Sirmione/Hamburg. Die Italo-Schlager-Legenden Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys über Ihr erfolgreiches Comeback und das neue Album „Mille Grazie“.
Als 1984 das zwei Jahre zuvor in Sirmione am Gardasee gegründete Duo Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys beim Internationalen Schlagerfestival in Rio de Janeiro triumphierte, wurde auch in Deutschland eine wahre Italo-Pop- und -Schlager-Welle ausgelöst. Doch Roy Bianco und sein Partner gerieten schnell wieder in Vergessenheit und trennten sich 1997 nach Jahren des Herumtingelns durch Baumarkt-Gartenabteilungen und Straßenfest-Fressmeilen.
Erst 2016 taten sich die beiden und ihre Showband bei Carbonara und einer Coca-Cola wieder zusammen und erleben jetzt mit ihrem neuen Album „Mille Grazie“ ihren zweiten Frühling: Platz eins in den deutschen Albumcharts. Das ist das vielleicht erstaunlichste Comeback seit Udo Lindenberg 2008. Angesichts des Erfolges mehren sich allerdings auch kritische Stimmen, die behaupten, dass die Geschichte von Roy Bianco und Die Abbrunzati Boys nur eine satirische Fiktion von Indie-Musikern aus Augsburg und München sei.
Konzert Hamburg: Roy Bianco singt im Mojo Club
Fragen dazu ließ Roy Bianco, den wir kurz bei seiner Runde auf dem Golf Club Paradiso del Garda unterbrachen, unbeantwortet. Aber Sätze wie „Das ist ja Kunst, vor allem die des Schlagers schlechthin: Illusionen schaffen!“ sprechen für sich und machen Lust auf das – bereits ausverkaufte – Konzert am 10. Mai im Mojo Club.
Hamburger Abendblatt: Signore Bianco, in den Jahren 1982 bis 1984 feierten Künstlerinnen und Künstler wie Al Bano & Romina Power, Gianna Nannini, Eros Ramazotti und Zucchero genau wie Sie ihre ersten großem Erfolge. Kann man sagen, dass Sie für diese Stars in Deutschland die Türen geöffnet haben?
Roy Bianco: Man könnte das durchaus so sagen. Aber wir möchten bescheiden bleiben, denn Bescheidenheit ist eine große Tugend des Italo-Schlagers. Den genannten Größen der italienischen Musikszene der 80er kann man nur huldigen und ihren unantastbaren Status unantastbar belassen. Es ist auf jeden Fall schön zu wissen, sich zwischen solchen Grandezzen des italienischen Musikgeschäfts zu wissen. Und das obgleich wir als glühende Europäer und Kosmopoliten, ja „nur“ waschechte Wahl-Italiener sind. Eros schaut bei uns immer noch gern, und das ist jetzt kein blöder Kalauer, auf ein, zwei Gläser Ramazzotti in unserer Villa Altavista am Gardasee vorbei. Wir quatschen über die „gute alte Zeit“ und starren dann betreten in den Sonnenuntergang, bis wir fast blind geworden sind.
Während genannte Pop-Größen zu Weltruhm gelangten, ist ihre Band wieder in Vergessenheit geraten, hat sich 1997 aufgelöst. Das erinnert an die Hamburger Techno-Pioniere Fraktus, die auch nie die Erfolge feiern durften, die sie verdient hätten.
Bianco: Ja, das ist schon skurril. Länger war das auch ein Thema für uns und die ständige Frage, welche Prozesse zu so einer „Verschüttung der Geschichte“ führen würden. Dann ist es uns aber klar geworden: Manchmal verschwindet eben etwas Großes aus der Historie und scheidet aus – allerdings hinterlässt es trotzdem eine heiße Spur. Stichwort: Mythos. Und Mythen, das wissen wir alle, fesseln die Menschen mit einer ungeahnten Kraft. Der Italo-Schlager ist ein Mythos, und auch die Band Fraktus umspielt so ein Verve. Beide haben wir es schließlich wieder an die Oberfläche der Gegenwart geschafft, als Titanen, die wieder unter den Menschen wandeln. Und überall erfahren wir endlich wieder die Aufmerksamkeit, die uns, bei aller Bescheidenheit, auch zusteht.
Musik bietet Hoffnung und Trost
Was hat sie 2016 nach 20 Jahren Pause zum Comeback angeregt?
Bianco: Wissen Sie, auch wenn das jetzt ziemlich platt klingt: Wir wollten es einfach noch mal wissen. Außerdem haben wir es geschafft, unsere zwischenmenschliche Verwerfungen intern zu lösen und wieder gemeinsam am sogenannten Ariadnefaden zu ziehen. Verletzte Egos sind lange verletzt – aber dann geht es auch wieder. Denn man möchte ja im schönen Schoß der Mutter Musik ein Leben leben. Und das können wir nur als Band.
Ihr erstes Album seit der Reunion „Greatest Hits“ sorgte 2020 ebenso wie die EP „Lieder, für immer“ 2018 international für Aufsehen, und bei Ihren Konzerten fielen nicht wenige Fans vor Begeisterung in Ohnmacht, wie man im Vorjahr beim Reeperbahn Festival im Mojo Club erleben konnte. Wie erleben Sie das auf der Bühne? In Demut? Voller Dankbarkeit? Mit Genugtuung?
Bianco: Ja, die Presse und die Revolverblätter können sich kaum zurückhalten, ob dieses Hypes um den Italo-Schlager, der synonym für uns als Band steht. Uns überrascht es aber auch nicht. Denn diese Musik bietet Hoffnung und Trost in schwierigen Momenten, und in den schönen Moment wird sie zum Multiplikator dieser. Also wenn da jemand im Publikum, vielleicht auch während unseres Auftritts auf dem Reeperbahn Festival, ohnmächtig wurde und wird: Wir können das verstehen, und es ist die richtige Antwort auf alles, was dieses Leben zu bieten hat.
Inhalt der Songs sind wahr
Jetzt widmen sie auf dem neuen Album „Mille Grazie“ der „Brennerautobahn“ eine Hymne. Sie ist die Lebens- und Liebesader zwischen Deutschland, Österreich und Italien. Das weckt Erinnerungen an Reisen von fünfköpfigen Familien in der Isetta nach Rimini. Was bedeutet ihnen die Brennerautobahn?
Bianco: Die Brennerautobahn ist die Aorta des italienischen Tourismus, ganz richtig. Nord- und Mittel-Europa drängt sich durch dieses Nadelöhr in den Alpen. Seine historische Bedeutung ist kaum zu unterschätzen, egal ob während der Antike, des Mittelalters oder der Moderne. Pilger, Pilger, Pilger. Immer kamen Pilger. Und so sind wir das auch immer gewesen: demütige Pilger, um im „gelobten Land“ des Urlaubs unser Heil zu finden. Auf der Reise in der Isetta und im Alfa Romeo Duetto wurde nicht nur mit den Elementen gekämpft, sondern in den vielen Jahren auch Zehntausende Zigaretten verraucht, Tausende Brötchen verzehrt und fässerweise Cola-Mix getrunken. Am ersten Autogrill war dann immer alles gut, und die Strapazen der Reise waren vergessen.
„Amore Sul Mare“ ist ein weiterer Höhepunkt auf dem neuen Album. Hand aufs Herz: Haben Sie schon mal Liebe auf dem Meer gemacht? Oder am „Miami Beach“? In „Bella Napoli“? Oder zum Sound von „Radio Ipanema“? Viele Schlagersänger machen nämlich einen auf Karl May und besingen Orte zwischen Capri und Palermo, die sie nie besucht haben.
Bianco: Wo wir überall schon unseren Spielen der Amore verfallen sind, behalten wir für uns. Wir sind beim Hamburger Abendblatt ja schließlich nicht bei den Magazinen aus der Hausfrauen-Auslage. Aber so viel sei dann doch verraten: Alles was wir besingen, ist auch irgendwie so vorgefallen. Gleichwohl kann ich die Ansätze eines Karl Mays auch verstehen. Das ist ja Kunst, vor allem die des Schlagers schlechthin: Illusionen schaffen! Selbst schuld, wer da wirklich denkt, die echte Welt zu sehen.
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Konzert Hamburg: Roy Bianco "bedauert nichts"
Es dürfte nicht lange dauern, und die Arenen der Welt gehören Ihnen. Haben Sie einen Konzert-Sehnsuchtsort? Die Arena di Verona? Das Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand? Das WWK Versicherungsgruppe Stadion in Augsburg?
Bianco: Die Arena in Verona ist schon ein Zuckerstück unter den Konzert-Locations dieser Welt und sicher jeder noch uns unbekannten Welt. Mamma mia, diese Akustik, die Geschichte, die darin wohnt. Ich rufe gleich mal das Management an, die sollen da jetzt endlich was drehen!
Ihr Album endet mit dem lateinischen Zitat „Sic transit gloria mundi“: So vergeht der Ruhm der Welt. Schon ein Skandal, ein falsches Wort kann heute eine Pop-Karriere zerstören. Die kompromittierenden Fotos von Ihnen und Carole Bouquet bei der Filmpremiere von Adriano Celentanos „Bingo Bongo“ wären heute ein viraler Hit in den sozialen Netzwerken. Bedauern Sie, dass Stars ihren Ruhm nicht mehr so auskosten können wie in den 80er-Jahren?
Bianco: Wir bedauern gar nichts. Trauriger ist jedoch, dass man als Star nun auch endgültig Teil einer Wegwerfgesellschaft geworden ist. Fans sind nur solange Fans, wie die Aufmerksamkeit es Ihnen erlaubt. Aus 15 Minuten Ruhm sind jetzt eher fünf Sekunden Ruhm geworden. Ständiger Beschuss aus der Unterhaltungsindustrie und aus den sozialen Netzwerken machen es aber auch schwer, den Kopf klar zu halten. Bei uns ist das aber ein bisschen anders gewichtet: unsere Tifosi stehen zu uns in einer unfassbaren Nibelungentreue. Seit 40 Jahren. Was diese „kompromittierenden Bilder“ angeht: Da schweigen wir mal lieber, und Sie bekommen jetzt erst mal eine schöne Unterlassungsklage von unserem Anwalt Milan Pablo.