Hamburg. Als Künstlerische Betriebsdirektorin ist die Österreicherin dafür verantwortlich, wer im Konzerthaus auftritt – und wer nicht.
Karlheinz Stockhausen ist einer der ersten Gründe, dass die Österreicherin Barbara Lebitsch nun, seit neun Jahren schon, in Hamburg sitzt, wo sie sitzt. Nebenbei bemerkt: Ihr Büroausblick (Elbphilharmonie, zehnte Etage, unverbaubares, voll verglastes Panorama in einem Eckbüro nach Westen) müsste ihr eigentlich vom Gehalt abgezogen werden. Aber zurück zu Stockhausen. Als Schülerin in der Steiermark hatte Lebitsch 1989 die Musiktheater-Experimente dieses sehr speziellen Avantgarde-Komponisten live in Mürzzuschlag erlebt, und dieses Musik-Erlebnis prägte. „Beim ,Gesang der Jünglinge‘ war es um mich geschehen.“ Genau so etwas sollte es sein für ihr Leben. Sie studierte unter anderem Theaterwissenschaft und Musikwissenschaft, arbeitete zunächst in Wien und vor ihrem Wechsel nach Hamburg hinter den Kulissen der Berliner Philharmoniker.
Gerade ist wieder mal Hochsaison, demnächst wird das Programm für die nächste Spielzeit veröffentlicht. Lebitsch muss ihrer Ortszeit planerisch aber weit voraus sein, als Künstlerische Betriebsdirektorin ist sie musikalisch-gedanklich wohl schon im Jahr 2026 unterwegs, wenn nicht noch weiter. 80 bis 90 Prozent dessen, was in den Spielplänen landet, sei schon auch ihr persönlicher Geschmack, sagt sie. Feste Saison-Quoten beim hauseigenen Angebot, X Prozent für Orchester, Y Prozent für Jazz – das gäbe es allerdings nicht. „Wir haben Strukturen, die durch die Abo-Konzerte vorgegeben sind, plus eine variable Größe frei verkaufter Konzerte.“
Elbphilharmonie Hamburg: Wie entsteht das Programm, Frau Lebitsch?
Während die meisten anderen Konzerthäuser immer stärker auf die Kassenakzeptanz achten müssen, kann sich ihr Haus nach wie vor Gewagteres leisten. „Das ist unser großes Geschenk“, betont Lebitsch. „Und wir sind nicht dafür da, Profit zu machen. Trotzdem müssen wir bei der Planung natürlich darauf achten, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.“
Andernorts wird auch zunehmend mit neuen Konzertformaten experimentiert, um neues, anderes, also am liebsten natürlich: jüngeres, diverseres Publikum in die Sitze zu bekommen. In Wien, wo Lebitsch, schon damals eine Mitarbeiterin vom Hamburger Generalintendanten Christoph Lieben-Seutter am dortigen Konzerthaus war, versucht man es momentan unter anderem mit „Cuvée-Konzerten“ (Musik plus Weinprobe). Andere spielen ihre Programme irgendwo in den Bergen. Nach den Notwehr-Dingen in der Corona-Zeit hat die Elbphilharmonie aber einzig ihre „Blind Date“-Konzerte im Probierstufen-Angebot.
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Schade eigentlich, diesen weitverbreiteten Wagnis-Mangel der Branche, bedauert auch Lebitsch, aber: „Die Bereitschaft von Orchestern, Künstlern oder den Produzenten von Projekten, die einem angetragen werden, ist inzwischen wieder deutlich runtergegangen. Man ist sehr schnell zum Status quo zurückgekehrt. Die Routine hat fast nahtlos wieder eingesetzt. Unglaublich, wie stark der Drang war, zum Gewohnten zurückzukehren.“ Soll sanft umschreiben: Dieses Armdrücken haben offenbar die großen Agenturen und Star-Manager für sich entschieden.
Die Neigung zur möglichst sicheren Nummer, die als Programm keine Probleme beim Kartenverkauf verursacht, ist ein Thema, das Lebitsch umtreibt: „Wir versuchen, bei den Konzerten, die wir selbst verantworten, dagegen anzuplanen. Im Dialog mit den Partnern sagen wir: Hier ist genau der Ort, an dem ihr nicht von vornherein eine Schere im Kopf haben müsst. In der Elbphilharmonie kann man auch mal etwas anderes ausprobieren.“
Programm in der Elbphilharmonie Hamburg – „Das Kriterium ist die Qualität der Darbietung“
Vor und während Corona hieß es gern von vielen, man möchte deutlich kurzfristiger, spontan geradezu, Ideen umsetzen. Dieser gute Vorsatz habe sich ebenfalls „relativ schnell erledigt“, berichtet Lebitsch. Die Planungsvorläufe – angefangen bei den mehrjährigen Vorarbeiten an Opernhäusern bis zur Reise-Logistik von Virtuosen – seien im Großen und Ganzen wieder dort, wo sie vor Corona waren. Und noch weitere Problemzonen gibt es: die Inflation, die davongaloppierenden Reise- und Hotelkosten. „Früher war ein Charterflug für ein Orchester für 30.000 Euro zu haben. Das ist jetzt mindestens das Doppelte.“
Was die Ansprache der ersehnten Jüngeren angeht – bei dieser Aufgabe sei man durchaus aktiv: „Hier überlegen wir genau, was es braucht, damit Schülerinnen und Schüler nicht zwangsbeglückt im Saal sitzen, sondern auch wirklich etwas damit anfangen können. Vorbereitung über die Schule, Materialien … Wir wissen, dass so etwas nicht klappt, nur weil das Licht cool ist.“
Auf die Absage des Harbourfront Literaturfestivals 2024, das in den vergangenen Jahren gern und oft in der Elbphilharmonie passierte, wird es keine schnelle Reaktion oder ein flottes Einspringen als Veranstalter geben können, der Planungskalender ist dafür längst zu weit gefüllt. Man sei im Austausch, berichtet Lebitsch dazu diplomatisch. Auch bei der Frage, ob es eine Schmerzgrenze gäbe, ab wie vielen nicht verkauften Karten man kein zweites Mal einen Termin im Elbphilharmonie-Angebot bekäme, verneint sie freundlich undeutlich. „Wir müssen immer überlegen, woran es wohl lag. Und es liegt nicht zwingend nur an den Künstlern. Es kann am Programm liegen, am Wochentag, an einer Konkurrenzveranstaltung. Unverkaufte Karten sind nicht das Kriterium – das Kriterium ist die Qualität der Darbietung.“
Elbphilharmonie Hamburg: Privat Lebitsch gerne Brahms‘ Vierte Sinfonie
Ein Künstler bekommt nach wie vor prominente Termine im Haus: Teodor Currentzis, seit Beginn von Putins Angriff auf die Ukraine unter moralischem Dauerbeschuss wegen seiner Nicht-Distanzierung vom Machtapparat in Russland, wo er mit seinen Ensembles staatlich und stattlich unterstützt wird. Am Ende des Musikfests soll Currentzis nach wie vor, ausgerechnet, Brittens „War Requiem“ dirigieren, nachdem und obwohl er kürzlich bei den Wiener Festwochen ausgeladen wurde. Bei diesem Thema bleibt Lebitsch auf Haus-Linie: „Wir haben bewusst entschieden, dass wir mit ihm weiter zusammenarbeiten. Er ist auch in Hamburg groß geworden, wir glauben an ihn als Künstler, nach wie vor.“
Weniger statisch ist Lebitschs persönlicher, also eher: privater Musikgeschmack. „Ich muss jetzt nicht jede Tschaikowsky-Sinfonie von jedem hören. Ich höre sie aber alle gern, wenn sie gut interpretiert sind“, ist der erste Teil ihrer wohlabgewogenen Antwort. „Eine Konstante in meinem Leben ist aber tatsächlich Brahms‘ Vierte“, erzählt sie, auch, weil Brahms sein Opus 98 in ihrem Heimatort Mürzzuschlag zu Notenpapier gebracht hatte. Die andere Herzhälfte schlage für Zeitgenössisches wie insbesondere die Musik von Luigi Nono. Auf die Frage, wer und was warum in der nächsten Spielzeit in Elbphilharmonie und Laeiszhalle zu hören sein wird, kommt allerdings nur ein amüsierter Lacher und ein „Netter Versuch…“ zurück. Diese Bescherung ist erst in der zweiten April-Hälfte fällig.
Informationen zum Programm: www.elbphilharmonie.de