Hamburg. Das Kansas City Symphony brilliert in der Elbphilharmonie mit einem starken Programm, darunter ein bislang so noch nicht gehörter Klassiker.

Kansas? Ist das nicht ein einziges großes Weizenfeld? Nun, ein Sinfonieorchester haben sie dort im Mittleren Westen der USA immerhin. Und was für eins. Auf ihrer Mini-Europatournee ist die Kansas City Symphony in der Elbphilharmonie abgestiegen. Es ist eine Art Hochzeitsreise. Seit dieser Saison ist Matthias Pintscher Chefdirigent, seines Zeichens Komponist und auch am Pult avantgardegestählt; lange Jahre war er Musikdirektor des Pariser Ensemble Intercontemporain.

Elbphilharmonie: Kansas City Symphony brilliert mit klingendem patriotischen Bekenntnis

Auf dem Programm steht, so naheliegend wie elbphilharmoniesommertauglich, ausschließlich Amerikanisches aus dem 20. Jahrhundert. Aber wie klingt das eigentlich, Amerika? Vermessene Frage. Nicht nur wegen der topografischen Größe und überhaupt der Unschärfe des Begriffs. Sondern weil die Musik der USA aus vielen verschiedenen und gänzlich eigenständigen Quellen sprudelt.

Charles Ives etwa war als Komponist ein Solitär. Im Hauptberuf arbeitete er als Versicherungsmakler. Auf Marktgängigkeit musste er keinerlei Rücksicht nehmen, sondern konnte seinen künstlerischen Eigenwillen voll ausleben. Er schuf seine Musik aus sich heraus, unabhängig von dem, was in good old Europe geschah. Bei „Three Places in New England“, das den Abend eröffnet, ist von spinnwebzarter Melancholie über Anklänge an Folk Songs und fröhliches Volksfest-Umtata bis hin zu martialischem Blech- und Schlagwerkgeknatter alles dabei. Zuweilen legt Ives auch verschiedene musikalische Geschehen übereinander. Das wirkt, als würde man durch mehrere Aquarellbilder hindurchsehen. Polyrhythmik nennt man diese Gleichzeitigkeit. Ziemlich vertrackt.

An dieser „Rhapsody in Blue“ hätte Gershwin seinen Spaß gehabt

Der frischgebackene Chefdirigent Matthias Pintscher und die Kansas City Symphony in der Elbphilharmonie, der Hamburger Station ihrer Hochzeitsreise.
Der frischgebackene Chefdirigent Matthias Pintscher und die Kansas City Symphony in der Elbphilharmonie, der Hamburger Station ihrer Hochzeitsreise. © Daniel Dittus | Daniel Dittus

Für Pintscher sind derlei Herausforderungen vertrautes Terrain. Er steuert das Orchester mit seiner energiegeladenen, klaren Zeichensprache durch alle Stromschnellen der Partitur. Erstaunlich dunkel ist der Streicherklang, untadelig das Zusammenspiel über die Distanzen hinweg. Dass man das Gebrodel im Unterholz nicht allezeit klar versteht, liegt womöglich an Ives‘ Kompositionsverfahren.

Ein Großteil der Menschen dürfte wegen George Gershwins „Rhapsody in Blue“ gekommen sein. Gerade 100 Jahre alt, war das Stück bei seiner Uraufführung eine Unerhörtheit. Ein Jazz-Klavierkonzert, so etwas hatte es vorher nicht gegeben. Und was machen Dirigent, Solist, Orchester im Jahre 2024? Spielen es, als wäre es brandneu. Der Klarinettist biegt das berühmte Glissando zu Beginn mit hörbarem Vergnügen zu einem Flitzebogen.

Trompete und Posaune kosten die Stellen mit dem Wah-Wah-Dämpfer so lustvoll aus, dass ein Kichern durchs Publikum geht. Der Solist Conrad Tao wiederum ist ein „Rhapsody“-Muttersprachler. Er hat das Gespür für Timing im kleinen Finger, lässt die brillanten Passagen glitzern, hämmert aber auch mal senkrecht in die Tastatur. Und in der Kadenz setzt er die Unterarme ein. Gershwin hätte seinen Spaß gehabt.

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Ernst wird es nach der Pause. Die Sinfonie Nr. 3 von Aaron Copland ist ein Flaggschiff amerikanischer Sinfonik. Da wechselt Scharfkantiges mit heiteren Naturschilderungen. Reduziert in der Harmonik und oft sperrig in der Stimmführung, errichtet der Komponist ganz ohne Jazz oder Volkstümliches selbstbewusst seine Klanggemälde. Pintscher und Kansas City Symphony polieren die Sinfonie auf Hochglanz, bis zur gleißenden Schlusshymne in Blech und Schlagwerk. So klingt ein ungetrübtes patriotisches Bekenntnis, die Politik lassen wir mal kurz draußen.

Gemeinsam haben sie einiges vor dort drüben. Uraufführungen, neue Konzertformate. Man würde gerne Mäuschen spielen. Und erleben, wie sich der Klang Amerikas weiterentwickelt.