Hamburg. Sophie Werkmeister gibt (fast) alles für den Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor. Aber die 45-Jährige muss für ihr Engagement ein Opfer bringen.

Sophie Werkmeister muss die geheime Gabe haben, sich zu vervielfachen. Bei Konzerten hält sie kluge Begrüßungsreden, kümmert sich in den Pausen um Sponsoren, macht Pressearbeit, sorgt dafür, dass ein Obstteller im Künstlerzimmer und ein gestimmtes Cembalo auf der Bühne stehen. Was so dazugehört, damit ein Konzert stattfinden kann und dann auch läuft. Alles ehrenamtlich, wohlgemerkt.

„Ich verzichte auf ziemlich viel Gehalt, um unser Projekt voranzubringen“, sagt sie beim Treffen an einem Freitagnachmittag im Spätsommer. Die Frau ist ein kleines Kraftwerk: Die Augen funkeln, sekundiert vom Schaukeln ihrer türkisfarbenen Ohrgehänge und dem Schwung ihres rötlichblonden Haars. Sie arbeite Tag und Nacht, erzählt sie, ganz nach Bedarf. „Zum Glück brauche ich wenig Schlaf.“ Die Familie trage ihr Amt „ziemlich uneingeschränkt“ mit: „Weil sie sehen, was es mir bedeutet.“

Chor Hamburg: Wenig Schlaf, immer eine Vision – diese Frau lebt für die Musik

Werkmeister, 45 Jahre alt, hat Theologie, Musik und Erziehungswissenschaften studiert und ist als Enkelin eines renommierten Schönberg-Forschers musikalisch mit allerhand Wassern gewaschen. Sie ist Mutter zweier Zwillingspärchen im Schulalter, unterrichtet auf einer halben Stelle Musik und Religion am Heilwig-Gymnasium und singt Alt im Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg. Vor allem aber arbeitet sie seit 2021 im Vorstand des Chors. Jobbeschreibung laut Website: Konzertplanung und künstlerisches Management. Klingt einigermaßen dürr angesichts dessen, was Werkmeister und der Dirigent Hansjörg Albrecht in ellenlangen Textnachrichten an Konzepten und Programmen aushecken.

Denn „das Projekt“, das ist längst nicht mehr der Chor allein. Der gibt diese Saison 16 selbstveranstaltete Konzerte und hat außerdem sechs Fremdengagements, eins davon unter Sir Simon Rattle in der Elbphilharmonie. Mit Klaus Mäkelä und Mirga Gražinytė-Tyla hat der Chor auch schon gesungen. Oberstes Regalfach also. Kommenden April lädt die 2023 gegründete Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Akademie dann zum Internationalen Bachfest mit Veranstaltungen vom Orgel-Recital über Kammermusik bis zum Oratorium.

„Wir bräuchten im Kulturbetrieb viel mehr Leute wie sie“, sagt der Dirigent über seine Mitstreiterin

Das saisonumspannende Rahmenprogramm steht unter dem Motto „Respect – Frauen in der Kunst“ und umfasst auch Kooperationen mit anderen Playern. Im Zentrum steht das Konzert zum 50. Internationalen Frauentag am 8. März 2025 in der Laeiszhalle unter Beteiligung von UN Women Deutschland – natürlich mit Werken von Komponistinnen. Los geht es an diesem Wochenende in der Hochschule für Musik und Theater mit der Oper „Jeanne d’Arc au Bûcher“ von Arthur Honegger.

„Sophie ist wahnsinnig visionär“, sagt Hansjörg Albrecht über seine Mitstreiterin. „Ich kann mit ihr wunderbar auf Augenhöhe arbeiten. Sie bringt ihren profunden Bildungshintergrund ein, denkt groß, hat Mut zum Risiko und lässt dann auch Taten folgen. Sie ist zwar neu in der Branche und muss noch viele Erfahrungen sammeln. Aber wir bräuchten im Kulturbetrieb viel mehr Leute wie sie.“

Nach ihrer Vision gefragt, lacht die Redegewandte. „Das ist die ganz große Frage! Die entwickelt sich dauernd.“ Sie überlegt einen Moment, tastet sich dann heran: „Wir möchten weg davon, dass ein Konzert 90 Minuten hat, und in der Mitte gibt’s ein Glas Sekt. Unser Namensgeber Carl Philipp Emanuel Bach hat neue Töne hervorgebracht, eine musikalische Sprache entwickelt, hat das ganze Kulturleben in Hamburg geprägt. Er steht für Aufbruch, Innovation, Sturm und Drang. Deshalb suchen wir uns für die Saison immer einen dramaturgischen Bogen. Wir wollen die Dinge in Beziehung zueinander setzen und Formate finden, die ein neues Publikum gewinnen.“

Carl Philipp Emanuel Bach ist in Hamburg hochgeehrt, aber seine Musik ist immer noch etwas für Eingeweihte

Carl Philipp Emanuel Bach, unter Musikern CPE abgekürzt, war der zweite Sohn des Übervaters Johann Sebastian und zu Lebzeiten ein Star. Er wirkte 20 Jahre lang in Hamburg und wurde in der Michel-Krypta begraben. Sein Rang als Komponist ist unbestritten, doch seine hochemotionale, mal scharfkantige und mal galante Musik ist nach wie vor eher etwas für Eingeweihte und auf den Konzertprogrammen sogar in der Hansestadt wenig präsent. Auch den hervorragend kuratierten und hochkarätig besetzten Ausgaben des Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Fests von 2023 und 2024 hätte man mehr Publikum gewünscht.

Werkmeister ist nicht die, die sich mit so etwas abfände. Sie und Albrecht haben das Festival weiterentwickelt. Als Internationales Bach-Fest nimmt es nächstes Jahr auch CPEs Brüder Wilhelm Friedemann und Johann Christian sowie den Vater in den Fokus. Und weil bei den beiden Machern Stillstand Rückschritt bedeutet, haben sie auch noch die Reihe „CPEB Young Artists“ ins Leben gerufen, die mit Kooperationen und Auftrittsmöglichkeiten den exzellenten Nachwuchs fördert.

Chor Haamburg: Eine kontinuierliche Förderung ist nicht in Sicht

Was muss das alles kosten! Werkmeister macht eine Beispielrechnung auf: Das diesjährige CPE-Bach-Fest hat insgesamt rund 180.000 Euro gekostet. 30.000 Euro hat – einmalig – der Musikstadtfonds der Kulturbehörde zugeschossen, den Rest haben sie über Ticketverkäufe gedeckt und über Förderungen durch Stiftungen und private Förderer. Um die man unermüdlich werben muss.

„Wenn ich die vielen kleinen Handgriffe delegieren könnte, hätte ich viel mehr Zeit für Akquisegespräche, Zeit zu reisen und Künstler anzuhören“, sagt Werkmeister. Aber eine kontinuierliche Förderung ist nicht in Sicht, eine finanzielle Ausstattung der Vorstandstätigkeit schon gar nicht. Sich Unterstützung aus dem Chor zu holen, das sieht Werkmeister skeptisch: „Es gibt viele helfende Hände. Aber das Ensemble soll sich aufs Singen konzentrieren. Mein Name steht unter all diesen Verträgen, mein Kopf hängt in all diesen Schlingen. Da muss ich sicher sein, dass es verlässlich funktioniert.“

Mehr Musik

Mit welcher Frauenfigur aus dem Saisonprogramm sie sich am meisten identifiziert? „Mit Eva aus Haydns ,Schöpfung‘“, sagt sie spontan. „Sie hat sehr selbstbewusst gehandelt. Sie war es, die den Apfel gepflückt und Adam gegeben hat. Aus Erkenntnisdurst hat sie ein Verbot übertreten.“ Und was ist mit der Kriegerin Jeanne d’Arc? „Ach nee. Männerkleider will ich nicht.“ Spricht’s, setzt sich gerade hin und zupft ihre türkisfarbene Bluse zurecht.

„Jeanne d’Arc au Bûcher“ Sa 7.9., 19.30 und So 8.9. 16.00, Hochschule für Musik und Theater, Karten zu 22,- unter T. 45 33 26; www.hfmt-hamburg.de. Infos zu der Reihe „Respect – Frauen in der Kunst“, zu CPEB-Chor und -Akademie unter cpe-bach-chor.de