Bayreuth/Hamburg. Tobias Kratzer, ab 2025 Intendant in Hamburg, über seinen Wagner-Erfolg in Bayreuth, ehrgeizige Pläne und die Opern-Neubau-Ideen.
Am Nachmittag nach der „Tristan“-Premiere geht es, soweit man bei der Wagner-Gemeinde in Bayreuth davon sprechen kann, schon wesentlich normaler zu rund ums Bayreuther Festspielhaus. Die Promis und Kameras sind wieder weg, jetzt sind Interessierte, Neulinge und sicher auch Manische da. Und alle wissen schon vor dem ersten Ton aus dem Graben (in dem übrigens auch Hamburger Musiker sitzen): Die „Tannhäuser“-Inszenierung von Tobias Kratzer – ab 2025 neuer Intendant an der Hamburgischen Staatsoper – ist etwas ganz Besonderes. Wie sehr, sehr viele diese Version ins Herz geschlossen haben, zeigt der Szenenbeifall, als kurz nach Beginn der Aufführung im Video an den 2023 verstorbenen Tenor Stephen Gould erinnert wird, der in der Premiere 2019 die Titelpartie gesungen hatte. Kurz vor der Wiederaufnahme-Premiere hat Kratzer Zeit für ein Gespräch über Aktuelles und Kommendes.
Jetzt ist es 14 Uhr, in zwei Stunden geht hier im Festspielhaus der Vorhang hoch. Haben Sie, fünf Jahre nach der Premiere hier, noch mit Lampenfieber zu kämpfen?
Immer, jeden Abend wieder. Aber Lampenfieber ist der falsche Begriff. Ich muss ja nicht als Darsteller auf die Bühne. Aber eine andere Art von Lampenfieber habe ich vor dem Schlussapplaus. Das ist dann aber auch ganz schlimm, weil ich gar nicht gewohnt bin, auf der Bühne zu stehen und es drei- bis sechsmal im Jahr doch tun muss.
Festspiele: Der Bayreuther „Tannhäuser“ kommt 2026 wieder
Ihr „Tannhäuser“ gilt längst als Kultinszenierung. Wie viel haben Sie hier, in der „Werkstatt Bayreuth“, konkret daran verändert?
An der Inszenierung selbst im Grunde gar nichts. Ich habe sie den neuen Darstellerinnen und Darstellern angepasst, doch es gibt keine grundlegenden Änderungen, weder im Bühnenbild, bei der Personenführung, noch im Konzept. Wir haben aber in der Inszenierung von Beginn an im Geiste des Werkstattgedankens in der Video-Ebene zwei offene Systemstellen vorgesehen. Die werden jedes Jahr mit tages- oder jahresaktuellen Anspielungen neu munitioniert. 2023, weil ich dachte, das sei das letzte Jahr, gab es zum Thema Hamburg einen Cameo-Auftritt von meinem Team und mir. Da sind wir mit Shanty-Kostümen und Koffern bereits aus Bayreuth abgereist. Als dann aber ein paar Tage vor der Premiere klar war, dass die Inszenierung in den Folgejahren doch noch weitergespielt wird, haben wir ganz kurzfristig noch einen Zwischenschnitt eingefügt, in dem wir noch einen „Back in 2024“-Aufkleber auf diese Koffer gepappt haben.
In diesem Sommer sechs Vorstellungen und dann gibt es die Abrissfeier und „Tannhäuser“-Tattoos für alle? Oder sind Sie da unsentimental?
Ich muss noch gar nicht sentimental sein, denn er kommt 2026 wieder. So schnell wird die Welt zumindest diesen „Tannhäuser“ nicht los.
Wegen guter Führung?
Ich weiß es nicht. Vielleicht auch, weil es zu teuer ist, einen neuen zu produzieren. Das müssen Sie Katharina fragen. Aber er verkauft sich sehr blendend, wie man mir berichtet. Das wird sicher schon einen Anteil daran haben.
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Was haben Sie hier in Bayreuth für Ihre 2025 beginnende Arbeit als Staatsopern-Intendant in Hamburg gelernt?
Ui, das ist eine gute Frage. Ich glaube, das werde ich erst später wissen. Das ist ja doch kein direkt verwertbares, sondern eher ein langfristiges Erfahrungswissen, das ruft man ja nicht eins zu eins ab, das bildet den Background, vor dem man weiterhin künstlerisch agiert.
Nach dem Wagner hier ist vor dem neuen Wagner in München. Wie weit sind Sie da mit Ihrem „Rheingold“, das Ende Oktober Premiere hat?
Konzeptionsprozess komplett abgeschlossen, Probenprozess in den Startlöchern, direkt nach den Ferien geht es los.
Wird es Ihren Münchner „Ring“ dann, in welcher Kooperationsform auch immer, in Hamburg zu sehen geben?
Nein. Das ist tatsächlich ein exklusives München-Projekt. Das „Rheingold“ geht noch nach Shanghai. Der „Ring“ war geplant und konzipiert, lange bevor ich für Hamburg mandatiert war. Und das wäre allein von den Dimensionen her nicht ko-produzierbar.
Tobias Kratzer: Einen Hausregisseur wird es an der Hamburger Oper nicht geben
Noch mal zum „Tristan“, hier gerade neu inszeniert von Þorleifur Örn Arnarsson. Sie haben sich mit ihm und zwei anderen Regisseuren 2018 in Karlsruhe einen „Ring“ geteilt und, so klang es beim Gespräch mit ihm, wohl ganz gut verstanden. Haben Sie schon etwas mit ihm für Hamburg eingetütet?
Wir vier Regisseure hatten damals, das war ein bisschen auch Vertragsbedingung meinerseits, eine Recherche-Reise nach Island gemacht, um uns da besser kennenzulernen und gleichzeitig auch zum Quell der Mythen zurückzukehren, auf einem knapp einwöchigen Roadtrip. Whale-Watching, Gletscher-Rafting und Höhlenforschen. Und ich habe Thor Arnarsson danach auch selbst auf die Bühne gebracht. Die drei Nornen in meiner „Götterdämmerung“ waren Hosenrollen, das waren die drei Regisseure der anderen Ring-Teile. Über Namen für Hamburg spreche ich allerdings noch nicht, weil man das erst macht, wenn die Sachen auch wirklich in trockenen Tüchern sind. Alles andere wäre negative Magie. Da bin ich abergläubisch.
Die sind schon alle in trockenen Tüchern. Sie wollen es nur nicht sagen.
Richtig, genau. Zumindest die meisten.
Also Hausregisseur?
Nein, diesen Titel vergebe ich nicht. Und wenn, dann wäre das in Anbetracht dessen, wie viel ich inszenieren werde, wahrscheinlich eher ich selber.
Neuer Intendant Tobias Kratzer: Keine Herzensprojekte aufgegeben, um Hamburg machen zu können
Die „Süddeutsche“ schrieb im März: „Um diesen Regisseur reißen sich die Opernhäuser“. Was und wie viel Schönes ist Ihnen entgangen, weil sie absagen und antworten mussten: Toll, danke, aber: Hamburg-Intendanz, passt leider nicht?
Schon viel. Ich war ja in Gesprächen bis 2030. Da kommt dann schon einiges zusammen. Manches konnte ich auf Koproduktion umleiten, manches mache ich trotzdem gastierend. Es gab aber schon auch viele Projekte, die man dem höheren Ziel opfert. Allerdings hatte ich einen festen Vorsatz: Alles, was bereits konzipiert war und ich auch unterschrieben hatte, werde ich auch machen. Von den danach angedachten Projekten hätte sich sicher auch etwas wieder zerstreut. Das ist ein sehr dynamisches Feld. Aber ich hatte nie das Gefühl, ein Herzensprojekt aufgeben zu müssen, um Hamburg machen zu können.
In Bayreuth ist in diesem Sommer auch Simone Young, als Staatsopern-Intendantin Ihre Vor-Vorgängerin, tätig, als Dirigentin beim „Ring“. Hat sie Ihnen hier schon etwas über Hamburg und die Staatsoper berichtet?
Tatsächlich habe ich sie gar nicht getroffen, leider. Ich hatte gehofft, dass man sich über den Weg läuft und ich auch von ihrem Erfahrungswissen etwas abgreife. Ich werde jetzt nicht Termine anmelden. Aber falls, wenn es sich ergibt, sehr, sehr gerne.
Young hat während Ihrer Hamburger Amtszeit erfahren müssen, dass die Mühen der Ebenen, wenn man zwei Hüte auf hat, doch nicht direkt wenige sind.
Ich will keinem Berufsstand zu nahe treten, aber ich bin mir nicht sicher, ob ein Regisseur per se vielleicht ein bisschen mehr von den Mühen der Ebenen und des Betriebs weiß als ein Dirigent. Bisher habe ich zumindest noch nicht das Gefühl gehabt, dass ich die Mühen der Ebenen nicht hätte realistisch abschätzen könnte. Doch noch steht „Designiert“ vor meinem Namen.
Wie viele Nicht-Hamburger Inszenierungen stehen noch in Ihrem Kalender, bis sie im Herbst 2025 an der Dammtorstraße Ihr Amt antreten?
„Rheingold“ in München und „Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper Berlin. Im nächsten Jahr habe ich wirklich ausgedünnt, da war Gott sei Dank noch nicht so viel unterschrieben. Die Saison, die jetzt zu Ende geht, war aber „insane“, sechs Premieren und zwei Wiederaufnahmen. Das wäre auch ohne die Intendanz-Vorbereitung ein ziemlich oberes Limit gewesen. Ohne mein Team und einen wirklich hervorragenden Regiemitarbeiter hätte ich das nicht geschafft. Im nächsten Jahr ist es in dieser Hinsicht sehr entspannt.
Und auswärts ab Dienstbeginn in Hamburg steht was an?
In der ersten Saison einzig die „Walküre“ in München. Ich kümmere mich dann fulltime um Hamburg. Und die „Walküre“-Proben fallen zu einem großen Prozentsatz in die Theaterferien.
Tobias Kratzer und die Pläne: Wie steht es um die Idee des Staatsoper-Neubaus?
John Neumeier hat demnächst Zeit, kann Noten lesen, hat schon hier und da inszeniert, kennt die Staatsoper. Er könnte doch jetzt, nachdem er durch die Vordertür raus ist, durch die Hintertür als Opern-Gastregisseur wieder …
… er ist ja durch die Seitentür schon wieder rein und bleibt als Leiter des Bundesjugendballetts im Haus. Außerdem werden wir Herrn Neumeier ja nicht durch die Hintertür hereinholen, sondern egal, wann er das Haus betritt, immer den roten Teppich ausrollen, selbstverständlich.
Oper ist also keine Überlegung?
Ich glaube, es gibt erst mal genügend spannende Regie-Namen, die in Hamburg noch nicht inszeniert haben oder nach längerer Zeit mal wiederkommen sollten.
Die Staatsoper-Neubau-Idee. Wie ist denn jetzt der Stand der Dinge? Wissen Sie dazu etwas, was ich noch nicht weiß?
Der Kultursenator hat ja recht offen auch mit der Presse und der Öffentlichkeit kommuniziert. Ich glaube, dass die Gespräche in einem fortgeschritteneren Zustand sind, als man sich das vor einem Jahr noch hätte vorstellen können. Alles andere wird zwischen dem Bürgermeister, Herrn Brosda und Herrn Kühne debattiert. Wir als Nutzer werden ja nicht ins Immobiliengewerbe einsteigen.
Hamburgische Staatsoper: Das Motto der ersten Spielzeit: „Alles, was Oper kann“
Und die Eröffnung ist dann am Ende Ihrer zweiten Fünfjahres-Periode?
Lassen Sie mich es so sagen. Ich glaube, wenn der Neubau kommen sollte, dann hätten Herr Kühne und ich ein sehr gemeinsames Ziel: dass es sicher nicht so lange dauern soll wie die Elbphilharmonie.
Sie haben vor einigen Monaten Weinbergs „Passagierin“ in München inszeniert, Ihr Generalmusikdirektor-Kollege Omer Meir Wellber hat im Herbst die Uraufführung einer Oper über Alma Mahler in Wien im Kalender. Raritäten also. Sparen Sie zwei sich die Publikumsmagnete für den Start in Hamburg auf oder machen Sie in diesem Sinne weiter?
Die „Passagierin“ war ein unglaublicher Publikumsmagnet. Diesen Begriff muss man auch hinterfragen. Nicht alles, was zu den vier meistgespielten Stücken gehört, garantiert dann auch ein volles Haus. Ich mache kein Projekt, bei dem ich nicht das Gefühl habe, das ist ein reines Nischenprojekt und hat keinen Public Appeal oder keine Berechtigung, auch eine breite Öffentlichkeit zu finden.
Trotzdem könnte man sich fragen, ob Sie sich womöglich jetzt noch mal andernorts austoben, bevor Sie in Hamburg in der ersten Saison zunächst ernten und danach langsam die Schraube andrehen.
Nein. Die erste Saison wird keine, die sich nur bei den 40 meistgespielten Stücken bedient. Gerade in der ersten Saison möchte ich ein breiteres Feld, ein größeres Spektrum an theatralen Formen, an Ausdrucksformen, aber auch an Repertoire zeigen. Auch, um zu schauen, was funktioniert und auch um mich als Intendant und Regisseur in einer größeren Breite vorzustellen. Die Philosophie ist eher, die Dichte der sogenannten Repertoire-Klassiker in der zweiten Saison zu erhöhen. Intern heißt das Motto der ersten Spielzeit für mich „Alles, was Oper kann“. Und noch etwas: Uraufführungen sind ein Alleinstellungsmerkmal der Hamburgischen Staatsoper. Wichtige Uraufführungen sind in der DNA des Hauses und für das Profil des Hauses immer extrem entscheidend gewesen. Auch das wird es hoffentlich jedes Jahr geben, auf der Großen Bühne. Es würde mich auch nicht interessieren, ein Haus zu leiten, das nicht das Repertoire auch in die Zukunft hin erweitert.
Regisseur Tobias Kratzer: „Champions League ist natürlich immer das Ziel“
Sind Sie eigentlich Fußballfan?
Mittel. Saisonal, würde ich sagen.
Ein grob rhetorischer Vergleich, aber dennoch: Der FC St. Pauli ist gerade in die Erste Bundesliga aufgestiegen, aus der zweiten Liga. Ist das für Sie ein Vorbild für die Staatsoper unter Ihrer Leitung?
Mit dem FC St. Pauli kenne ich mich leider zu wenig aus. Aber was ich vom FC St. Pauli höre, über Führungskultur, Toleranz, Verankerung in der Stadt – all das sind unglaublich tolle Dinge, die man sich so für ein Opernhaus eigentlich auch wünschen würde.
Dann ist die Staatsoper jetzt im Mittelfeld der 2. Liga, soll in die 1. Bundesliga und danach gern auch rein in die Champions League?
Ich glaube, in der 1. Bundesliga sind wir schon so, über die Tabellenpositionen kann man diskutieren. Und Champions League ist natürlich immer das Ziel.