Hamburg. Ewald Volhard und Mara Wantuch-Thole bearbeiten Fälle von „NS Looted Art“. Es geht auch um ein berühmtes Gemälde in der Kunsthalle.
Die Benin-Bronzen, die das Hamburger MARKK vor Kurzem an Nigeria zurückgab, sind das derzeit prominenteste Beispiel an restituierter Kunst. Die Erforschung geraubter Werke aus kolonialen oder NS-Kontexten wird von deutschen Museen seit mehr als 20 Jahren engagiert betrieben. 2001 war die Hamburger Kunsthalle das erste Haus mit einer eigenen Forschungsstelle. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite stehen meist Erben, die die familiäre Sammlung rekonstruieren wollen und Werke zurückfordern. Dann kommt der Rechtsanwalt Ewald Volhard ins Spiel. Zusammen mit seiner Kollegin Mara Wantuch-Thole betreibt er in Berlin eine Kanzlei, die auf „NS Looted Art“ spezialisiert ist. Jüngster Fall: der Streit um das Gemälde „Junges Mädchen“ von Paula Modersohn-Becker in der Hamburger Kunsthalle.
Hamburger Abendblatt: Den Begriff „Lost Art“ kennt man für gewöhnlich. Was versteht man unter „Looted Art“?
Ewald Volhard: Unter „NS Looted Art“ versteht man international Kunst, die im Zuge der NS-Herrschaft abhandenkam, also „geraubt“ wurde. Lost Art ist eine Datenbank, die das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg betreibt, und in dieser Datenbank können Fund- oder auch Suchmeldungen eingestellt werden. Fundmeldungen werden beispielsweise von Museen eingestellt, und sie betreffen Kunstobjekte, die sich bei einer Provenienzrecherche als restitutionsbelastet herausstellten. Suchmeldungen werden üblicherweise von den Erben der Verfolgten eingestellt.
Eine Frage an den Rechtsanwalt: Wie streitet man sich über geraubte Kunst?
Seit wann ist Ihre Kanzlei auf dieses Themenfeld spezialisiert, und wie kam es überhaupt dazu?
In dem Bereich „NS Looted Art“ ist Mara Wantuch-Thole seit 2005 tätig. Ich begann damit 2003. Seit 2019 sind wir beide ausschließlich und gemeinsam in diesem Bereich tätig. Mara besuchte im Studium das Seminar Kunst und Recht in Heidelberg und entschied sich für eine Spezialisierung auf dieses Tätigkeitsgebiet. Deswegen promovierte sie auch über ein kunstrechtliches Thema. Seit 2010 lehrt sie hierzu auch an der FU Berlin. Für uns ist „NS Looted Art“ das spannendste Aufgabenfeld für Rechtsanwälte, die zugleich ein ausgeprägtes historisches und kunsthistorisches Interesse haben. Zudem kommen wir in aller Regel mit sehr interessanten Personen zusammen.
Welche Klienten kommen auf Sie zu? Sind die Anfragen international?
Wir haben eine überschaubare Zahl von Klienten (auch Mandanten genannt), die alle im Ausland leben. Es handelt sich um die Nachfahren oder Erben von „rassisch Verfolgten“, also Personen die vom NS-Regime verfolgt wurden. Wir werden auch für Auktionshäuser oder Kunsthändler tätig, die die Provenienz eines Kunstwerkes vor dem Verkauf klären wollen. Eine geklärte Provenienz ist heute ein erheblicher Preisfaktor. In diesem Bereich sehen wir unsere Aufgabe darin, etwaige Zweifel auszuräumen und dabei zu unterstützen, dass nur Kunst mit einer geklärten Provenienz auf den Markt kommt.
In Deutschland und Österreich wurden rund 200.000 Kunstwerke geraubt
Beschreiben Sie bitte mal Ihre Vorgehensweise bei Restitutionsbegehren.
Die Vorfahren unserer Mandanten waren Eigentümer bekannter und bedeutender Kunstsammlungen. Unsere Aufgabe ist es zunächst, diese Kunstsammlungen zu rekonstruieren. Wenn ein Inventar vorhanden ist, hilft das, anderenfalls prüfen wir Werkverzeichnisse von Künstlern und die Geschäftsbücher von anderen Kunsthändlern in der Zeit zwischen 1933 und 1945 und können daraus den Bestand der Kunstsammlung ableiten.
Über wie viele Fälle herrscht derzeit Rechtsstreit, das heißt, wie viele Restitutionsbegehren laufen aktuell in Deutschland?
Wir vermeiden den Begriff Rechtsstreit, das hört sich nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung an. Diesen Weg hat der deutsche Gesetzgeber versperrt, da durch die Schuldrechtsreform von 2002 sämtliche Herausgabeansprüche der Erben inzwischen verjährt sind. In Deutschland und Österreich wurden rund 200.000 Kunstwerke geraubt, insgesamt mit den in den von dem NS-Regime beherrschten Gebieten fehlen rund 600.000 Kunstwerke. Wir suchen derzeit rund 4500 Kunstwerke, die überwiegend in Deutschland, den Niederlanden und in Frankreich geraubt wurden. Verstärkt werden wir auch in der Schweiz fündig, dort wurden zahlreiche Kunstwerke zur Finanzierung des Lebensunterhalts oder der weiteren Flucht verkauft. Hierbei handelt es sich um sogenanntes Fluchtgut.
Die meisten Mandanten der Kanzlei wünschen sich keine Öffentlichkeit
Können Sie etwas zu Ihrer Erfolgsquote sagen? Gehen die meisten Restitutionsbegehren zugunsten der nachforschenden Erben aus?
Unsere Erfolgsquote ist abhängig von der Anzahl der identifizierten Kunstwerke einer Sammlung. Anschließend müssen wir diese Kunstwerke lokalisieren, das heißt den Standort des heutigen Besitzers ausfindig machen. Alles in allem rechnen wir mit einer Erfolgsquote von mindestens 25 Prozent der insgesamt für unsere Mandanten gesuchten Kunstwerke.
Welche besonders spektakulären Fälle haben Sie in der Vergangenheit bearbeitet?
Die Frage ist: Was ist spektakulär? Verstehen Sie unter „spektakulär“ Fälle, über die die Presse berichtete? Das steuern wir, da wir mit den Mandanten gemeinsam entscheiden, ob und wie wir die Öffentlichkeit über eine Restitution informieren. Häufig geschieht die Restitution in aller Stille. Wir informieren die Betreiber der Lost-Art-Datenbank, die dann bei der Suchmeldung vermerken, dass eine gütliche Einigung erzielt werden konnte. Hintergrund ist, dass bei dem Großteil der inzwischen weit über 100 Restitutionen die beteiligten Personen sich keine gesonderte Information der Öffentlichkeit wünschten.
Wichtig ist ein Auskunftsanspruch gegen Kunsthändler oder Auktionshäuser
Wir haben gerade den Fall des Gemäldes „Junges Mädchen“ von Paula Modersohn-Becker in der Hamburger Kunsthalle. Der Streit, wem das Bild gehört, dauert nunmehr drei Jahre. Ist das die Regel oder eher die Ausnahme?
Für eine öffentliche Einrichtung ist diese lange Verfahrensdauer eindeutig die Ausnahme. Erstaunlich ist auch, dass wir über die Schritte und Maßnahmen der Hamburger Kunsthalle kaum informiert wurden.
Im Vergleich zu anderen Ländern: Ist Deutschland fortschrittlich, was die Rückgabe von Kunstwerken betrifft, oder steht da doch die Bürokratie im Weg?
Deutschland war eine Zeit lang fortschrittlich. Leider versäumt es die heutige Regierung, die im Koalitionsvertrag vereinbarten gesetzlichen Änderungen umzusetzen. Für uns ist es besonders wichtig, dass wir einen Auskunftsanspruch gegen Kunsthändler oder Auktionshäuser erhalten, denn häufig wird uns der Kontakt zu dem Besitzer eines Gemäldes verwehrt mit der Begründung, Datenschutz oder Allgemeine Geschäftsbedingungen stünden entgegen. Beides sind Scheinargumente, denn in der Europäischen Datenschutzgrundverordnung wurde extra eine Ausnahme für Sachverhalte im Zusammenhang mit der NS-Verfolgung zwischen 1933 und 1945 aufgenommen. Für diese Fälle gilt der Datenschutz nicht. Und Allgemeine Geschäftsbedingungen gelten immer nur zwischen den jeweiligen Vertragspartnern, was unsere Mandanten nicht sind.
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Die Stadt Hamburg hat unlängst eine Reformation der Beratenden Kommission in Berlin gefordert, die über die Rückgabe entscheidet. Laut Kulturbehörde soll es künftig ausreichen, dass nur eine Seite sie für ein Verfahren anruft. Bisher müssen beide Seiten dem zustimmen. Halten Sie das für sinnvoll, oder was müsste Ihrer Meinung im Prozess verändert werden?
Das ist ein guter Schritt.
Können Sie überhaupt noch wie ein normaler Ausstellungsbesucher durch ein Museum gehen, oder wittern Sie an jeder Ecke den nächsten Auftrag?
Wir können sehr gut Berufliches von der privaten Freude der Bildbetrachtung trennen. Hinzu kommt, dass wir für Jahre ausgelastet sind und keine neuen Aufträge mehr annehmen.