Hamburg. Das Konzert der Gustav Mahler Jugendorchesters beeindruckt das Publikum sichtlich. Gleich zu Beginn konnte man den Ohren kaum trauen.
Es war schon ziemlich mutig, in Hamburgs Elbphilharmonie mit einem aus 114 Mitgliedern bestehenden Orchester die beiden Ouvertüren „Coriolan“ op. 62 und „Leonore Nr. 3“ op. 72a von Ludwig van Beethoven zu spielen.
Das einst von Claudio Abbado Mitte der 1980er-Jahre gegründete Gustav Mahler Jugendorchester aber verfügt nun mal über eine so üppige personelle Ausstattung, und der Dirigent Ingo Metzmacher wollte die für die monumentale Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65 von Dmitri Schostakowitsch vielleicht noch vertretbare Größe des Orchesters bei den klassischen Werken am Mittwoch nicht extra reduzieren.
Gustav Mahler Jugendorchester in Hamburg: Laute Schläge, Angst und ein Hoffnungsschimmer
So waren die Tuttischläge im Fortissimo zu Beginn der „Coriolan“-Ouvertüre derartig laut, dass man hätte glauben können, sie seien wie bei einem Rockkonzert von einer Lautsprecheranlage noch einmal verstärkt. Wie schnell sich das Klangbild aber auch ins Hauchzarte verwandeln konnte, zeigte sich unmittelbar bei dem lyrischen Thema des kurzen Werks, das an einer Stelle, von den Hörnern eingeleitet, in den Streichern fast zu schweben schien.
Auf welch hohem Niveau diese in vielen europäischen Ländern bei strengsten Probespielen ausgewählten Musikerinnen und Musiker des Gustav Mahler Jugendorchesters spielen, ist wirklich beeindruckend. Das trat noch deutlicher bei Arnold Schönbergs Fünf Orchesterstücken op. 16 aus dem Jahr 1909 hervor, die Metzmacher auch anlässlich des bevorstehenden 150. Geburtstags dieses Komponisten am 13. September aufs Programm gesetzt hatte.
Dirigent Ingo Metzmacher schickt Musiker auf höhere Ebene in der Elbphilharmonie
Noch vor der Opening Night des NDR Elbphilharmonie Orchesters mit Schönbergs „Gurre-Liedern“ am Jubiläumstag selbst hatte das Gustav Mahler Jugendorchester den Schönberg-Schwerpunkt in der Elbphilharmonie-Saison damit bereits eröffnet. Schon im ersten Satz „Vorgefühle“ dieser in freier Atonalität, aber noch nicht nach den strengen Regeln der von Schönberg erfundenen Zwölftontechnik komponierten Orchesterstücke sorgten etwa eine gestopfte Basstuba und drei Fagotte sowie Kontrafagott für ganz besondere Klangfarben.
In vielen sanften Wendungen, ja fast schmachtend, trat im zweiten Satz ein Bratschensolo, gefolgt von aparten Celestaklängen, hervor und helle Tupfer zweier Piccoloflöten garnierten die ruhigen Klangflächen im „Sommermorgen am See“.
Wie oft in seinen Konzerten ließ Metzmacher mit einer Beethoven-Ouvertüre vor und nach Schönberg auch an diesem Abend Werke, die eigentlich wenig miteinander gemein haben, ohne eine Pause so dicht aufeinanderfolgen, dass sie wie ein zusammenhängendes Ganzes wirkten. Bei der „Leonoren-Ouvertüre Nr. 3“ von Beethoven dann schickte er einen jungen Musiker als Ferntrompeter gleich noch auf eine der höheren Ebenen in der Elbphilharmonie.
Gustav Mahler Jugendorchester: Bei einem Stück prallen Übermut und Sarkasmus zusammen
Nach einem wahrlich exzellenten und von allen Orchesterflötisten stets gefürchteten Flötensolo trieb Metzmacher die gewaltigen Steigerungen des schnellen Teils mit zitternden Handbewegungen immer weiter an, bis von oben dann die militärischen Trompetensignale erklangen und irgendwie schon einmal auf die achte, im Kriegsjahr 1943 entstandene Sinfonie von Schostakowitsch vorbereiteten.
Er habe in diesem Werk, so äußerte Schostakowitsch, „in künstlerisch-bildhafter Form ein Bild vom seelischen Leben eines Menschen schaffen wollen, den der gigantische Hammer des Krieges betäubt hat“. Metzmacher und sein famoses Jugendorchester brachten den verzweifelten, zunächst noch resignierten Duktus des ersten Satzes perfekt zum Ausdruck.
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Die stampfenden Rhythmen, massiven Blechbläserpassagen, ohrenbetäubenden Trillerketten der Holzbläser und Beckenschläge, die Schostakowitsch zur Darstellung der Kriegsgräuel nutzt, machten einem wahrlich Angst. Und wenn der Komponist die aggressive Stimmung dann auch noch ins Groteske kippen lässt, prallten Übermut und Sarkasmus irritierend aufeinander. Aber es gab vor allem im letzten Satz auch Hoffnungsschimmer, deren Glanz und Helligkeit das Gustav Mahler Jugendorchester einzigartig herauszuarbeiten verstand.