Hamburg. Dieses „Universum“ ist einen Besuch wert: Zu Lebzeiten wurde der Künstler verspottet, später orientierten sich andere an seinem Werk.
- William Blake war ein Zeitgenosse von Caspar David Friedrich.
- Die Hamburger Schau ist, nach der Premiere im Jahr 1975, erst die zweite Blake-Ausstellung in Deutschland überhaupt.
- Einige Werke waren 20 Jahre unter Verschluss.
Gottvater ist nicht gütig auf dem riesigen Ausstellungsplakat, das aktuell die Fassade der Kunsthalle schmückt. Mit wallender Mähne und muskelstrotzend blickt er finster aus dem Himmel auf die sich ihm entgegenstreckenden, Hilfe suchenden Arme hinab. Dunkelrote Wolken haben sich vor die Sonnenstrahlen geschoben.
Es könnte ebenso gut das Plattencover einer Metal-Band sein, stammt aber von einem Künstler, der seit fast 200 Jahren tot ist: William Blake (1757–1827). Und bei ihm ist die Gottesfigur Urizin, Schöpfer der materiellen Welt. Er kämpft gegen Orc, eine Fantasiefigur, die für Rebellion und Befreiung aus der Unterdrückung steht.
Willkommen im furiosen Paralleluniversum dieses Ausnahme- und Außenseiterkünstlers. Mit der Ausstellung im Hubertus Wald Forum begibt sich das Publikum auf die Reise in ein England, das von Krieg und Revolution in Europa, Sklaverei in den Kolonien und den Veränderungen durch die Industrialisierung geprägt ist. Und in dem Künstler wie William Blake ihre Kritik an der Welt mit einer Vision von universeller Erlösung verbanden. Außerhalb seiner Heimat ist der Künstler kaum bekannt. Durch eine einzigartige Kooperation mit dem Fitzwilliam Museum in Cambridge werden in Hamburg 90 seiner Arbeiten gezeigt. Es ist, nach der Premiere im Jahr 1975, die zweite Ausstellung in Deutschland überhaupt.
Kunsthalle: William Blakes fantastisches Universum lohnt den Besuch
Die Assoziation zur Metal-Musik ist dabei gar nicht so verkehrt. Erstaunlich ist, dass Blake weniger als bildender Künstler denn als Dichter von nachfolgenden Generationen wahrgenommen wurde. The Doors, Iron Maiden, Joni Mitchell, um nur einige zu nennen, nahmen in ihren Songs Bezug zu seinen literarischen Versen. Die Hymne „Jerusalem“, die bei königlichen Hochzeiten am englischen Hof gespielt wird, stammt aus seiner Feder. Einzigartig auch, wie er seine Bilder und Texte durch die von ihm erfundene Reliefradierung miteinander verwob und somit nicht nur die Stilistik von heutigen Comics und Graphic Novels vorwegnahm, sondern auch einzelne Werke kommentierte und sich somit als Konzeptkünstler präsentierte.
Warum aber konnte er zu Lebzeiten nicht überzeugen, bekam kaum Ausstellungen, verkaufte keine Bilder und wurde von den Journalisten, wenn sie überhaupt über seine Kunst schrieben, verrissen und als geisteskrank bezeichnet, sodass er sich schließlich ganz in sein Londoner Haus zurückzog – William Blake, ein verkanntes Genie, ein Avantgardist? „Er war auf jeden Fall anders, ein Randständiger“, sagt Andreas Stolzenburg, Leiter des Kupferstichkabinetts. „Und auch, wenn es abgedroschen klingt, war er mit seinen mystischen Bildwelten wie etwa in seinem ersten Buch ‚America Prophecy‘ seiner Zeit voraus.“
Er hat nie eine Schule besucht und sah Engel in Bäumen
„William Blake hat nie eine Schule besucht, wurde von seiner Mutter im Lesen und Schreiben unterrichtet und bekam schon als Vierjähriger privaten Zeichenunterricht“, ergänzt Co-Kurator Jan Steinke. „Auffällig waren seine Tagträumereien und Visionen, so meinte er beim Blick in einen Baum eine Schar Engel zu sehen. Blake eckte nicht nur bei der Familie und Freunden, sondern auch später als Student an der Royal Academy in London an.“ Der streng an antiken Vorbildern orientierte Unterricht führte dazu, dass Blake, der sich ursprünglich als Historienmaler gesehen hatte, später umso mehr in seine eigene Welt abdriftete.
„Er war nicht daran interessiert, anatomisch korrekt zu zeichnen“, so Steinke, „das schränkte ihn nur in seiner Fantasie ein. Vielmehr sah er sich als prophetischer Künstler.“ Umso bitterer muss es für ihn gewesen sein, dass er sich durch den ausbleibenden künstlerischen Erfolg zeit seines Lebens als Reproduktionskünstler Geld verdienen musste. Hierzu musste er sieben Jahre in die Lehre in einer Kupferstecherei gehen und Originale kopieren. Vier Jahre davon allein in Westminster Abbey, wo er gotische Gräber nachzeichnen musste. Erst wenn diese Arbeit getan war, durfte er sich an eigene Entwürfe setzen.
Kunsthalle Hamburg: Caspar David Friedrich war Bruder im Geiste von William Blake
Die Ausstellung konzentriert sich aber nicht nur auf Blakes Wirken, sondern setzt den Künstler in Beziehung zu Zeitgenossen, etwa den Bildhauer John Flaxman oder Samuel Palmer (die im Gegensatz zu ihm äußerst erfolgreich waren). Auch von dem deutsch-schweizerischen Maler Johann Heinrich Füssli ließ sich Blake inspirieren. Wobei man vielmehr von künstlerischer Aneignung sprechen kann, denn oft kopierte er, das konnte er schließlich par excellence, Motive dieser Künstler, gab ihnen einen anderen Ausschnitt, Hintergrund oder Namen und versah dies dann mit seinem Absender.
Die beiden wichtigsten Zeitgenossen sind mit mehreren Werken vertreten: die deutschen Romantiker Philipp Otto Runge (1777–1810) und Caspar David Friedrich (1774–1840). Obwohl Blake die beiden wohl nie getroffen hat, gibt es auffällige Parallelen in ihrer Kunst, wandten sich doch alle drei von den klassizistischen Idealen ihrer Ausbildung ab und wollten mit ihrer Kunst eine neue Welt errichten. Ein Highlight im Friedrich-Kapitel sind sieben Sepia-Zeichnungen des Jahreszeiten-Zyklus, mit dem der Künstler auf den Lauf des Lebens von der Geburt bis zum Tod referiert, bei Blake als Fallen und Erlösung thematisiert. Sie waren 20 Jahre unter Verschluss und sind wegen ihrer Empfindlichkeit auch in keiner Friedrich-Ausstellung im Jubiläumsjahr zu sehen.
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Kurioserweise wurde 1811, ausgerechnet in Hamburg, doch eine Rezension über Blakes Universum veröffentlicht. Der englische Journalist Henry Crabb Robinson hatte in der kritischen Zeitschrift „Vaterländisches Museum“ den Künstler als „außerordentlichen Mann, in dem alle Bestandteile von Größe unstreitig gefunden werden“ skizziert. So steht es auch in der Graphic Novel von Noëlle Kröger, die zur Ausstellung erschienen ist. Darin treffen sich die beiden sogar, und Catherine Blake liest ihrem Mann anschließend die Zeilen vor. „Dazu ist es wohl nicht gekommen“, so Andreas Stolzenburg. „Blake hat diesen Text vermutlich leider nie zu Gesicht bekommen.“
William Blakes Universum bis 8.9., Hamburger Kunsthalle (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 16,-/8,- (erm.); www.hamburger-kunsthalle.de