Hamburg. Die Italo-Schlagerstars über ihr neues Album „Kult“ und die Wahl zwischen Baumarkt-Eröffnung und Stadtfest. Was soll der Quatsch?
Sie haben es wieder getan: Nach dem Überraschungserfolg mit dem Nummer-eins-Album „Mille Grazie“ vor zwei Jahren und einem herrlich absurden Abendblatt-Interview hatte die aus Augsburg und München stammende Band Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys mit dem Nachfolger „Kult“ kurz nach dem Einstieg erneut die Spitze erklommen.
Die Gier nach Italo-, Disco- und Indie-Schlager ist offensichtlich weiterhin groß, wofür auch die größer werdenden Hallen sprechen: Am 28. Oktober spielt das Sextett in der Hamburger Inselpark Arena. Wir sprachen mit den beiden Sängern der Band, Roy Bianco und (ja, es ist verwirrend) Die Abbrunzati Boys über gestiegenen Druck, den Mythos der wiederentdeckten 80er-Band, Mallorca, 40.200 weiße Rosen und Baumarkt-Eröffnungen.
„Mille Grazie“: „Das war für uns wirklich eine Überraschung“
Hamburger Abendblatt: Gentiluomini, mit dem Album „Mille Grazie“ schossen Sie 2022 aus dem Nichts an die Spitze der Albumcharts, und auch wenn Sie diese Überraschung jetzt mit dem Nachfolger „Kult“ wiederholen konnten, haben Sie in der Rückschau mit diesem Erfolg gerechnet?
Die Abbrunzati Boys: Das war für uns wirklich eine Überraschung und ein toller Tag, den wir natürlich unbedingt wiederholen wollten.
Roy Bianco: Ich glaube, wir waren auf jeden Fall schon vorher in der öffentlichen Wirkung angekommen. Wir hatten vielfältige Formate im deutschen Fernsehen und im Radio. Aber die Nummer eins war natürlich schon kurios als vermeintlich kleine Band, und das führte dazu, dass wir danach einer deutlich größeren Öffentlichkeit ausgesetzt wurden – was wir natürlich nicht scheuen. Wir sind jetzt da, wo wir sein wollten, aber wir haben unsere Prozesse auch extrem professionalisiert. Wir sind an uns gescheitert und wieder über uns hinausgewachsen.
Die Geschichte der Band ist ja ähnlich wie bei Fraktus weitgehend frei erfunden. Wie schwer ist es, den Mythos der in den 80ern vergessenen Band und ihrem Comeback aufrechtzuerhalten, wenn das Internet einen so schnell entzaubert?
Bianco: Wie bitte? Selbstverständlich ist bei uns nichts frei erfunden. Dabei ist aber völlig klar, dass das ganze Leben sich aus Fiktionen, aus Erzählungen und Geschichten zusammensetzt. Wie man sich damit arrangiert, das bleibt jeder und jedem selbst überlassen, wenn es um die Kunst geht. Und wer die Dinge konkreter recherchieren möchte, der kann das gern tun, aber muss auch notwendigerweise enttäuscht werden. Denn ein Mythos lebt nur so lange, wie eine bewusste Täuschung besteht.
Boys: Ein Geheimnis ist spannend, wenn es bewahrt wird. Ansonsten zerstört es die Magie.
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Die Abbrunzati Boys: „So wurde ich geboren, so wahr mir Gott helfe“
Das Pseudonym Die Abbrunzati Boys, das eigentlich einen Bandnamen und keinen Künstlernamen impliziert, macht einen allerdings fertig im Kopf. Was soll der Quatsch?
Boys: Das ist mein bürgerlicher Name, so wurde ich geboren, so wahr mir Gott helfe.
Aha! So sei es denn. Kommen wir zum neuen Album. Als Erstes fällt da das Lied „Santorin“ auf, weil es sich nicht nach Italien, sondern nach Griechenland begibt. Was verbindet Sie mit Udo Jürgens, der im Text ja oft direkt und indirekt erwähnt wird?
Bianco: Einiges. Udo ist ja eine Legende des Schlagers, nein, der gesamten deutschsprachigen Musikgeschichte, und ich glaube fast alle hier haben eine Verbindung zu Udo Jürgens, seinen Liedern, seiner Persönlichkeit. Er hat Lieder für die Ewigkeit gesungen, zeitlos, mit Würde, Haltung und auch Gesellschaftskritik. In seiner Tradition sehen wir auch uns.
Kennen Sie Pepe Lienhard?
Boys: Wer ist das?
Bianco: Nie gehört.
Ein Schweizer Orchesterleiter, Arrangeur und charmanter Gentleman, der 37 Jahre Bandleader von Udo Jürgens war. Er ist immer noch aktiv und hat mit allen Großen gespielt: Frank Sinatra, Shirley Bassey, Quincy Jones, Whitney Houston. Es fehlen nur noch Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys.
Boys: Das klingt sehr interessant.
Bianco: Gute Referenzen, wir sollten unsere einreichen.
„Die Werte des handgemachten Schlagers sind verschüttet worden“
„Ich liebte die Musik“ ist ein weiterer neuer Titel. Hören Sie Schlager privat eigentlich aus echter Leidenschaft oder nur zu Recherchezwecken?
Boys: Natürlich aus Leidenschaft und mit großem Spaß. Es ist eine sehr originär deutschsprachige Liedart wie Italiens Canzone oder Frankreichs Chanson. Die Werte des einst handgemachten Schlagers der 50er- bis 70er-Jahre sind heute natürlich durch die Kulturindustrie und ihrem Hang zum schnellen Konsumieren verschüttet worden.
Die Lieder ihrer Band wie „Rimini Disco“ oder „Unter Palmen“ sind in ihrer DNA eigentlich auch eher Indie- und Gitarrenrock, gut versteckt hinter Käsetheken-Trompeten.
Boys: Käsetheken-Trompeten, das ist schön, das muss ich mir merken.
Bianco: Die Ideen kommen aus der Band, wir stehen im Songwriting-Prozess zu sechst im Proberaum und jeder probiert zu den Liedskizzen seine Instrumente aus, in diesem Fall unser virtuoser Trompeter, der Blechkofler.
Mallorca: „Wir ziehen sehr gern einen Bannkreis um diese Insel im Mittelmeer“
Die „MS Abbrunzatissima“ hat auf bislang drei Alben den ganzen Frachtraum voller Urlaubsschlager, von Ibiza über Rimini bis Santorin. Mallorca fehlt allerdings noch.
Boys: Wir ziehen sehr gern einen Bannkreis um diese Insel im Mittelmeer. Musikalisch steht sie für die besagte Kulturindustrie, die billigste Klischees und Sexismus bedient. Wir sehen uns dezidiert in einer anderen Tradition, wollen Ewigkeitswerte schaffen und aus dieser Haltung heraus Musik machen – und Schlager über diesen Weg wieder ein Gesicht geben.
Menorca gäbe es ja auch noch. Was können wir im Oktober beim Konzert erwarten, in der passenderweise jetzt Inselpark Arena genannten Halle auf der Elbinsel Wilhelmsburg?
Boys: Für mich wird es immer die edel-optics.de Arena bleiben.
Bianco: Wir werden wieder vollkommen nach vorn gehen mit unserem Programm, wir haben uns auf den ersten Festivals dieses Jahres extrem ausprobiert. Die Show wurde komplett auf links gedreht, aber es bleibt unser altbewährtes, doch stets aufpoliertes Versprechen der Flucht aus dem deutschen Winter in die Glückseligkeit eines heilen Moments. 90 Minuten totale Eskapaden. Hamburg war immer eine tolle Adresse für uns, vom Dockville Festival über das Reeperbahn Festival bis zum Corona-Sitzkonzert in Planten un Blomen. Gefühlt waren wir in Hamburg schon überall, angefangen beim Waagenbau, den es ja leider nicht mehr gibt.
Roy Bianco: 300 Rosen werden bei jeder Show verteilt
Bekommen Sie wie Udo Jürgens von Fans Rosen auf die Bühne gereicht, schön verpackt in Zellophanfolie?
Bianco: Nein, wir drehen die Situation um und bedanken uns am Ende der Show mit Rosen beim Publikum. Wir haben mit 40.200 weißen Rosen geplant, pro Show gehen so 300 Stück raus.
Nicht selten geht es mit einer Schlagerkarriere auch mal bergab, die Legende des Abstiegs in die Vergessenheit von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys in den 80er-Jahren könnte sich durchaus wiederholen. Wo würden Sie dann lieber auftreten, Baumarkt-Eröffnung oder Stadtfest?
Boys: Das ist richtig gemein! Aber wenn, dann lieber Stadtfest. Da gibt es wahrscheinlich weniger Kohle, aber dafür vielleicht noch eine Bratwurst und Getränkebons.
Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys: „Kult“ Album (Electrola) im Handel; Konzert: Mo 28.10., 20.00, Inselpark Arena, Karten zu 49,90 im Vorverkauf