Hamburg. Ein begehbares Kunstwerk im Malersaal am Hamburger Schauspielhaus erinnert an eine Geisterbahn, man sollte es mehr als einmal besuchen.
Düster ist der Weg in den Untergrund. „Der Eingang zum Hades“, witzelt Schauspielhaus-Dramaturg Martin Györffy über den neu gestalteten, tiefschwarzen Eingangsbereich des Malersaals. Und auch der Name verspricht erst einmal den Tod: Im Malersaal (und in den Zugängen, Treppen und Foyerflächen) ist für die gesamte Spielzeit die „Realnische 0“ eingezogen, ein Begriff, der in der Ökologie die Lebensbedingungen beschreibt, unter denen eine Art stirbt. Das Theater ist, man nimmt es mit Erleichterung zur Kenntnis, trotzdem nicht am Ende. Hier unten, im Maschinenraum des Betriebs, soll es jetzt stattdessen erst richtig losgehen.
Eigentlich ist der Richtung Parkhaus gelegene Malersaal die Zweitspielstätte des Deutschen Schauspielhauses (gerade zum „Theater des Jahres“ gewählt), aber in den kommenden Monaten will der Ort mehr sein, ein „Möglichkeitsraum des Unmöglichen“, Gestaltungsspielraum, Club und Diskursfläche. Vom 20. September an werden hier nacheinander fünf größere Produktionen, fünf Lectures und ein Audiowalk abgefeuert, es wird Konzerte geben und Diskussionen, Lesungen und eine „klimagerechte Entsorgung des Grundgesetzes“, Performances und Begegnungen und am Eröffnungswochenende ein Mini-Festival.
Theater Hamburg: Wie das Schauspielhaus sich eine schwarz-weiße Unterwelt schafft
Die bildende Künstlerin Julia Oschatz hat dafür nicht nur ein Bühnenbild gebaut, sondern mit Produktionsleiter Györffy und dessen Dramaturgiekollegen Christian Tschirner und Ludwig Haugk einen ganzen Theaterkomplex neu erfunden. Eine Art begehbares Kunstwerk ist das geworden, das sanft kampnagelt und stellenweise an eine Geisterbahn erinnert, an einen mysteriösen 3-D-Comic oder eine riesige Tafelfläche.
Alles ist schwarz getüncht und mit kreideweißer Farbe beschrieben, bekritzelt, bemalt, markiert. Tische, Stühle, Gemälde, verschiebbare Wände, Requisiten und Kuriositäten, die donnerstags bis sonntags verlässlich bespielt, aber auch vom Publikum bestaunt, angefasst und entdeckt werden wollen.
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Schon ohne Programm ist das abgründig anregend: Aus dem schwarz-weißen Gewusel schälen sich nämlich auf den zweiten und dritten Blick Figuren und Besonderheiten heraus, ein Faultier baumelt im Treppenhaus, es gibt sinistre Telefonzellen, eine Galerie ausgestorbener Tierarten, einen einarmigen Banditen, der merkwürdige Buchstaben-Kombinationen ausspuckt. Überall lauern Zitate und Anspielungen. Hier muss man, so viel steht fest, mehr als einmal herkommen, so viel gibt es zu gucken. Aber Achtung: „Wir glotzen zurück“, warnt ein Wandschriftzug.
Neue Bühne am Schauspielhaus Hamburg: Alle Materialien werden wiederverwendet
Finanziert ist alles aus Bordmitteln des Schauspielhauses plus Freundeskreis-Unterstützung und einem Zuschuss aus dem „Fonds Zero“ der Bundeskulturstiftung für klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte. Denn nichts wurde neu angeschafft, alle Materialien und Gegenstände gab es bereits im Theaterfundus. Jetzt dienen sie, in freundlichem Schwarz übermalt, als Projektionsraum für Projekte junger Regisseurinnen und Regisseure, für Gesprächsreihen (in „Mely Kiyak hat Gesellschaft“ lädt die Schriftstellerin beispielsweise den Regisseur Fatih Akin ein, um über Literatur zu sprechen), auch das Ensemble wird eigene Ideen verwirklichen.
Nicht weniger als „Die Aufarbeitung der Zukunft“ soll in dieser „Realnische 0“ passieren. Ein aufregender roter Faden in der schwarz-weißen Theater-Unterwelt.
Spielzeit-Eröffnung im Malersaal mit „Gesetze schreddern. Eine klimagerechte Entsorgung des deutschen Grundgesetzes“ (plus Konzert) am 20.9. und dem Science-Fiction-Stück „Zusammenstoß. Ein höchstwahrscheinlicher Irrtum“ (plus Party) am 21.9., das gesamte Programm gibt es unter www.schauspielhaus.de