hamburg landen. Letztere sind zufällig die Stationen der etwa 50-Jährigen, und in den bitteren Teilen dieses flüssig und szenisch geschriebenen Texts wird von ihren Erfahrungen dort berichtet. Und zwar von ihr selbst: Jola erzählt Uschi von Klewen, der alten, rheumatischen Dame des Othmarscher Hauses, von früherer emotionaler und materieller Ausbeutung. Von der Verbannung in den Keller, von Zurechtweisungen, von Arroganz, aber auch von feineren, Stockholmsyndrom-ähnlichen Verwicklungen, die dafür sorgen, dass die Fremde zur Gefangenen ihrer eigenen Moral wird.
Bücher Hamburg: „Unter Dojczen“ von Mia Raben erzählt von den Elbvororten
Jola ist so: ein anständiger Mensch. Sie lässt sich von Frauen mobben, weil sie merkt, wie gut sie deren Männern tut. Ja, es sind gebrechliche Menschen, mit denen sie es zu tun hat. Zur standesbewussten, aber nicht steifen Hamburgerin Frau von Klewen entwickelt sich unwahrscheinlicherweise eine Freundschaft. Davon erzählt die Hamburger Autorin Raben, die eine polnische Mutter und einen deutschen Vater hat, auf beherzte Weise. Seinen Reiz entfaltet der Stoff gerade in der erzähltechnisch durchaus kühnen Konfrontation der üblen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitskräfte mit dem Wohlwollen der High Society in Hamburgs Nobelviertel.
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Denn die von Klewens – Uschis Sohn Peter, seine Frau Bea, Enkelin Isi – meinen es gut mit Jola. Bezahlen ihr den Führerschein (Waitzstraßen-Folklore: Uschi ist mit dem Jaguar durch die Scheibe des Schlachters gebrettert), laden sie zum Sauna-und-Champagner-Get-together nach Elbchaussee-Art ein. Aber all das ist mit subtilen, nicht absichtlichen Manövern des Von-oben-Herab. Dass Jola die griechischen Versepen kennt, sorgt für Erstaunen. Intellektueller Dünkel stellt sich gegenüber einer Pflegerin aus Polen, die manchmal auch „nur“ eine Putzfrau mit weitreichenden Zusatzaufgaben ist, wie automatisch ein.
Neues Buch „Unter Dojczen“ von Mia Raben: Die Lebenswirklichkeit osteuropäischer Arbeitsnomaden
„Unter Dojczen“ ist Mia Rabens gelungener Versuch, die Lebenswirklichkeit von osteuropäischen Arbeitsnomaden auf plastische, auch unterhaltsame Weise zu beschreiben. Es ist ausschließlich Jolas Perspektive, aus der diese Geschichte von doppelten Abhängigkeiten erzählt wird. Die Frage ist, ob der Wechsel zum Blick der Arbeitgeber für die Leserinnen und Leser gewinnbringend gewesen wäre. Wahrscheinlich eher nicht, das banale, privilegierte Freundlichsein der Hamburger Oberschicht erklärt sich hinreichend in dem, was die reflektierte Protagonistin über jenes ventiliert. Die ausländischen Arbeitskräfte („Hamburg ist eine wunderschöne, sehr kultivierte Stadt“, „Aber Deutsche bleiben Deutsche“) kennen ihren Platz und wissen, wie sie gesehen werden.
Für die literarische Vitalität der Geschichte sorgt am meisten die Hauptfigur selbst. Ihre Herkunft aus Lodz mit zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit und Alleinverantwortlichkeit für ein Kind ist der Boden, auf dem ihre späteren Probleme und ihre Unbeugsamkeit gedeihen. Die Wiederannäherung an die Tochter, die sie als Teenagerin zurückließ und als junge Erwachsene aus den Augen verlor, ist der zweite Erzählstrang von „Unter Dojczen“. Raben ist klug genug, das Einanderfinden der beiden Frauen keinesfalls als Kitschmoment zu inszenieren.
Polnische Arbeitskräfte in Hamburg: Heller Strahl, wo oft Tristesse herrscht
Zwischen Jola und Uschi kommt es beinah zum Bruch über Jolas Bemühungen, in Kontakt mit ihrer Tochter zu treten. Die alte Dame darf in dieser Angelegenheit als Beispiel für eine Art egozentrisches Kindischsein gelten. Der Autorin Raben gelingt es, was Jola angeht, die persönliche Selbstermächtigung der Angestellten zu schildern, die sich im entscheidenden Augenblick einmal mehr von ihrem Rollenverständnis als dienende, anpassungsfähige, barmherzige Dienstleisterin emanzipiert.
Überdies ist dies eine lehrreiche Erzählung. Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, wie viel Geld am Ende bei Arbeitsvermittlern landet und wie wenig bei den schuftenden Arbeitskräften selbst. In den Elbvororten hat Jola übrigens so viel Freizeit wie noch nie. Wie gesagt, man ist in Hamburg freundlich zu der Frau, die die Jobs macht, die Deutsche oft nicht machen wollen. Selbst Jolas Landsmann Kuba, ein zu überzeugter Wodka-Fan, der sich bei ihr einnistet, als er den von Klewens ein Gartenhaus baut (beziehungsweise deren aktivistischer Tochter), findet sich in einem Happy End wieder. „Unter Dojczen“ soll eine erhebende Lektüre sein, der einen hellen Strahl dorthin schickt, wo oft Tristesse herrscht. Es ist ein Sittenbild, das reichen Hamburgern insgesamt eher schmeichelt.
Mia Raben ist neben Sarah Klatt und Julia Jost für den erstmalig verliehenen Lange-Rode-Debütpreis nominiert. Alle drei Autorinnen lesen am 14. September im Blankeneser Segelclub im Rahmen der Blankeneser Herbstlese. Infos unter www.wassermann-buecher.de