Hamburg. Der Komponist und Dirigent mit Bundesjugendorchester und World Youth Choir in der Elbphilharmonie. Nach der Pause wurde es schwierig.

Ein einziges Konzert aus mehreren Perspektiven zu betrachten und einzuschätzen, diese Notwendigkeit ergibt sich nicht ständig. Doch für das Gastspiel des Bundesjugendorchesters (BJO) als nun wirklich allerletztes Konzert des bereits am Wochenende beendeten Schleswig-Holstein Musik Festivals käme man mit der einfachen Wie-war’s-denn-so-Sichtweise nicht weit genug.

Die Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie war am Montag so sehr mit jungen Musikerinnen und Musikern gefüllt worden, als wollte der Komponist Tan Dun dort eine Vorstufe von Mahlers Achter dirigieren. Insbesondere beim World Youth Choir war man im Casting alles andere als sparsam gewesen.

Tan Dun in der Elbphilharmonie: Das war leider nicht die erste Beethoven-Liga

Corona hatte die Uraufführung von „Choral Concerto: Nine“ im Beethoven-Jahr 2020 unmöglich gemacht, vier Jahre später, zum 200. Geburtstag der Neunten, passte es wieder, also wurde nachgeholt, in Verbindung mit der Neunten selbst eine logische Kombination. Für das BJO eine wunderbare Gelegenheit, um sich an diesem klassischen Achttausender des Repertoires zu versuchen und möglichst nicht zu verheben. Für das Chor-Projekt mit Teilnehmenden aus 43 Nationen die ideale Vertonung der völkerverbindenden Idee und ein weiteres Argument dafür, solche gemeinschaftsstiftenden Tourneen zu unternehmen.

Für den Filmmusik-Oscarpreisträger Tan Dun war dieses gemischte Doppel eine weitere Gelegenheit, als Gastdirigent seinen Personalstil beim Verschmelzen westlicher Traditionen und östlicher (Klang-)Philosophie auszustellen. Hier mit dem dreisätzigen „Choral Concerto: Nine“, das sich mit Verweisen auf altchinesische Philosophien interessant auf Beethovens und Schillers „Alle Menschen werden Brüder“-Aufruf bezieht.

Beethovens Neunte als Inspiration: Alle Töne werden Brüder

Tan Duns Inszenierungs-Besteck für solche Sowohl-als-auch-Werke ähnelt sich oft und ist immer stabil spektakulär – dröhnende Taiko-Trommeln zur Puls-Verstärkung der Musik; abstrakte Geräusche, die sich (in diesem Fall unter anderem als Raunen des Chors oder das Verwenden abstrakter Silben) ins musikalische Geschehen einfädeln. Natürlich macht all das sofort enormen Eindruck, zumal immer wieder gekonnt vernähte Anspielungen auf das Wiener Original durchschimmern. Natürlich auch ist Tan Dun, ununterbrochen freundlich Signale ins Ensemble gebend, ein authentischer Vermittler dieser ja von ihm selbst zu Papier gebrachten Ideen. Und sowohl das Orchester als auch der Chor ließen sich von dieser Entdeckerfreude beim Brückenbauen anstecken und mitreißen.

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Musikalisch schwierig – zumindest aus einer Perspektive – wurde es erst nach der Pause, beim sachgemäßen Umgang mit dem großen, dem originalen Vorbild. Denn Tan Dun ist kein Dirigent, der in der ersten Liga der Beethoven-Bewältiger einen vorderen Platz belegen könnte. Dafür ließ er sich selbst und in Folge auch dem Orchester einiges durchgehen. Zu viele der von Beethoven hineinkomponierten Kontraste, Entwicklungen und Steigerungen gingen in einem mehr oder weniger einheitlich forschen Grundgestus verloren. Auch Tempo-Abstufungen fanden eher selten statt. Das BJO ist in seiner Substanz allerdings gut genug, um solche Defizite aufzufangen, ohne in grundsätzliches Trudeln zu geraten. Und dass der Finalsatz von Tan Dun eher als energisch ausgeführter Sprint und nicht als revolutionäre Krönung der Idee Sinfonie verstanden wurde, erleichterte es dem Publikum, noch vor dem Verklingen des Schlussakkords mächtig vom Gehörten und Gesehenen begeistert zu sein.