Hamburg. Das SHMF startet. Gibt‘s noch Karten? Welcher Star spielt? Wo liegt Venedig? Wie viele Stullen braucht ein Picknick? Wichtige Fragen!
Sturm an der Küste ist, wenn die Schafe auf den Deichen keine Locken mehr haben – und Schleswig-Holstein Musik Festival ist, sobald der Regen wärmer wird. Kleiner Scherz. Auch in diesem Sommer beginnt die fünfte Jahreszeit im nördlichsten Bundesland um Anfang Juli herum mit einem Konzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters in Lübeck. Es dauert dann etwa zwei Monate, wobei: Die ersten Vor-Konzerte liefen bereits, an diesem Wochenende geht es offiziell los, und auch nach dem offiziellen Abpfiff am 1. September geht es mit einigen Terminen weiter. Klassisches Nachglühen, quasi.
Jahrzehntelang stand jeweils ein Land im Mittelpunkt der SHMF-Programmplanung. Nachdem man bis auf Liechtenstein so ziemlich alles auf der Landkarte durchhatte, verlegte man sich ab 2014 auf bedeutende Komponisten. Mittlerweile geht es im Schwerpunkt um europäische Musikstädte. Nach dem Auftakt mit London 2023 folgt nun: Venedig. Was vor allem heißt: viel Vivaldi, der ist nun mal der bekannteste Tonsetzer aus der Lagunenstadt, aber nicht nur. Die Bandbreite reicht von der Spätrenaissance-Größe Monteverdi bis zum klassischen Neutöner Luigi Nono. Mit importierten Gondeln im Nord-Ostsee-Kanal ist in den nächsten Wochen trotzdem nicht zu rechnen. Aber mit der SHMF-bekannten Mischung aus Stammgästen, populär gehaltenen Programmen und hier, da und dort auch Speziellerem.
Was steht diesen Sommer an?
Wie gesagt, reichlich Venedig (90 der 203 Konzerte haben dieses Leitmotiv), viel Vivaldi und insbesondere seine „Quattro Stagioni“, original, originell und bunt bearbeitet. Der finnische Geiger Pekka Kuusisto, immer für Überraschungen gut, verbindet sie mit nordischer Folkmusik, der Mandolinist Avi Avital mit Zeitgenössischem, eine Steeldrum-Band aus Trinidad & Tobago klöppelt sie auf Karibisch. Und in einem der zwei SHMF-Finale-Konzerte dreht der Geiger Daniel Hope damit die letzte Runde.
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Wer ist in diesem Sommer das „Gesicht“ des SHMF?
Porträtkünstlerin 2024 ist die aus der Ukraine stammende Saxofonistin Asya Fateyeva. Nachdem Daniel Hope im letzten Sommer mit 50 Konzerten zu seinem 50. Geburtstag übergroß gratuliert wurde, ist Fateyeva mit 17 Konzerten im Spielplan – klassisches Repertoire ebenso wie Bearbeitungen, dazu kommen interessante Begegnungen und Kontraste, u.a. mit einem Chor oder in Programmen, bei denen sie französische Barockmusik von Rameau mit Pop-Klassikern von ABBA mischt.
Welche Orte sind besonders empfehlenswert?
Wenn man Wert darauf legt, dann kommt das aufs jeweilige Programm und den eigenen Musik-Geschmack an. Es soll durchaus Fans geben, die blind mit dem Finger auf den Spielplan tippen und nehmen, was kommt. Was andererseits nicht heißt, dass die „Stars“ ausschließlich die größtmöglichen Bühnen belegen. Falls es um das gern erwähnte SHMF-Ambiente geht, bei dem wetterbedingte Gummistiefel zur Abendgarderobe kein Problem sind und es rustikal zugehen kann, gilt die Regel: Je kleiner, desto uriger. Konzertscheunen und Örtchenkirchen irgendwo auf dem weitestgehend platten Land haben ihren ganz eigenen Charme. Erst recht, wenn der Bauer auf dem Acker nebenan mit seinem Trecker frohgemut durch die leisen Stellen eines Streichquartetts knattert. Natur ist überall schön.
Welche Programme sind besonders empfehlenswert?
Sehr grundsätzlich: Die, bei denen man womöglich gar nicht soooo genau weiß, worauf oder auf wen man sich eigentlich einlässt. Sie möchten es so richtig sehr prominent? Bitte: Lang Lang spielt am 19.7. in Neumünster (noch gibt es Restkarten), Grigory Sokolov am 7.8. in Kiel (Warteliste). Anne-Sophie Mutter setzt in diesem Jahr eine Runde aus.
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Wie viele Stullen muss ich zu einem SHMF-„Musikfest aus dem Lande“ mitnehmen, um nicht zu darben?
Das kommt auf den Hunger aller Beteiligten an. Die gastronomische Versorgung vor Ort ist gut eingespielt. Rund um Herrenhäuser und Konzertscheunen findet sich immer ein Stück Grünfläche, auf dem man Platz für ein Picknick hätte. Rechtzeitiges Ankommen hilft beim Ergattern eines schönen Fleckchens, denn die sind begehrt, egal wo.
Gibt es ausschließlich Klassisches auf die Ohren?
Aber nein. Obwohl Acts wie „Kool & The Gang” oder Ulrich Tukur inzwischen auch schon Klassiker sind.
Ein Konzert für alle, die meinen, schon alles gehört zu haben?
Der Bungsberg in Ostholstein ist mit stattlichen 168 Metern der höchste Berg Schleswig-Holsteins. Bei solchen Gipfeln ist es durchaus putzig, dass der Himalaya-Dauergast Reinhold Messner am 3.8. und 4.8. in Rendsburg bei einem Programm mit Richard Strauss‘ „Alpensinfonie“ als Erzähler im Flachland zum Einsatz kommt.
Wären Smoking und langes Abendkleid bei Rolando Villazóns Operngala am 15.7. in der Holstenhalle Neumünster ein kleines bisschen overdressed?
Der Schleswig-Holsteiner an sich neigt eher nicht zur Exzentrik, erst recht nicht in Mode-Fragen. Stil-Leitlinie wäre deswegen der Titel eines Nirvana-Klassikers: „Come As You Are“. Der Dresscode kann ganz entspannt die Bandbreite von der gut eingelaufenen Sandale mit Sportsocke bis zum kleinen Schwarzen abdecken.
SHMF: Besondere Herausforderungen sind kleine Orte mit kleinen Kirchen
Gibt es überall genügend gute Parkplätze in Konzert-Nähe?
Dieses Thema ist eines für Spezialisten. SHMF-Dauergäste wissen inzwischen, in welchen Lübecker Seitengassen noch etwas zu finden wäre; sie wissen, dass es sich grausam rächt, kurzfristig in der Nähe der Kieler Wunderino-Arena noch auf einen tatsächlich freien Parkplatz zu hoffen. Sie kennen alle Schleichwege rund um die Konzertscheunen und welche Abfahrt von der A7 die praktischere ist, um nach Konzertende schnell wieder nach Hause zu kommen. Besondere Herausforderungen sind kleine Orte mit kleinen Kirchen, denn man ahnt vorher nicht, wie viele überraschende Einbahnstraßen in lauschige Kleinstädte passen. Bis man in einer feststeckt und der Konzertbeginn heranrast. Ein weiterer Fall für sich sind Special-Locations wie der Lufthansa-Technik-Hangar in Hamburg, zu dem man nicht direkt kommt, sondern per Bus vom Eingang des Firmengeländes geshuttelt wird. Also: better früh than sorry.
Darf ich in Scheunen zwischen den Stücken eher klatschen als im Großen Saal der Elbphilharmonie?
Das gute alte Radio Eriwan hätte geantwortet: Im Prinzip ja. Denn klatschen dürfen Sie in Klassik-Konzerten überall und jederzeit – das ist nur eine Kulturtechnik, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gewandelt hat. Die Frage wäre eher, wie entspannt der Rest des Publikums mit Ihren spontanen Begeisterungsausbrüchen zwischen den Sätzen einer Sinfonie oder nach einem ersten Klaviersonaten-Satz umgeht. Seit der SHMF-Premiere anno 1986 ist jedenfalls noch niemand mit einem Saalverbot dafür bestraft worden, dass ihn oder sie die Musik begeistert hat.
Gibt es noch Karten und wenn ja, wo und wie?
Hier, da und dort sind durchaus Karten zu haben. Für begehrte Konzerte gibt es auf der Festival-Homepage die praktische Option „Nur verfügbare Karten anzeigen“, in der Terminliste wird man über „wenige Karten“ oder „Warteliste“ informiert. Hat man eine Abendkasse im eigenen Ort, kann man auch dort noch Last-minute-Glück haben. Aber auf gut Glück nach Gut Sowieso fahren? Keine gute Idee.