Hamburg. Nach sieben Wochen endet die gemeinsame Zeit des Schleswig-Holstein Festival Orchestra mit einem berührenden Auftritt in Hamburg.
- Das Abschlusskonzert des Schleswig-Holstein Festival Orchestra in der Elbphilharmonie markierte das Ende des Festivalsommers 2024 und war emotional aufgeladen.
- Unter der Leitung von Christoph Eschenbach, dem 84-jährigen Principal Conductor des SHMF, präsentierte das Orchester eine facettenreiche musikalische Darbietung.
- Das Konzert bot mehrere musikalische Höhepunkte, darunter Strawinskys „Pulcinella-Suite“ und Dvořáks Cellokonzert,.
Am Ende fließen die Tränen. Sieben Wochen haben die jungen Menschen aus aller Welt beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) zusammen verbracht, haben geübt und geprobt und an ungewöhnlichen Orten Konzerte gegeben. Und sind sich dabei offenkundig nahegekommen. Mit dem Konzert in der Elbphilharmonie geht, perfekte Dramaturgie, der Sommer 2024 für das Schleswig-Holstein Festival Orchestra zu Ende. Am Pult steht Christoph Eschenbach, Principal Conductor des SHMF und dessen Jugendarbeit seit Jahrzehnten verbunden.
84 Jahre ist der Dirigent jetzt alt. Zart ist er geworden, und seine Zeichengebung ist altersentsprechend knapp, auf das Wesentliche reduziert. Die Kommunikation mit „Eschi“, wie ihn Musikerinnen und Musiker über die Generationen hinweg respekt- und liebevoll nennen, läuft auf vielen Kanälen. Nicht alle sind fassbar. Die Musik geht von diesem Mann einfach aus.
SHMF: Beim Abschlusskonzert in der Elbphilharmonie fließen auf der Bühne die Tränen
Strawinskys „Pulcinella-Suite“ ist kein Blockbuster wie sein rhythmusgewaltiges „Sacre du printemps“. Der Komponist bewegt sich meist im Stil seiner Vorlagen, typischer Stückchen aus dem Italien des 18. Jahrhunderts. Und mischt nur hin und wieder eine fremde Harmonie oder einen grellen Klangeffekt hinein, ganz kurz, wie ein Flackern auf der Netzhaut, das einen an der eigenen Wahrnehmung zweifeln lässt. War da was?
Das Stück stammt aus Strawinskys neoklassizistischer Phase, und die muss man mögen in ihrer eigentümlichen Distanz zu allem, was mit Empfindung zu tun haben könnte. Dass diese Distanz zur Anmut der Musik quersteht, ist so gewollt. Es kommt an diesem Abend allerdings nicht richtig herüber. Dazu klingt dieser Strawinsky zu warm und rund und kaum nach dem charakteristischen Uneigentlichen. Aber glasklar klingt er. Die Solopartien in Bläsern und Streichern sind exzellent besetzt. Die Läufe der Sologeige zischen und bitzeln wie eine Lunte, der langsam wiegende Tanz der Oboe schmachtet nur so. Schade, dass das Programmheft die Namen der Orchestermitglieder lediglich auflistet, ohne sie zuzuordnen.
Dvořáks Cellokonzert mit der Solistin Alisa Weilerstein wird zum klingenden Liebeserlebnis
In der ungebremsten Emotionalität eines Dvořák ist ein Jugendorchester zweifellos mehr zu Hause. Das Cellokonzert mit der Amerikanerin Alisa Weilerstein wird ein klingendes Liebeserlebnis. Das Orchester folgt Solistin und Dirigenten durch alle Tempoveränderungen und Stimmungswechsel. Weilersteins Ton ist hell und auch in den unteren Lagen noch deutlich. Ein uneitler Ton ist das, der Ton einer Teamplayerin, wenn man das von einer Solistin sagen kann. Etwas Erotischeres als den Zwiegesang von Cello und Flöte im ersten Satz kann man sich, also jetzt mal rein musikalisch, kaum denken. Auf jede Volte und Biegung reagieren die beiden, und Eschenbach moderiert das Ganze unnachahmlich diskret.
Auch sonst brennt im Zusammenspiel mit dem Orchester nichts an. Das Solocello wird schneller? Dann beschleunigt der Holzbläsersatz seine Staccato-Einwürfe eben parallel. Die Konzertmeisterin hält die riskanten Tuttischläge beherzt zusammen. Es kostet sie Arbeit, denn an den hinteren Geigenpulten geht es mehrheitlich defensiv zu. Das war auch schon bei dem Konzert in der Holstenhalle in Neumünster so – kleine Schwachstelle eines Klangkörpers, der sich ansonsten mit Fug und Recht als Elitecombo präsentieren darf. Das Festival geht übers Jahr weltweit auf Talentfang, und das hört man.
SHMF in der Elbphilharmonie: Prominente Unterstützung bei Schuberts „Unvollendeter“
Nach der Pause, zu Schuberts „Unvollendeter“, ist die Cellogruppe um ein prominentes Mitglied reicher. Weilerstein spielt ganz hinten mit – und fügt sich, was für eine Solistin keine Selbstverständlichkeit ist, wunderbar ein. Diese Sinfonie wirkt so schlicht, wenn man in die Partitur schaut, doch ihre Transzendenz liegt zwischen den Notenlinien. Wer wäre berufener, sie zum Leuchten zu bringen, als Eschenbach? Sein magisches Gespür für den Fluss der Musik wäre mit dem Wort „Tempo“ viel zu diesseitig beschrieben. Wenn im Laufe des ersten Satzes die Bässe das Anfangsmotiv wiederholen und noch tiefer nach unten steigen, dann halten sie kurz inne, bevor sie ihr Tremolo beginnen und die Geigen in der Höhe ganz fahl einsetzen. In diesem Moment ist es, als schauten wir in Schuberts Seele, in seine Todesangst.
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Das Publikum ist den Abend hindurch so gebannt dabei gewesen, wie man es in diesem Haus nicht oft erlebt. Nachdem der langsame Satz im traurigsten Dur der Welt verloschen ist, bleibt es unendlich lange still. Die Menschen beginnen langsam zu applaudieren, sie müssen erst in die Gegenwart zurückfinden. Die Rührung ist allseits. Wie gern hätten wir noch eine Zugabe gehört. Aber der Maestro beschränkt sich auf freundliche Verbeugungen. Während das Publikum den Saal verlässt, verteilt jemand rote Rosen an die Orchestermitglieder. Sie sind unter sich da auf der Bühne, beinahe fühlt es sich indiskret an, aus dem Augenwinkel mitzubekommen, wie sie einander umarmen und trösten. Es ist ja unabweisbar so: Musik ist im Moment ihres Erklingens schon wieder verschwunden. Musik ist Endlichkeit in ihrer schönsten, schmerzhaftesten Form.