Hamburg. Ein Hausbesuch in der so gar nicht verwaisten Elbphilharmonie, wo in den konzertfreien Wochen unter anderem mit Hochdruck eingeseift wird.
Wie auf Bestellung schrauben sich die ersten Handwerker kurz nach Betreten der Elbphilharmonie mitsamt Werkzeug ins Bild: Zehnte Etage, Empfangstresen der Intendanz, und davor steht jemand auf einer Leiter und setzt behutsam die Lochblech-Deckenverkleidung zurück an ihren Platz. Passt, wackelt nicht, freut sich der Kollege, weiter geht’s.
Nur weil in diesem Konzerthaus gerade keine Proben und Konzerte stattfinden, während Touristen auf der Plaza das Hafen-Panorama bestaunen, heißt das noch lange nicht, dass unter dem Wellendach wochenlang nichts passiert, weil die gesamte Hamburg-Musik-Belegschaft sich ins sonnige Nichtstun abgemeldet hat. Im Gegenteil. Hier wurden gerade die Brandmelder gecheckt, unter den Böden und den Decken ist jede Menge mal mehr, mal weniger empfindliche Haustechnik verborgen. So ziemlich überall. Und deswegen: Irgendwas ist ja immer. In diesem Gebäude ganz besonders.
Elbphilharmonie: Niemand da in der Sommerpause? Von wegen
Jeden Sommer wieder, einige Wochen lang, wird dieser Zeitraum als einzige Gelegenheit genutzt, um alles Mögliche in dem ja erst 2017 eröffneten Neubau ungestört zu erneuern, zu aktualisieren, zu reparieren oder auch mal – die Reinigungsmethode für die Holzböden im Foyer heißt tatsächlich so – zu verseifen. Das kann sich allein für den Konzertbereich auf Kosten um 150.000 Euro summieren. Für das gesamte Multitasking-Gebäude wäre man bei dieser Runde mit einer Viertelmillion Euro dabei, schätzt Dennis Just, seit elf Jahren Technischer Direktor des Hauses.
Sein Team hat ein strammes Programm; in diesem Jahr wegen einer Sachverständigenprüfung, die nur alle vier Jahre stattfindet, stehen dafür sechs statt fünf Wochen zur Verfügung. 2024 heißt das, grob vereinfacht wiedergegeben: eine große Rundum-Prüfrunde, ob technisch alles noch nutzbar ist. Einmal die komplette Glasfaserinfrastruktur warten, eines der Nervensysteme des Hauses. Das Mediennetzwerk, ein weiterer Kreislauf, bekommt ein Upgrade, dabei werden mehr Knotenpunkte gelegt, und es wird die Möglichkeit eröffnet, mehr Datenvolumen als bisher von da nach dort zu schicken. Und das ist nur ein Teil des Laufzettels für die Konzertsäle und ihre Umgebung.
Elbphilharmonie: Klingt alles hochkomplex und ist es garantiert auch
Dazu kommen Materialprüfungen: 500-kg-Testgewichte an die Kettenzüge hängen, um zu prüfen, ob sie nach wie vor die Traversen für Lautsprecher oder Beleuchtung halten? Aber sicher doch. Sehr vieles von dem, was hier zum Einsatz kommt, ist nicht von der Stange oder aus irgendeinem Baumarkt-Regal, dafür sind die Anforderungen zu speziell. Für Petitessen zwischendurch – Ersatz für eine Mikrofonhalterung, diese Preisklasse in etwa – hat man einen 3D-Drucker, um sich Austauschteile selber zu fertigen.
Klingt alles hochkomplex und ist es garantiert auch. Die Spezialvokabel-Quote ist entsprechend groß, wenn man mit einer Mitarbeiterin wie Mara Schliemann spricht, die einem als Systemingenieurin in der Veranstaltungstechnik mühelos, geduldig und notfalls auch mehrmals erklären kann, welches hoch komplizierte Bauteil was warum tut oder lässt oder soll. Andererseits werden diese Wochen ohne Spielbetrieb auch für kleine Liebenswürdigkeiten für die künstlerischen Endverbraucher genutzt. Beispielsweise, um am Spieltisch der Orgel, den man auf der Bühne platzieren kann, eine Stromquelle zu installieren, damit Organisten dort für lange Proben und Konzerte ihr iPad anschließen können, auf dem sie – Papier ist mehr und mehr von gestern – all ihre Noten haben. Nicht lebensnotwendig. Aber praktisch.
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Auch abseits der Technik-Zuständigkeiten gibt es keine komplette Sommerpause. In der Programmheft-Redaktion entstehen schon Texte für die Programme der nächsten Monate, in der Marketing-Abteilung werden Ideen und Optiken für die anstehenden Konzert-Schwerpunkte und Werbemaßnahmen ausgebrütet. Keine Abteilung kann es sich leisten, wochenlang komplett leer gefegt zu sein, dafür ist die Schlagzahl während der Saison zu hoch.
Jeweils im Frühjahr wird mit der Planung der Sommerwochen-Maßnahmen begonnen, was wann wie in welcher Reihenfolge zu tun ist, damit sich die vielen Experten-Gewerke später nicht gegenseitig im Weg stehen. Als vor einigen Wochen eine Geschirrspülmaschine hinter einer Foyer-Bar etwas Rauch von sich gab, eskalierte diese Petitesse schon sofort in Agentur-Meldungen hinein, der vermeintliche Aufreger lief landauf, landab wie geschmiert. Man kann sich also lebhaft vorstellen, wie groß der Druck in jeder Saisonpause sein dürfte, auch ja nichts zu vergessen, was einem in der Spielzeit Ärger machen und elbphilharmonische Krisen-Schlagzeilen einhandeln könnte.
Hinter der Bühne im Großen Saal riecht es nach Farbe
Die Kantine backstage ist geschlossen. In den Gängen, die davor auf die Bühne des Großen Saals führen, riecht es noch nach frischer Farbe. Mittendrin in der Herzkammer des Konzerthauses schwebt ein großes schwarzes Etwas, nur an Stahlseilen aufgehängt, knapp über dem Bühnenboden, Spitzname „Cluster“. Dem Lautsprecherbündel, das bei Konzerten für das Verteilen von Klang oder Ansagen im Saal zuständig ist, geht es vorsorglich an die Eingeweide. Gut 3,5 Meter hoch und mehr als zwei Tonnen schwer ist das gute Stück (für ganz große Notfälle hat man noch ein weiteres in Reserve, irgendwo eingelagert), pro Meter mit 32 Hochtönern, zwölf Mittel- und sechs Tieftönern bestückt. Alles in allem sind 20 Lautsprecher-Module verbaut, davon zwei, gut versteckt, in den Bühnen-Seitenwänden. Macht insgesamt nur dort bereits 1000 Ton- und womöglich auch Fehlerquellen. Also werden, same procedure as every summer, Komponenten geprüft und ausgetauscht.
Direkt neben dem Cluster ist ein Teilabschnitt des Bühnenbodens hochgefahren und zur Werkzeug-Ablage umfunktioniert worden. Die Stimmung ist entspannt, man ist gut in der Zeit und dreht diese Reparatur-Runde ja auch nicht mehr zum ersten Mal. Weiter oben in den Rängen steht eine Saaltür offen, jemand staubsaugt offenbar, gründlich. Könnte aber genauso das Einseifen des Bodens sein. Auch die mehr als 2000 Stühle stehen auf dem Reinigungsplan.
Würde alles im gleichen Tempo veralten oder verschleißen, könnte man glauben, dass sich die Elbphilharmonie unter ihren Oberflächen alle paar Jahre praktisch komplett runderneuern würde. Dem ist aber nicht so. Manche Dinge halten problemlos länger, andere sind praktisch schon bei der Beschaffung leicht veraltet, sobald man sie aus ihrer Verpackung holt – bei Themen wie der Video- oder der Streaming-Technik ist man immer nur sehr kurz auf dem allerneuesten Stand des Möglichen. Aber damit es nicht langweilig wird bei der Vorausplanung des Alltags, weiß Dennis Just auch bereits jetzt, was ihn und seine Teams in der Spielzeitpause 2025 erwartet: Eventuell wird der Bühnenboden im Großen Saal geschliffen, es wäre mal wieder Zeit. Und für alle LED-Leuchtmittel der Kugellampen steht ein Austausch an. Irgendwas ist immer.