Hamburg. Zum Abschluss des Carl Philipp Emanuel Bach Fests Hamburg trifft Bach derart auf Arnold Schönberg, dass die Funken fliegen.
Zweieinhalb Wochen lang hat das Carl Philipp Emanuel Bach Fest Hamburg in Musik und Text, in Konzerten, Gottesdiensten, Masterclasses und Gesprächen das Schaffen des „Hamburger Bachs“, zweitältester Sohn des großen Johann Sebastian, beleuchtet. An den Schluss haben die Verantwortlichen ein Kammerkonzert im Kleinen Saal der Elbphilharmonie gesetzt, überschrieben „Von der Freiheit“.
Elbphilharmonie: Die Erotik der Kammermusik
Carl Philipp – oder kurz CPE, wie er in Musikerkreisen genannt wird – stellen sie den mehr als eineinhalb Jahrhunderte jüngeren Arnold Schönberg gegenüber. Das Kind des 18. Jahrhunderts und den Wegbereiter der musikalischen Moderne verbindet, dass sie in keine Schublade passen. Carl Philipps Musik entzieht sich den Anforderungsschablonen des heutigen Musikbetriebs.
Die Streichersinfonie in A-Dur, eine von sechs „Hamburger Sinfonien“, macht schon deutlich, warum. Die beiden Geigenstimmen glitzern gegeneinander an mit ihren gebrochenen Dreiklangfiguren. Die Musik springt mitten hinein ins Getümmel, aber genauso plötzlich hält sie inne und konfrontiert die Zuhörenden mit jener Art Stille, die den unwiderruflichen Stillstand allen Lebens in sich trägt. Ein kleiner Schock. Dann wieder seufzen die Streicher in zärtlicher Melancholie. Aber nichts ist von Dauer, gleich fallen Bratsche, Cello und Bass in rasanten Läufen über das Idyll her. Das spielen die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters und der künstlerische Leiter Hansjörg Albrecht am Cembalo so virtuos, geistreich und jederzeit hingegeben an die Emotionalität des Augenblicks, dass man nur staunen kann.
Kammermusik in der Elbphilharmonie – erotischer kann Musik kaum sein
Szenenwechsel, Instrumentenwechsel. Albrecht setzt sich an den Flügel und interpretiert mit der Sopranistin Elise van Es den Liederzyklus „Das Buch der hängenden Gärten“ von Schönberg aus den Jahren 1907 bis 1909. Von der Tonalität hat sich der Komponist da schon verabschiedet, und die Gedichte Stefan Georges sind für heutige Ohren mindestens genauso hermetisch. Reinster Expressionismus, den van Es und Albrecht meisterhaft zu einem großen Spannungsbogen wölben. Zur Versöhnung, wie Albrecht launig anmerkt, geben sie ein Schumann-Lied dazu.
- Laeiszhalle: Da muss man sich beim Hören am Sitz festhalten
- Blutarmes Ensemble, dafür ein experimentierfreudiger Igor Levit
- London Symphony Orchestra: Jeder Takt war mit Emotionen geladen
Nach der Pause wird CPEs „Hamburger“ h-Moll-Sinfonie abgefackelt. Und für Schönbergs spätestromantisch aufgeladene „Verklärte Nacht“ nach einem Gedicht von Richard Dehmel stocken die philharmonischen Streicherinnen und Streicher zur Septettbesetzung auf. Erotischer kann Musik kaum sein als dieses fortwährende Zittern und Beben, dieses ständige Wechseln der Bezüge. Es ist zu spüren, wie gut die sieben sich verstehen und aufeinander eingehen, einander vertrauen auf dem Weg durch die haarsträubend komplexe Partitur.
Das ist das große Glück der Kammermusik. Über die Epochen hinweg.