Hamburg. Der Bestsellerautor T.C. Boyle stellte seinen Klimawandel-Roman „Blue Skies“ bei einer Lesung im gut besetzten Audimax vor.

Manche fächeln sich Luft zu mit Papieren oder einer Zeitung. Eine Dame hat sogar eigens einen Fächer mitgebracht. Andere wischen sich einfach mit den Händen den Schweiß aus dem Gesicht, als sie das Audimax der Uni Hamburg betreten, das sich rasch bis in die letzte Reihe füllt. Wir leben bereits mitten in den Auswirkungen des Klimawandels. Dieser Realität hat der Autor T.C. Boyle seinen neuen Roman „Blue Skies“ gewidmet, den er an diesem Montagabend vorstellt.

Und während die heißen Sommer an der Elbe durchaus strapaziös sein können, sind die Ausmaße der Erderwärmung in seinem aktuellen Buch durchaus drastischer. Eine amerikanische Familie lebt verteilt in Kalifornien und Florida, also entweder in absoluter Dürre mit Wasserknappheit und konstanter Waldbrandgefahr oder im Dauerregen mit Überschwemmungen und fortwährendem Fäulnisgestank. Zustände, die die Figuren offenbar nur noch durch die regelmäßige Zufuhr von Alkohol ertragen können.

Lesung mit Autor T.C. Boyle in Hamburg: „Der Mensch verdrängt alles“

Flankierend zur Legendenbegutachtung haben nicht wenige Boyle-Fans eines seiner Bücher auf den Klapppulten des Hörsaals abgelegt. Von „Wassermusik“ aus den 1980er-Jahre bis zu seinem jüngsten Werk. Und auch Moderator Volker Weidermann, Feuilleton-Chef der „Zeit“, verweist zunächst auf einen 23 Jahre alten Roman: Mit „Ein Freund der Erde“ hatte Boyle einst eine Dystopie für das Jahr 2026 entworfen – Artensterben und sogar eine Pandemie inklusive.

Doch obwohl sich seine Prognosen größtenteils längst in „das neue Normal“ verwandelt haben, wie Weidermann erläutert, kommt da dann unter heftigem Applaus doch ein entspannter und gut aufgelegter Boyle auf die Bühne. Schlaksig in Schwarz, seine Schritte soft in dicken Turnschuhen, das braun-graue Haar flusig zurückgekämmt, das kleine Revoluzzer-Ziegenbärtchen säumt wie eh und je seinen Mund, und an die linke Ohrmuschel hat er einen kleinen silbernen Ring geklemmt. Eine coole Type ist er, tritt ans Lesepult und sagt auf Deutsch ein höfliches „guten Abend, meine Damen und Herren“.

Lesung mit Autor T.C. Boyle im Audimax: „Wir sind so selbstvergessen und unbeirrt“

Im Gespräch mit Weidermann muss man sich dann allerdings sehr konzentriert hineinhören in Boyles butterweiches US-amerikanisches Nuscheln. Weidermann steigt direkt steil ein ins Thema: Ob sich jemand während seiner Lesetour hierzulande an ihn geklebt habe?, wollte er mit Verweis auf die Letzte Generation wissen. „Diese Aktionen machen auf jeden Fall auf das Problem aufmerksam“, erklärt Boyle. Allerdings ließe sich den ganzen Abend darüber diskutieren, ob diese Aufmerksamkeit positiv oder negativ sei. Insgesamt hätten sich drei Menschen aus Protest an ihm festgeklebt, sagt der Autor.

Und wie bei so mancher Gesprächssituation an diesem Abend ist unklar, wie ernst er seine Aussage meint oder ob da schlicht der Satiriker übernimmt. Doch die große Richtung ist klar bei dem 74-Jährigen, der sich in den vergangenen Tagen per Zug durch Deutschland bewegte: Fliegen sei „pure madness“, absoluter Wahnsinn also, und das Insektensterben beunruhige ihn sehr. „Der Mensch verdrängt alles, wir sind so selbstvergessen und unbeirrt.“

Deshalb ist „Blue Skies“ unter anderem auch eine Hommage an den stark gefährdeten Monarchfalter. Als er vor gut 30 Jahren mit seiner Frau in sein Haus in Santa Barbara zog, habe es im Garten Tausende dieser Schmetterlinge gegeben. Als sich deren Bestand immens reduzierte, war ihm klar: Es läuft etwas dramatisch falsch. Im Kleinen versucht er, den Tieren mehr Habitat zu verschaffen.

Eine Parallele zu seiner Romanfigur, zu Mutter Ottilie, die ökologisch bewusst lebt und mit Crickets kocht, also mit Grillen. Aber man müsse auf den Cricket-Atem aufpassen, sagt Boyle und lacht. Eine Ausdünstung ähnlich einer Knoblauchfahne, wie er im Roman ausführt.

Lesung mit Autor T.C. Boyle: Schreiben zu Jazz, Gospel und Klassik

Das Gespräch in Hamburg pendelt rasch zwischen kleiner Anekdote und globaler Krise, zwischen Warnung und Witz. Und zwischendurch liest Schauspielerin Eva Maria Nikolaus wunderbar anschaulich Passagen aus der deutschen Übersetzung des Romans.

Wie Tochter Cat sich als Fashion-Accessoire eine Schlange kauft und feststellt, dass das Tier gut zum Paul-Klee-Druck im Wohnzimmer passt. Da zeigt sich Boyles ganze Meisterschaft, die Menschen zugleich liebevoll zu betrachten und schön böse zu entlarven.

Sichtlich genießt der Autor die Lesung auf Deutsch und lobt Eva Maria Nikolaus für ihren guten Sound. Wie er ohnehin, die Fans wissen es, eine ausgeprägte Liebe zu Klang und Musik hat. Zu Jazz, Gospel und Klassik schreibe er seine Bücher. Nicht zu Rock ‘n’ Roll. Den liebt er zwar auch. Aber der eigne sich eher, um E-Mails zu beantworten. Gelächter. Auch wenn er augenzwinkernd betont, in seinem Inneren sei es schwarz wie Kohle, so darf man sich diesen T.C. Boyle doch als glücklichen Menschen vorstellen. Er erfahre viel Liebe, von seiner Familie und seinen Fans.

Beim Schreiben blicke er (noch) stets ins Grüne in seinem von Frank Lloyd Wright erbauten Meisterwerk aus Holz. Und wenn der erste Satz geschrieben ist, schaue er einfach, wohin ihn dieser magische Prozess des Schreibens führe. Das Ergebnis jedenfalls ist ein Werk und eine Aura, der die Fans möglichst nahe kommen möchten: Sehr viele stehen im Anschluss an, um ihre Bücher von Boyle signieren zu lassen. Durch das Audimax-Foyer kringelt sich eine lange Schlange.