Hamburg. Erfrischendes Lustspiel: Mit Gaststar und wachem Ensemble wird erst „Der zerbrochne Krug“ eingetuppert, dann vergnüglich das Patriarchat zerlegt.
Aufplatzende Granatäpfel, herrlichste Trauben, Austern, Schinken. Die üppig mit Leckereien bestückte Tafel aus dem Stillleben des niederländischen Meisters Jan Davidsz. de Heem lässt erahnen, dass an diesem Ort eher keine Bescheidenheit vorherrscht. Und dass der, der hier das Sagen hat, es gewohnt ist, sich am Leben wie an einem solch reichhaltig gedeckten Tisch zu bedienen. Sei es an Rotwein oder Wurst aus Braunschweig – oder halt am weiblichen Nachwuchs im Ort.
Fast über die gesamte Bühnenbreite prangt das raumgreifende Gemälde als einzige Kulisse für Anne Lenks Version des Kleist-Klassikers „Der zerbrochne Krug“. Als Leihgabe des Deutschen Theaters in Berlin gastiert die Produktion beim Hamburger Theater Festival für zwei Vorstellungen am Thalia Theater. Und erfrischt nach dem Überwältigungstheater etwa mit Joachim Meyerhoff („Die Vaterlosen“) und Lars Eidinger („Richard III.“) als leichtfüßiges, unterhaltsames Lustspiel. Das es allerdings in sich hat.
„Der zerbrochne Krug“ am Thalia Theater: Präzision mit spielerischem Humor und Gegenwartsbezug
Farblich in holländisches Oranje gewandet (Ausstattung: Judith Oswald/Sibylle Wallum), scheinen auch die Figuren unmittelbar aus dem Gemälde gepurzelt. Zumal die begrenzte Bühne fast eine Zweidimensionalität vorgibt: Die Stuhlreihe wie in einem Warteflur nah an der Rampe genügt jedoch vollkommen, um Spannungen und Allianzen zu veranschaulichen – wenn man ein Personal zur Verfügung hat, das sich die kunstvollen Kleist-Zeilen derart aufgeräumt und wach zu eigen macht. Und eine Regisseurin, der es gelingt, Präzision mit Humor und Gegenwartsbezug ebenso spielerisch wie klug zu verbinden.
Orange is the new Black: Mit seinem kahl geschorenen Schädel, das Gesicht lädiert, wirkt Ulrich Matthes als Richter Adam schon zum Auftakt weniger wie ein Richter denn wie ein Knastbruder. Was optisch direkt im ersten Bild sein Schicksal besiegelt. Nur er, der alte weiße Mann, hat seinen Untergang noch nicht begriffen.
Es ist Gerichtstag, und Frau Marthe Rull (Franziska Machens mit köstlich kieksender Boulevardübertreibung und Beweisscherben in der Tupperbox) will ein Urteil über jenen, der ihr den Krug zerschlug beim Versuch, die Tochter Eve (selbstbewusst: Lisa Hrdina) ins Bett zu zwingen. Der Missbrauchstäter jedoch ist der Richter selbst, der nun seine Arglosigkeit gegen jede Offensichtlichkeit zelebriert und mit viel Gequatsche dem wütenden Verlobten Ruprecht (mit Vokuhila: Tamer Tahan) seine Tat anzuhängen sucht.
Kleist beim Hamburger Theater Festival: #MeToo mit Happy End sozusagen
Dass dies nicht gelingt, ist dem Überraschungsbesuch des auswärtigen Gerichtsrats Walter zu verdanken, den Anne Lenk mit Lorena Handschin als toughe Gerichtsrätin besetzt. Hochschwanger, mit urbanem Pilzkopf-Hipsterschopf und wachsend amüsierter Verblüffung über die stabile, weil Privilegien gewohnte Dreistigkeit des Patriarchats, überführt sie den Selbstgerechten in Kleists He-said-she-said-Komödie.
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Es ist ein großer Spaß, dem Ensemble – allen voran der sich immer wieder süffisant über den Kugelbauch streichenden Lorena Handschin und Ulrich Matthes als vergnügt fläzendem Richter Adam – bei dieser flotten Gerichtsshow zuzusehen und zuzuhören. Mit Klarheit, sprachlicher Lust und lässiger Finesse wird dem chauvinistischen Boomer-System in gut anderthalb verdichteten Stunden der Garaus gemacht. Erst werden die Scherben eingetuppert, dann kommt #MeToo zum Happy End.
Das schnurrt so geschmeidig dahin, fast könnte man daran glauben. Nur als es am Ende entschlossen heißt, schon „am Dienstag soll der Prozess beginnen“, da muss der eine oder andere Jurist im Publikum dann doch kurz auflachen.
„Der zerbrochne Krug“ läuft am 23.6. noch einmal am Thalia Theater. Es gibt noch Resttickets. Das Hamburger Theater Festival endet am 24. Juni auf Kampnagel.