Hamburg. Das Solidaritätskonzert „Gegen das Schweigen. Gegen den Antisemitismus“ in der Elbphilharmonie soll ein Abend für mehr Toleranz werden.
- Der Pianist Igor Levit kommt für ein Solidaritätskonzert in die Elbphilharmonie
- Im Interview spricht Levit über seine Motivation und seine Befürchtungen
- Von ihm geplant sind weitere Abende in jedem Bundesland
Der Musiker Igor Levit ist vom politisch denkenden und handelnden Mensch Igor Levit nicht zu trennen. Immer wieder hat er sich nicht nur in Debatten über die Gegenwart eingemischt, er hat auch Diskussionen ausgelöst. Hat damit viele Freunde gefunden – und sich gleichzeitig nicht wenige Gegner gemacht.
Einen knappen Tag nach Schließung der Wahllokale in Sachsen und Thüringen über den aktuellen Zustand der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik mit dem in Berlin lebenden Pianisten zu sprechen? Was für ein Timing. Im vergangenen November fand im Berliner Ensemble das erste Solidaritätskonzert statt, mit dem der Pianist aufrütteln und mahnen will. Der mittlerweile vierte Abend dieses Formats ist für den 16. September in der Elbphilharmonie geplant, auf der Gästeliste stehen Namen wie Michel Friedman und Wolf Biermann, die Antilopen Gang mit Danger Dan („Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“), NDR-Chefdirigent Alan Gilbert, „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, Tocotronic-Frontmann Dirk von Lowtzow, Olli Schulz oder Tim Mälzer. Es wird ein langer Abend. Es gibt viel zu besprechen.
Das Motto dieses Abends lautet: „Gegen das Schweigen. Gegen den Antisemitismus.“ „Wofür“ also?
Dass man sich gegen das Schweigen und gegen Antisemitismus stellt. Der Titel entstand ja nicht im luftleeren Raum, sondern im Kontext eines sehr schmerzhaften, schwer erträglichen Schweigens über die Explosion antisemitischer Übergriffe, Aussagen, Attacken und Aktionen in den ersten Wochen nach dem 7. Oktober. Sowohl aus grundsätzlichen Teilen der Gesellschaft als auch aus weiten der Kulturbranche. Wofür sich der Abend also positioniert? Für einen Raum, in dem nicht geschwiegen wird. In dem man sich gegen das Schweigen und gegen Antisemitismus stellt. Ganz einfach.
Igor Levit: „Ich schwanke zwischen Wut und Hoffnung“
Wie kam die Mitwirkenden-Liste zusammen?
Das ist bei jedem Abend anders. In diesem Fall bin ich in mich gegangen. Ich habe mit den Verantwortlichen der Elbphilharmonie gemeinsam gesprochen, einige habe ich angeschrieben, andere sie. Das war ein Geben und Nehmen. Viele sind Freunde und Weggefährten.
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Der erste dieser Abende fand im letzten November im Berliner Ensemble statt…
… Ich plane, diese Abende in jedem Bundesland mindestens einmal auf die Beine zu stellen. Jetzt kommt Hamburg, davor waren es Berlin und Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern, vor einigen Tagen war ich in Thüringen, in Sondershausen.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar, das ist eine Maxime“
Die Abstände werden kürzer. Warum? Notwendigkeit?
Nein. Ich nehme diese Termine dann wahr, wenn mein Kalender es mir erlaubt und wenn die Institutionen, die mir auch schreiben und denen ich schreibe, Zeit haben.
Bei einer ähnlichen, anderen Veranstaltung im Juni im Berlin wurde mit Bezug auf das Grundgesetz gesagt: Die Würde des Menschen wird Tag für Tag angetastet. Gilt dieser Satz noch? Und schrauben wir uns immer tiefer hinein in Vorfälle, in Befindlichkeiten, auch in das Gewöhnen an entsprechende Vorfälle?
Verzeihung für die Kälte, weil mir der Wahlausgang in Thüringen und Sachsen noch sehr in den Knochen steckt. Aber: Die Frage müsst ihr euch stellen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, das ist eine Maxime. Sie ist genauso real wie auch Musik es ist. Entweder es gibt Menschen, die sie zum Klingen bringen – oder sie ist ihr Papier nicht wert. Nun ist ein Musikstück, wenn man es nicht mit Leben füllt, weniger lebensgefährlich, als wenn man den Satz „Die Würde des Menschen ist und unantastbar“ nicht mit Leben füllt. Das wissen wir aus der Geschichte und aus der Gegenwart. Aber was gerade passiert… Wo soll ich anfangen zu analysieren? Was das angeht, will ich keinen Sauerstoff verschwenden. Es hat genug Analysen gegeben. In diesem Sandkasten kann ich nicht mehr spielen. Ich kann darauf schauen, dass ich bei mir bleibe, dass ich in den Spiegel schauen kann. Dass ich Projekte mache, an die ich glaube, dass ich Menschen unterstütze, die Unterstützung benötigen. Auch in Thüringen und in Sachsen gibt es wunderbare Menschen, die noch immer die Humanität und das Miteinander hochhalten. Diese Menschen zu unterstützen – ja, dafür bin ich da. Darüber kann ich gerne reden. Aber über Analysen? Weshalb, wenn man AfD und BSW zusammennimmt, knapp 50 Prozent von zwei Bundesland-Bevölkerungen so wählen, wie sie wählen? Nicht mit mir. Ich habe einen anderen Job.
„Ich bin deutscher Staatsbürger, es ist auch mein Land!“
Es gibt einen von der CDU-Legende Heiner Geißler überlieferten Analyse-Ansatz: „In der Politik sind Emotionen Fakten.“ Diese Fakten haben wir jetzt seit diesen zwei Landtagswahlen.
Wen soll das überraschen? Die Ergebnisse sind eins zu eins das, was Umfragen vorhersagten. Die parteiübergreifende Hilflosigkeit, mit der da agiert wird, ist schwer erträglich. Ein Beispiel: Jeder weiß, dass die CDU nicht mein Verein ist. Man kann jetzt lange darüber reden, weshalb die sehr vollmundige Aussage von Friedrich Merz, er werde die AfD halbieren, als er CDU-Chef wurde, jetzt nicht ganz erfolgreich war. Aber ich bin auch nicht dafür zu haben, ständig zu beschreiben, dass der Oppositionsführer der einzige Verantwortliche für dieses Debakel ist. Ich will das nicht.
Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?
Für viele Menschen ist das, was in Thüringen und Sachsen passiert ist, politisch schwer zu ertragen. Ist schwer zu begreifen, dramatisch, traurig, tragisch. Es macht wütend. Für manche Menschen, wie mich, abstrakt gesprochen, und andere, nennen wir sie mal auf dem Papier Minderheiten, ob jetzt mit deutschem Pass oder ohne, ist das, was gerade passiert, potenziell lebensgefährlich. Da sind Menschen nah an der Macht, deren Programm sich gegen Minderheiten richtet, auch gegen Menschen wie mich. Ich bin deutscher Staatsbürger, es ist auch mein Land. Ich versuche zu tun, was ich tun kann, aber ganz klar gesagt: Ich kann gehen.
„Wir alle wollen, dass diese Partei nicht nur halbiert, sondern marginalisiert wird“
Die „New York Times“ hat nüchtern nachrichtlich geschrieben, das sei jetzt das erste Mal seit der Nazi-Zeit, dass eine rechtsextreme Partei eine Wahl in einem Bundesland gewonnen habe.
Was soll ich jetzt noch dazu sagen? Ganz schön viele erste Male in den vergangenen acht Monaten… Am 7. Oktober stand in der Schlagzeile „Größter Massenmord an Juden seit der Shoah“. Es waren mir zu viele dieser Nachrichten in relativ wenigen Monaten. Die „New York Times“ wird recht haben und ich kann nur weiterhin meinen Job machen. Ich kann nur weiterhin zu meiner Überzeugung stehen. Und gleichzeitig, und das gilt leider, leider, leider parteiübergreifend, nur noch den Kopf schütteln.
So wichtig und so richtig solche Abende wie der in Hamburg ja sind – sie rennen auch bereits offene Türen ein. Denn wahrscheinlich wird kein Reisebus mit Mitgliedern der „Jungen Alternative“ aus Thüringen bei der Elbphilharmonie vorfahren und nach der Veranstaltung geläutert aus der JA austreten.
Das ist eine Hybris, die ich für komplett bescheuert halte. Diese Hybris habe ich überhaupt gar nicht. Ich mache diese Abende nicht mit der Überzeugung, dass ich damit die Wählerstimmen einer Parte halbiere. So weit kommt‘s noch. Das wäre fast noch weniger ernst zu nehmen als – und das meine ich ausdrücklich nicht ironisch – respektable deutsche Oppositionsführer, die sich am ersten Tag ihres neuen Jobs hinstellen und sagen, ich halbiere die AfD. Solche Sätze helfen niemandem. Wir alle wollen, dass diese Partei nicht nur halbiert, sondern marginalisiert wird. Aber: Ist halt nicht.
Mit anderen Menschen einen Raum schaffen, um die Batterien aufzuladen
Was ist dann der Anspruch?
Mein Anspruch ist nichts anderes, als mit anderen Menschen einen Raum zu schaffen. Im Fall der Elbphilharmonie für knapp über 2000, letzte Woche in Sondershausen für 150 Menschen. Ich würde es auch für zwei oder drei machen, ich würde auch sehr weit fahren, um es für zehn Menschen zu machen. Einen Raum zu schaffen, in dem sie für einen kurzen Moment das Gefühl haben: Okay, ich bin halt gerade jetzt mal kurz nicht allein und kann ein bisschen die Batterie aufladen. Ganz im Ernst, das reicht mir schon.
Wie wirken sich das Planen, das Nachdenken und auch das Durchstehen solcher Abende auf das Klavierspiel aus? Das eine greift ja sicher ins andere.
Das ist wie eine Wippe. Ich schwanke beim Klavierspielen, ob zu Hause oder auf der Bühne, genauso wie ich im Alltag schwanke. Zwischen Wut und Hoffnung, zwischen Hell und Dunkel. Es beschäftigt mich in der einen oder anderen Form die ganze Zeit. Das wirkt sich allein deswegen auch auf das Klavierspiel aus, weil es sich natürlich auf alles auswirkt. Aber Abende wie jetzt der 16. September in Hamburg, auch in der letzten Woche in Sondershausen, das sind kleine Glücksoasen. Ich kann für meinen Teil sagen: Ich brauche sie gerade sehr.
„Ich habe zwar ein loses Mundwerk, aber ich halte meine Ansagen ein.“
Gibt es schon einen nächsten konkreten Termin, das nächste Bundesland?
Ich arbeite gerade dran, es sind noch zwölf zu bearbeiten. Ab Spätherbst bin ich fast die ganze Zeit in den USA. Da entsteht also eine Lücke. Ich habe zwar ein loses Mundwerk, aber ich halte meine Ansagen ein. Und wenn es sich ergibt, fahre ich auch mehrmals irgendwo hin. Da bin ich nicht zimperlich.
Wäre es nicht auch mal wieder jetzt schön und ja auch anstrengend genug, einfach „nur Pianist“ zu sein?
Es mag sieben, acht Jahre her sein, dass Jan Böhmermann sinngemäß getwittert hat: „Man kämpft für eine Zeit, in der man einfach wieder lustig sein darf.“ Das wäre mal ein schöner Traum, ja. Aber ich glaube, das wird halt nichts in der nächsten Dekade. Wenn es gut geht.
Das heißt?
Bei mir bleiben, offen bleiben, mich selbst im Spiegel ansehen können. Wo und wie ich es kann, in der Form, wie sie es jetzt benötigen, jenen helfen, die gerade in ganz finsteren Orten mit sehr viel Mühe, Aufwand, Risiko und Mut gegen das Erstarken von Neofaschisten und Neo-Nazis die Fahne hochhalten. Das ist meine Maxime, nach der lebe ich von Tag zu Tag. Alles andere, ehrlich gesagt, interessiert mich nicht mehr.
Konzert: „Gegen das Schweigen. Gegen Antisemitismus“, 16.9., 20 Uhr, Elbphilharmonie, Gr. Saal, ausverkauft, evtl. Restkarten an der Abendkasse. Das Konzert wird in der Elbphilharmonie-Mediathek live übertragen und ist im Anschluss on demand verfübar.