Hamburg. Die Star-Musikerin über ihr Stradivari-Cello, dunkle Schokolade und warum ein Hamburg-Konzert das Highlight einer ganzen Tournee war.

Tempo, das sei doch mal ein gutes Thema für ein Gespräch, meinte die Cellistin Sol Gabetta spontan, bevor es losging und sie in kurzer Zeit viel, sehr viel über sich berichtete: über ihre Karriere, über die Notwendigkeit von sehr dunkler Schokolade als Nervennahrung im Tournee-Reisegepäck und die Art und Weise, wie sich ihre beiden Celli – ein Stradivari und ein Gofriller – voneinander unterscheiden und sich ergänzen. Gerade hat die gebürtige Argentinierin, die in der Schweiz lebt, ein neues Album veröffentlicht, das sich um die „Lieder ohne Worte“ des Hamburger Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy dreht.

Hamburger Abendblatt: Sind Solisten-Jahre durch den Stress, den Sie ständig haben, wie bei Hunden, wo jedes Jahr siebenfach zählt? Sie haben mit zehn den ersten Wettbewerb in Argentinien gewonnen. Jetzt sind Sie etwas über 40. Dann wären Sie umgerechnet ungefähr 224.

Sol Gabetta: 40 ist eine wunderbare Zeit, denn ich fühle mich, als ob ich 30 wäre, habe aber die Erfahrung von jemanden, die 40 ist, nicht mehr mit der Energie einer 20-Jährigen, aber mit immer noch genügend Energie. Jetzt weiß ich ganz genau, was ich auswähle, warum ich ein Konzert spiele und was meine Suche dahinter ist.

Erstklassisch-Podcast mit Sol Gabetta: „Mein Cello ist wie ein Raubtier“

Wie schnell können Sie von Alltagsgedanken – Wie geht‘s dem Sohn? Wann geht der nächste Flieger? – umstellen auf das Bühnendenken, bei dem alles andere egal ist?

Seit mein Kind geboren wurde, ist der Fokus viel stärker im Moment: Wann kann man üben, wann muss man spielen? Früher konnte ich das ohne eine Stunde Ruhe nicht. Neulich kamen wir in Italien nach einer stundenlangen Reise ganz genau fünf Minuten vor dem Konzert an. Der Veranstalter war ganz erschrocken, ich hatte ständig mit ihm telefoniert, bitte, schicken Sie mir ein Foto von der Bühne, wo steht das Klavier? Das sind dann eher Unfälle und nichts, was ich mir wünsche. Aber zu sehen, dass man trotzdem auf diesem Niveau spielen kann, heißt doch: Es ist sehr viel psychologisch.

Wir sind ja hier unter uns: Wie ist das bei Konzerten, sobald Sie merken, dass dieser Abend ganz okay, aber nichts für die Ewigkeit wird? Fangen Sie dann innerlich schon an, den Einkaufszettel fürs Wochenende durchzugehen?

Wenn ich auf der Bühne bin, ist das für mich wie eine Insel der Ruhe. Da denke ich überhaupt nicht daran, was ich womöglich zu Hause machen muss. Es gibt dafür keine Zeit dafür, keine Emotionalität, es gibt überhaupt nicht den Raum dafür.

„Der Stress war unvorstellbar“

Bei Ihrem letzten Tournee-Konzert in der Elbphilharmonie war der Dirigent Daniel Harding sehr kurzfristig für den erkrankten Mikko Franck eingesprungen. Was macht es mit Ihren Nerven, wenn so plötzlich jemand anderes neben Ihnen dirigiert?

Diese Woche mit dem Orchester von Radio France war wohl einer der stressigsten Wochen, die ich in den letzten zehn Jahre hatte. Bei der Tour, die in Paris begann, hatten wir drei verschiedene Dirigenten. In Paris hatten wir gar keine richtige Probe mit Dirigent; es war nur jemand da, den ich aber nicht kannte. Bei meiner Kalender-Planung sind inzwischen die wichtigsten Aspekte, mit wem ich was spielen werde. Schon der Stress an diesem Pariser Tag war unvorstellbar. Das Konzert in Hamburg war ein Highlight der ganzen Tournee. Daniel Harding ist in letzter Sekunde eingesprungen – und dann diese Mischung aus Intellekt und Musik, die Stärke, die er auf der Bühne im Moment empathisch teilen kann. Dieser Abend war ein echter Glücksfall.

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Sie spielen zwei Celli, ein Stradivari mit Darmsaiten für Früheres und ein Grofiller mit Stahlsaiten für späteres Repertoire. Warum? An und für sich müsste man doch auf einem Stradivari-Cello alles perfekt spielen können, weil: Stradivari! Aber das ist so gar nicht?

Genau so ist es eben nicht. Natürlich sind Stradivaris ganz wunderbare Instrumente. Die Gofriller sind eher rustikaler. Rein physisch sind Instrumente nicht so unterschiedlich. Das Gofriller mit seinen Stahlsaiten ist ein bisschen wie ein Raubtier, ein Instrument, das klanglich stärker ausstrahlt in großen Sälen. Rein sprachlich sind sie ganz unterschiedliche Instrumente.

Die Instrumente, die Sie spielen, gibt es nicht für 20 € bei Ebay. Neulich ist eine Kollegin von Ihnen auf der Bühne ausgerutscht und nur ganz knapp nicht in ihr Guadagnini-Cello gefallen.

Solche Erfahrungen habe ich noch nie gemacht, aber einmal habe ich fast meinen Cello-Kasten verloren. Manchmal funktionieren die Träger nicht so gut, es ist unglaublich gefährlich. Ziemlich schrecklich war es in der Alten Oper in Frankfurt, sehr hohe Bühne. Oft werden Solisten sehr weit nach vorn geschoben, das mache ich inzwischen nicht mehr. Ich habe damals das Saint-Saens-Konzert gespielt und das Cello ist bei den ersten Tönen so sehr gerutscht – das Gesicht der Person vor mir …! Das war wirklich eine Horror-Situation. Sie war so erschrocken, und ich auch.

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Gibt es ein Stück, von dem Sie schon jahrelang Veranstaltern und Orchestern vorschwärmen und deren Antwort ist trotzdem immer wieder: jaja, aber … nein?

Das passiert ständig. Wenn man jung ist, ist man froh, Dvorak, Schumann, die Rokoko-Variationen zu spielen. Inzwischen habe ich all das tausendmal – und immer wieder mit Freude – gespielt. Aber meine musikalische Persönlichkeit braucht es, sich weiterzuentwickeln. Das Hauptproblem ist: Wir haben zu lange immer das gleiche Repertoire angeboten. Das Publikum würde gerne etwas anderes hören, sie sind dazu bereit, aber das passiert nicht von einem Tag auf den anderen. Es ist alles eine Frage der Interpretation, eine Frage der guten Zusammenstellung. Vielleicht muss man auch manchmal auch darauf vertrauen, bestimmten Interpreten eine neue Plattform zu geben, muss es riskieren, neue Sachen zu machen, nicht nur musikalisch, auch theatralisch, vielleicht mit Licht? Wenn ich überzeugt bin, egal, was ich spiele, ist das Publikum begeistert. Es funktioniert zu 100 Prozent.

„Ich bin viel geduldiger geworden“

Ich habe irgendwo gelesen, dass sie sich selbst für ungeduldig halten. Hat sich das gebessert oder ist es im Laufe der Jahre immer schlimmer geworden, weil Sie immer mehr auf andere haben warten müssen, bis es so lief, wie Sie es wollten?

Nein, ich glaube, ich bin viel geduldiger geworden. Es kommt aber drauf an. Manchmal habe ich das Gefühl, in 24 Stunden Dinge tun zu müssen, die andere in 72 machen würden. Der Tag ist immer zu kurz. Aber ich habe sehr viel Geduld, was Üben angeht, was Repertoire lernen angeht.

Wissen Sie noch, was sie mit ihrer ersten professionellen Gage als Cellistin gemacht haben?

Eine Klarinette gekauft.

Warum das?!

Ich war schon als Kind von Instrumenten fasziniert. Jedes Mal, wenn ich ein bisschen Geld hatte, habe ich ein neues Instrument gekauft. Dann wollte ich eine Harfe kaufen, aber das war zu teuer für mich. Ich habe sogar versucht, Klarinetten-Stunden zu nehmen, aber es war mir zu kompliziert.

„Ohne dunkle Schokolade gibt es bei mir sehr selten ein Konzert“

Mit welchem Komponisten würden sie gerne über seine Musik reden?

Schubert.

Bier oder Champagner?

Weder noch. Ich trinke keinen Alkohol.

Sie sind Argentinierin, Fleisch ist Ihr Gemüse. Also: Steak oder Tofu?

Auf jeden Fall Steak, aber ich werde mittlerweile auch viel mehr von Gemüse angezogen.

Was brauchen sie vor jedem Konzert, außer wahrscheinlich Ruhe in der Garderobe?

Dunkle Schokolade. Die ist unglaublich für die Konzentration, das funktioniert wunderbar, ohne sie gibt es bei mir selten ein Konzert. Ich habe eine Tasche mit allem, was nötig ist: Medikamente, Schuhe, dunkle Schokolade, Kleidung. Es ist alles dabei, egal wo ich bin auf der Welt.

Spielen kann sie schon. Aber die Cellistin Sol Gabetta würde gern fliegen können.
Spielen kann sie schon. Aber die Cellistin Sol Gabetta würde gern fliegen können. © Marco Borggreve | marco borggreve

Welche Superkraft hätten sie am liebsten?

Fliegen können.

Erstklassisch-Podcast mit Sol Gabetta: „Mendelssohn ist nicht nett und harmlos“

Ein Hamburg-Konzert mit Ihnen gibt es so schnell nicht, aber die neue Doppel-CD hat Hamburg-Bezug: Mendelssohns „Lieder ohne Worte“, die Originale, aber auch Stücke, die für dieses Album geschrieben wurden. Ganz dumm gefragt: Warum? Genügt das Original-Repertoire nicht?

Darum ging es nicht. Es war wieder einmal ganz persönliches Interesse, mit Komponisten, mit denen ich schon vieles gespielt habe. Von Mendelssohn gibt es so viele „Lieder ohne Worte“ für Klavier allein, aber tatsächlich nur eines für Cello und Klavier. Ich wollte mit drei, vier Komponisten ausprobieren, wie sie sich heutzutage diesem Thema nähern würden. Und jeder hat sich sehr motiviert gefühlt und relativ schnell diese Stücke schreiben können.

Was, wenn Sie mit einem Stück, das eigens für Sie geschrieben wurde, nicht warm werden?

Das ist schon mal passiert. Aber ich bin eine sehr intuitive Person. Es ist ein Prozess, und diesen Prozess habe ich einmal gestoppt, weil mir immer klarer wurde, dass diese Art von Musik überhaupt nicht meine Sprache sein würde. Einfach nein sagen. Schön ist das nicht, aber lieber da als zu spät.

Verstehen Sie jetzt, nachdem Sie dieses Mendelssohn-Album gemacht haben, wieso er immer noch für nur nett, harmlos und freundlich gehalten wird?

Es ist nicht nett und harmlos. Wieder so ein Klischee.

Zu Ihren engsten musikalischen Freundinnen gehört die Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Brauchen sie für solche Künstler-Freundschaften Zeit, oder ist das Liebe auf den ersten Blick?

Man braucht Zeit für jede Art von Beziehung, sonst bleibt alles nur an der Oberfläche. Mit Patricia oder mit dem Pianisten Bertrand Chamayou spiele ich schon fast 20 Jahren zusammen. Wir haben uns, nicht immer parallel, musikalisch entwickelt. Jeder hat seinen Weg gemacht, und wir haben uns immer wieder getroffen. Diese Art Zweierbeziehung ist für mich extrem wichtig. Ich habe nicht das Gefühl, mit einem zweiten Menschen auf die Bühne zu kommen. Man hat einen ähnlichen Geschmack, eine ähnliche Vision. Wir sind vier – zwei Instrumente, zwei Menschen – und man fühlt sich wie ein Wesen.

Aktuelle Aufnahme: Sol Gabetta / Bertrand Chamayou „Mendelssohn“ mit Werken von Holliger, Rihm, Widmann und Coll (Sony Classical, 2 CDs ca, 20 Euro, erscheint am 19.1.)