Bayreuth. Mit Tobias Kratzers Inszenierung von Wagners „Tannhäuser“ haben die Bayreuther Festspiele einen Publikumsliebling im Sortiment.

Ein Clown auf der Flucht vor seiner Vergangenheit, eine Liebesgöttin im Glitzerbody wie aus einem frühen Tarantino-Film, ein bärtiger Drag-Schnuckel im Disney-Schneewittchenkostüm und ein trinkfestes Oskar-Mazerath-Double zuckeln in ihrem alten Citroën-Kastenwagen durch die Provinz. Auf dem Dach ein grüner Schlingensief-„Parsifal“-Gedächtnishase, auf der Mittelkonsole klebt formschön ein vergoldeter ausgestreckter Mittelfinger. Das soll Bayreuth sein? Das sind noch die guten alten Wagner-Festspiele?! Das meinen die jetzt tatsächlich ernst?!? 

Egal, ob man diese Ouvertüren-Verfilmung zum ersten oder zum wiederholten Male sieht – sofort ist man selig staunend (und hin und wieder kichernd) drin in dem Roadmovie-Plot, der ganz ohne Worte funktioniert. Fehlen nur noch Popcorn und weiche Sitze, um es sich in der „Tannhäuser“-Inszenierung von Tobias Kratzer, der ab 2025 Intendant der Hamburgischen Staatsoper sein wird, sofort gespannt bequem zu machen. 

Bayreuther Festspiele: Dieser „Tannhäuser“ ist Everybody’s Darling

Seit ihrer Premiere 2019 ist diese Produktion zu „Everybody’s Darling“ auf dem Hügel geworden, die verdiente Begeisterung steigerte sich von Sommer zu Sommer. Und das Schöne daran: die qualitative Geschlossenheit, die Mischung aus niveauvollem Klimbim, genauestens dosiert, aus treffsicheren Verweisen auf aktuelle Debatten und zeitlos ergreifender Tragik ebenso. Am Hexenhäuschen klebt, nur für die vordersten Parkettreihen lesbar, ein Plakat mit der Aufschrift „Dr. Claudias Kasperltheater: Hänsel & Gretel“. Das wäre dann wohl ein kleiner Gruß aus der Regieküche an die Kultur-Staatsministerin, wegen ihrer abstrusen „Hänsel und Gretel“-Idee für den Bayreuther Spielplan.

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In einer zweiten Szene korrigiert die Dragqueen die Beschilderung der Maestro-Ahnengalerie zu „Dirigent*innen-Gang“, weil es in diesem Sommer erstmals gleich drei Frauen sind. Nach Semyon Bychkovs doch eher sämigem „Tristan“-Premierendirigat am Vorabend ist das, was Nathalie Stutzmann mit dem Festspielorchester an Verve, Genauigkeit und Energie anbot, kaum zu glauben, so vital, so frisch und aufbrausend und tief durchleuchtet war dieser, ihr Wagner. Und der von Eberhard Friedrich trainierte Chor war ohnehin und auch hier wieder eine Klasse für sich.

Regisseur Tobias Kratzer an der Deutscher Oper
„Tannhäuser“-Regisseur Tobias Kratzer tritt 2025 sein Amt als Intendant der Hamburgischen Staatsoper an. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Die Wendungen, Spielwiesen und Pointen der Regie sind inzwischen bekannt: Das Festspielhaus-Modell und die Showeinlage von Le Gateau Chocolat draußen vor dem Festspielhaus in der Pause / die ironisch gedoppelte Wartburg-Halle, mit Wieland-Retro-Museum unten und live gegengeschnittenen Backstage-Bildern oben beim Sängerkrieg und am Ende einer symbolisch platzierten Regenbogenflagge auf der Harfe / der nächtliche Schrottplatz mit Todesfolge, wo Elisabeth sich das Leben nimmt. Blieb also viel Zeit bis zum letzten Vorhang, um sich auch am wagnerwerkstattgepflegten, spielfreudigen Ensemble zu erfreuen.

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Tobias Kratzer: „Nichts kann einen so packen wie ein guter Musiktheaterabend“

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Klaus Florian Vogt hat den Tannhäuser in jeder Hinsicht drauf, bis zur Romerzählung und dem tragischen Ende steigerte er sich, ohne unschön zu überziehen. Elisabeth Telge machte aus ihrer Namenscousine eine große Leidende. Irene Roberts nutzte charakterstark die Möglichkeiten der Venus. Dem Wolfram des nobel fließenden Baritons von Markus Eiche hätte man stundenlang nicht nur beim Besingen des Abendsterns zuhören mögen. Nachdem er als Marke einen Tag zuvor im „Parsifal“ mit der Aufgabe zu ringen hatte, war Günther Groissböck nun als Landgraf wieder substanzieller bei Stimme. Am Ende, klar, Riesenbeifall für eine Inszenierung, die brandneu wirkt und doch schon klassisch ist.