Hamburg. Haydn statt Höcke? Intendantin Ursula Haselböck über die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern in einem Bundesland, in dem die AfD große Wahlerfolge erzielte.

So ist das jetzt also in Mecklenburg-Vorpommern: 25,6 Prozent AfD bei den Kommunalwahlen im Juni, der Stimmenanteil wurde fast verdoppelt. In mehreren Kommunen verfielen gewonnene Sitze, weil die AfD gar nicht genügend Kandidatinnen und Kandidaten vorrätig hatte. Ursula Haselböck ist als Intendantin der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern nahezu ganzjährig vor Ort aktiv und damit mittendrin in dieser Tatsache – mit klarem Kulturauftrag und einem energischen Sendungsbewusstsein, dem der AfD-Blick von rechtsaußen auf die Welt natürlich komplett widerspricht: „Ich sehe wirklich jedes Festspielkonzert als eines gegen rechts.“

Die gebürtige Wienerin ist seit 2020 als Flächenfestival-Chefin im Amt und hat kürzlich bis 2030 verlängert, sie ist entsprechend kämpferisch gestimmt: „Als Österreicherin habe ich 20 Jahre Vorsprung beim Thema Rechtspopulismus …“, legt sie beim Gespräch über diese Problemlage schon mal frontal los. „Kultur ist jetzt umso wichtiger, es ist umso mehr Pflicht gegenzuhalten, für jeden Einzelnen, aber ganz besonders als Kulturmacherin und gerade in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern, wo der größere Teil diejenigen sind, die daran glauben, dass man dieses Land gemeinschaftlich besser machen kann.“

AfD und Kultur: „Ich sehe jedes Konzert als eines gegen rechts“

Die Kultur und die Sportvereine, das sei der gesellschaftliche Kitt, der die Menschen dort zusammenbringe und gesellschaftliches Leben fördere. „Ich hoffe schon, dass erkannt wird, dass man da genau jetzt investieren muss, um den Schwenk zu schaffen.“
Konkret und kurzfristig in ihrem Programmangebot darauf zu reagieren, das geht nicht so einfach, denn die Festspielonzerte stehen in der Regel mit zwei Jahren Vorlauf fest. Haselböcks Rezept sieht eh anders und nachhaltiger aus: „Es geht darum, wofür die Festspiele MV seit fast 35 Jahren stehen: in alle Ecken des Landes zu gehen, auch in den ländlichen Raum, wo kulturell wenig passiert, wo kein Staatstheater ist und kein Orchester Abo-Konzerte spielt und man Kultur vor der Nase hat. Die Menschen vereinsamen.“

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Es gehe darum, genau dorthin zu gehen, wo sich die Leute – zum Teil auch zu Recht – abgehängt fühlten, findet sie. „Es gibt Orte, wo die jungen Generationen komplett weggegangen sind. Wo der Supermarkt zugemacht hat. Wo es keine Post mehr gibt. Wo vielleicht noch die Sparkasse da ist. Da finde ich es extrem wichtig, zu den Menschen zu gehen, ihnen quasi die Hand zu reichen und für sie und mit ihnen an ihren Orten Kultur zu machen. Wir sind die Kulturnahversorger, es ist dort sonst nichts, und zwar wirklich nichts.“

„Wir sind die Kulturnahversorger“: Ursula Haselböck bei der Eröffung eines Konzerts in der Backstube der Bäckerei Peters in Sassnitz-Mukran.
„Wir sind die Kulturnahversorger“: Ursula Haselböck bei der Eröffung eines Konzerts in der Backstube der Bäckerei Peters in Sassnitz-Mukran. © Oliver Borchert | Oliver Borchert

Haydn statt Höcke, das wäre aber schon sehr arges Wunschdenken? „Ja. Ich glaube auch nicht, dass man, wenn man einmal Mozart hört, dann plötzlich nicht mehr rechts wählt. So naiv bin ich nicht“, kontert Haselböck. Und bringt als ein Beispiel aus den letzten Jahren das kleine Dorf Grünz, äußerster Südwesten Vorpommerns. Grünz also hatte 2020 für sein Engagement den Spielstätten-Preis der Festspiele gewonnen, und der Bratscher Nils Mönkemeyer und der Pianist William Youn waren 2021 einen Tag lang dort gewesen.

Intendantin Haselböck: „Man muss den Leuten das Gefühl geben, wir nehmen euch ernst“

„Sie sind mit dem Bürgermeister Trecker gefahren, haben sich die Putenfarm zeigen lassen und am Abend in der Kirche ein Konzert gespielt, rein zeitgenössische Musik.“ Die beiden haben auch moderiert, aber „nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern einfach den Menschen das Gefühl gegeben: Hört zu, lasst eure Emotionen zu und lasst euch darauf ein.“ Am Ende gab es tosenden Applaus, „und alle sind mit leuchtenden Augen aus diesem Konzert gegangen“. Haselböcks Erkenntnis aus dieser Geschichte: „Man muss wirklich den Leuten das Gefühl geben, wir nehmen euch ernst. Wir kommen und wir machen mit euch und für euch Musik.“

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Konzertierte konzertante Aktionen, eigens nachgelegt, gibt es, so gesehen, also nicht. Aber „wir präsentieren als einziges der großen Festivals immer die lokalen Klangkörper, vom Landesjugendorchester bis Kooperationen mit den Theatern Tanzkompanien und Orchestern des Landes. Natürlich sprechen wir uns auch mit den Kulturämtern vor Ort ab. Es nützt ja nichts, wenn wir einmal im Jahr wie Aliens auftauchen und sagen: So, wir zeigen euch jetzt, wie Kultur funktioniert.“

Ein Umschwenken im Konzept zu politisierten Konzert-Themen? Muss nicht sein, findet Haselböck

Demonstratives Umschwenken im Konzept, hin zu politisierten Konzert-Themen, das müsse nicht sein, findet Haselböck. „Wir schauen, dass wir das ganze Land bespielen. Bei der Planung sitzen wir wirklich mit der Landkarte da und schauen, ob wir weiße Flecken abgedeckt haben, ob wir wirklich das ganze Land mitgenommen haben, um Kontinuität zu wahren. Es geht generell darum, Flagge zu zeigen. Und das ist, glaube ich, der größere Erfolg, als speziell ein Programm zum Beispiel mit verfemten Komponisten anzusetzen.“

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Einen konkreten Clinch mit jemandem aus der AfD-Politik über Geld jetzt oder zukünftig habe sie bisher nicht erlebt, berichtet Haselböck. Einerseits, weil von Schwerin aus rot-rot regiert wird, andererseits sind ihre Festspiele privat organisiert. Der Anteil der öffentlichen Förderung durch Land, Bund und Kommunen ist „sehr, sehr gering, normalerweise um die zehn Prozent“, und passiert als jeweilige Projektförderung. „Das Publikum ist der wichtigste Sponsor. 50 Prozent des Etats kommen aus den Kartenverkäufen, der Rest von über 120 Partnern und privaten Förderern. Und generell ist MV einfach kein sehr reiches Bundesland. Es ist nicht so, dass die privaten Millionen herumliegen und nur noch verteilt werden müssen. Das ist in anderen Bundesländern, in denen die Headquarters großer Firmen ansässig sind, anders. Das ist ein grundsätzliches Problem, an dem man gemeinschaftlich arbeiten muss, und ich hoffe, dass die Rolle der Festspiele und die der Kultur erkannt werden.“

„Auf keinen Fall darf jetzt mit dem Finger auf Ostdeutschland gezeigt werden“

Die sehr entschieden ganz linke Politpunk-Band Feine Sahne Fischfilet, born and raised in MV, demnächst bei den Festspielen, mit „Monchi meets Mozart“? „Bis jetzt sind wir eher auf der klassischen Seite. Für Anfang August haben wir ein ,Konzert für den Frieden‘ eingeschoben, mit dem Galilei Chamber Orchestra, in dem arabische und israelische Jugendliche zusammen spielen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt? Wir haben eine Reihe ,Nicht ganz klassisch‘ und unser Detect Classic Festival, wo wir auch ganz wilde musikalische Konstellationen ausprobieren.“

Auf die Frage, ob Künstlerinnen oder Künstler es sich mittlerweile überlegen oder wegen des AfD-Zuspruchs gleich ganz ihre Auftritte in Mecklenburg-Vorpommern absagen, hat Haselböck eine klare Antwort parat: „Die wissen ganz genau, wie wichtig es ist, mit Kultur in die Orte zu gehen. Sie abstrahieren alle sehr gut, dass es kein ostdeutsches Problem ist, dass jetzt rechtspopulistisch gewählt wurde. Es ist ein gesellschaftliches, ein bundespolitisches Problem. Seit der Wiedervereinigung ist sehr viel auch schiefgegangen. Auf keinen Fall darf jetzt mit dem Finger auf Ostdeutschland gezeigt werden, nach dem Motto: Für euch spiele ich nicht mehr.“

Weitere Informationen: www.festspiele-mv.de