Hamburg. Hamburger Theater steckt mitten in den Proben für „Emilia Galotti“. Wieso man diesmal besonders auf die Ausstattung achten sollte.

Theater ist Teamarbeit. Die Verantwortlichen für Bühnenbild und Kostüme stehen dabei meist weniger im Fokus als die Regie oder die Spielenden – dabei ist ihre Arbeit essenziell. Leere, minimalistische, abstrakte Räume sind nach wie vor populär. Bei den Kostümen setzen viele auf einen lässigen Alltagslook. Es gibt aber Theaterabende, an denen man nach der Vorstellung noch einmal genauer ins Programmheft schaut, wer denn die eindrucksvolle Bühne und die fantasievollen Kostüme kreiert hat.

Ein derzeit wohl herausragendes Beispiel sind die Regiearbeiten von Anne Lenk, die häufig gemeinsam im Team mit Kostümbildnerin Sibylle Wallum und Bühnenbildnerin Judith Oswald entstehen.

Thalia Theater profitiert bei Inszenierungen von einem Erfolgstrio

Anne Lenk probt derzeit am Thalia Theater ihre neue Inszenierung, Lessings „Emilia Galotti“, für die Premiere am 1. Juni. Ein Probenbesuch offenbart eine variable, geziegelte Wand in einem grellen Grün. Das Ensemble trägt noch Probenkostüme.

Auch „Emilia Galotti“ erarbeitet das Erfolgs-Trio Lenk/Wallum/Oswald gemeinsam. So wie zuvor schon die preisgekrönte „Maria Stuart“ am Deutschen Theater Berlin. Die Spielenden agierten darin in einer Art Setzkasten in Kostümen, die die Historie häufig nur andeuten, aber viel über die Figuren erzählen. Oder „Drei Schwestern“ am Thalia Theater, bei der die Bühne ein gigantisches Seerosengemälde von Claude Monet zierte, das sich in den Kostümen raffiniert fortsetzte. Die Berliner Inszenierung „Der zerbrochne Krug“, die demnächst beim Hamburger Theater Festival gastieren wird, ist eine weitere gemeinsame Arbeit.

Thalia Theater: Warum man bei „Emilia Galotti“ besonders auf die Ausstattung achten sollte

Aber wie findet so eine Inszenierung überhaupt zusammen? Wenn sich Anne Lenk für einen Stoff entschieden und eine Idee dazu hat, führen alle drei intensive Gespräche. Monate vor Probenbeginn liefert Judith Oswald ihren Entwurf bei der Bauprobe ab. Ihre Bühnenbauten benötigen einen langen Vorlauf.

„Ich finde es wichtig, dass Bühne, Regie und Spiel zusammen funktionieren und auch dass der Raum über den Abend Bestand hat. Wenn durch das Bild immer wieder neue Zusammenhänge und Assoziationen entstehen können, und sich eine Raumidee nicht nach 15 Minuten schon erzählt hat“, sagt Judith Oswald. Eine Inszenierung brauche einen Ort, ein Bild, das eine Situation schaffe und das auch einen Abstand erzeuge. „Mich interessiert dabei immer eine Art von Verfremdung, ein Bruch zur Realität – etwas Künstliches.“

Die  Bühnenbildnerin Judith Oswald hat am Thalia Theater bereits mit Regisseurin Anne Lenk zusammengearbeitet.
Die Bühnenbildnerin Judith Oswald hat am Thalia Theater bereits mit Regisseurin Anne Lenk zusammengearbeitet. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Regisseurin und Kostümbildnerin einen Geschmack und Humor

Auch Kostümbildnerin Sibylle Wallum schätzt es, eigene Universen zu kreieren: „Es ist immer mein Ziel, dass der Kostümbildentwurf wie eine Welt ist, in die man komplett eintauchen kann, und zwar so, dass das Publikum nicht nur Mode sieht und entdeckt, sondern auch komplexe Figuren.“ Ein Entwurf müsse ästhetisch überzeugen, aber genauso inhaltlich funktionieren. „Die Kostüme dürfen immer wieder ein Geheimnis haben und sich selbst in Frage stellen. Dabei mach ich große Bilder und erfinde auch gerne komplett neue Welten. Da packt mich dann total das Fieber“, so Wallum.

Mit Anne Lenk verbindet beide ein ähnlicher Geschmack und Humor. Das hilft bei der gemeinsamen Arbeit. Das bürgerliche Trauerspiel um „Emilia Galotti“ (1772), in dem die Moral des aufgeklärten Bürgertums in Konflikt mit den feudalen Vorstellungen des Adels gerät, liefert eine dankbare künstlerische Assoziationsfläche.

Die Kostümbildnerin Sibylle Wallum ist wie ihre Kollegin unter anderem für das Thalia Theater in Hamburg im Einsatz.
Die Kostümbildnerin Sibylle Wallum ist wie ihre Kollegin unter anderem für das Thalia Theater in Hamburg im Einsatz. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

„Für den Entwurf habe ich mich unter anderem mit Gender und Raum beschäftigt, viele unserer Alltagsräume sind von Männern für Männer gebaut. Zum Beispiel Le Corbusiers Maßeinheitensystem ‚Der Modulor‘, da ist alles auf einen 183 Zentimeter großen Mann ausgerichtet“, erläutert Oswald. „Für mich passt das zu ‚Emilia Galotti‘, die in diesem Patriarchalischem System steckt, das nur für Männer ausgerichtet ist.“ Auf der Suche nach einer geeigneten Oberfläche ist sie dann auf die besonderen Ziegel gestoßen. Nun besucht sie die Proben häufig, denn nicht nur die technischen Abläufe sind eine Herausforderung. Es gilt, zu überprüfen, ob der Raum mit dem Spiel funktioniert.

Kostümbildnerin am Thalia: „Für mich ist es wirklich eine Berufung“

Auch Sibylle Wallum legt sich früh auf ein Konzept fest und geht schon vor Produktionsbeginn auf Material- und Stoffsuche, damit sie sich nicht aus Verlegenheit für einen Gelbton entscheiden muss und keine Alternativen hat. Derzeit schaut sie fast täglich in der Schneiderei vorbei. „Jede Produktion ist sehr kleinteilig. Da wird über jeden Knopf und jeden Reißverschluss gesprochen“, sagt sie.

Bei „Emilia Galotti“ wird das Publikum eine neue, eigene Welt entdecken. „Die Kostüme der Figuren wechseln zwischen historischen und modernen Silhouetten“, so Wallum. Zeitsprünge würden damit aufgelöst, bei der Farbe gebe es Kontinuität. So bleibe man dichter an der Figur. „Die bürgerliche und adlige Welt sind in Farben unterteilt. Die Kostüme sind historisch, lehnen sich aber auch in Richtung Science-Fiction und ‚Computer Games‘ an.“ Auf diese Weise transportieren sie auch die inhaltliche Ebene, in der es um Identitäten, zugeschriebene Rollenbilder und unsere Wahrnehmung von ihnen geht.

Bühnenbildnerin fand ihren Traumjob im Berufsinformationszentrum

Judith Oswald, in Freiburg im Breisgau geboren, studierte Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin Weißensee und an der UDK Berlin. Den Beruf der Bühnenbildnerin hat sie tatsächlich im Berufsinformationszentrum im Ordner „Kunst“ entdeckt. Am ersten Tag eines Praktikums im Theater Freiburg nahm sie die Stimmung in der Ausstattung sofort gefangen. „Es roch herrlich nach Pattex und das staubige Sonnenlicht fiel durch die Atelierfenster – da wusste ich: Das ist es, das will ich machen!“

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Wallum wusste früh, dass sie unbedingt mit Text und Kunst arbeiten wollte. „Das Theater war dann wie eine Offenbarung für mich, weil es alles vereint, was mich interessiert.“ Auch Modedesign habe seinen Reiz, doch das allein wäre ihr zu dekorativ. Wallum zog es aus dem Schwarzwald in die Welt hinaus. Sie studierte Design for Performance am Central Saint Martins College of Art and Design in London. „Ich mag auch die Teamarbeit. Für mich ist es wirklich eine Berufung und mein absoluter Traumjob.“

Die Leidenschaft für ihre Künste ist beiden anzumerken. Und ab dem 1. Juni im Thalia Theater zu besichtigen.

„Emilia Galotti“Premiere 1.6., 20 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de